Samstag, 20. April 2024

Archiv


Streben nach Freiheit im Iran

Als vor fast genau einem Jahr Millionen Iraner auf die Straße gingen, um zu demonstrieren, dass sie die Nase voll hatten von ihrem Regime in Teheran nahm die Weltöffentlichkeit fasziniert Anteil. Nun ist ein Buch erschienen, das die Situation im Iran - und die Tatenlosigkeit des Westens beschreibt.

Von Ralph Gerstenberg | 10.05.2010
    Man erinnert sich an die Bilder vom vergangenen Sommer: Tausende von Demonstranten in Teherans Straßen, die gegen den amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad protestieren. Junge Menschen in westlichen Markenklamotten, die das Internet für die Verbreitung ihrer kurzen, verwackelten Handyfilmsequenzen von Polizeieinsätzen nutzten. Aus diesen Tagen im Juni 2009 stammt auch ein deutschsprachiges Weblog mit dem programmatischen Namen "Free Iran Now". Betrieben wird es von engagierten Journalisten und Publizisten wie Alex Feuerherdt, die der Meinung sind, dass die Informationen, die hierzulande über die Situation im Iran erhältlich sind, nicht ausreichen, um sich ein plastisches Bild von dem Zustand zu machen, in dem sich dieses Land gegenwärtig befindet - oder vielmehr: von der Krise!

    "Wir gehen davon aus, dass das Ganze noch lange nicht an seinem Ende angelangt ist und der Zerfall so weit gediehen ist, dass die islamische Republik Iran, die sogenannte, wie man sie kannte, in dieser Form erstens nicht mehr existiert und auch nicht mehr so existieren wird, wie sie mal gewesen ist. Sie hat die schwerste innenpolitische Krise seit ihrem Bestehen. ( ... ) Und wer weiß, wie lange sich dieser Herrschafts- und Machtapparat überhaupt noch halten kann. Das aber – und das muss man auch ganz klar sagen - wird auch davon abhängen: Wie verhält sich eigentlich der Westen gegenüber diesem Regime zum einen und gegenüber der Freiheitsbewegung zum andern. Und solange da jegliche Unterstützung verweigert wird, sind die Chancen natürlich auch wesentlich schlechter, dass diese sogenannte islamische Republik mal zum Kippen kommt."

    In dem Buch "Verratene Freiheit", das Alex Feuerherdt und zwei seiner Blogmitstreiter - Oliver M. Piecha und Thomas von der Osten-Sacken - nun herausgegeben haben, geht es um den "Aufstand im Iran und die Antwort des Westens", wie es im Untertitel heißt. Der Verrat, den Henryk M. Broder gleich in seinem Vorwort anprangert, besteht in einem Zuschauen, Verharmlosen und einer ostentativen Empörung, der keinerlei Konsequenzen folgen. So sehr der Westen sich auch beeilt hat, den Aufstand im Iran als Demokratiebewegung zu begrüßen, so schnell waren die mutigen Demonstranten auch schon wieder vergessen. Die engen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran, auf die Salman Rushdie schon Mitte der Neunziger hingewiesen hat und denen nun auch ein Kapitel dieses Sammelbandes gewidmet ist, bleiben davon völlig unberührt. Dabei hätte - so der eindeutige Tenor der versammelten Autoren - der Westen, und ganz besonders Deutschland, eine moralische Pflicht, die Kritiker eines Regimes, das Israel offen bedroht, nach allen Kräften zu unterstützen.

    "Da besteht eine Diskrepanz zwischen den Sonntagsreden, in denen Israel Solidarität versichert wird auf der einen Seite, und den guten Beziehungen zum iranischen Regime auf der anderen Seite, die genau diese Existenz von Israel gefährden. Und dieses Spannungsfeld wollten wir aufmachen und untersuchen: Woher kommen diese guten Beziehungen zum Iran, wie sind sie fundiert, seit wann gibt es sie, was umfassen sie? Das betrifft sowohl den wirtschaftlichen, als auch den kulturellen, als auch den politischen Bereich. Und das ist zum Schaden Israels. Und das im Nachfolgestaat des Dritten Reiches, des Staates, der Auschwitz verbrochen hat, das ist schon eine bemerkenswerte Sache."

    In der Tat ist es erstaunlich, dass weder Grüne, noch Linke Druck auf die schwarzgelbe Regierung ausüben, die traditionell guten Beziehungen zum Regime in Teheran, das unbehelligt sein Atomprogramm weiter voran treibt, abzubrechen und dessen politische Gegner zu unterstützen. Dass dies nicht passiert, erklären die Herausgeber in einem Einleitungskapitel mit einem ideologischen Vehikel, das von Ahmadinedschads Freund Hugo Chávez ins Rollen gebracht wurde, dem sogenannten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Dieses Konglomerat aus Antiimperialismus, Antiamerikanismus, Antisemitismus, gepaart mit allerlei apokalyptischen Visionen, sei bestens dazu geeignet, Globalisierungsgegner, Linke und Islamisten wie Ahmadinedschad zu vereinen. Ein anderer Grund für die Isolation der iranischen Freiheitsaktivisten – so Alex Feuerherdt – sei deren pro westliches Auftreten.

    "Sie treten mit Designerklamotten auf, mit dunklen Sonnenbrillen, es geht ihnen um ein Höchstmaß an privater, persönlicher Freiheit, um Konsum, es geht ihnen um Feiern, kurzum einfach um eine Form von individueller Freiheit, die natürlich mit diesem Kollektivismus, wie er von der Linken gefordert und gepredigt wird, überhaupt nichts zu tun hat."

    Doch nicht nur die Haltung des Westens ist Thema des Buches, sondern auch die Situation im Iran. So werden die Ereignisse des Aufstands von 2009 chronologisch in Erinnerung gerufen, die Entwicklung des Geschlechterverhältnisses der letzten zweihundert Jahre analysiert und auf staatliche Repressionen gegen religiöse Minderheiten wie die Bahá'i hingewiesen. Die Autoren des Buches - viele kommen aus dem Umfeld der Jungle-World und des Bündnisses "Stop the bomb" - erheben erklärtermaßen keinen wissenschaftlichen Anspruch. Sie wollen "parteiisch" intervenieren. Das führt zuweilen zu voreiligen Verallgemeinerungen und sprunghaften Argumentationslinien – zum Beispiel, wenn der iranische Publizist Bahman Nirumand in einem Beitrag des Buchs als Beleg für den von der Linken geübten Verrat an den Aufständischen im Iran herhalten muss. Dennoch: "Verratene Freiheit" ist ein Buch, das wichtige Fakten mit diskussionswürdigen Meinungen verbindet. Die politische Stoßrichtung ist eindeutig. Und wenn am Ende unter dem Titel "Regime Change" die Vision einer demokratischen Umwälzung des iranischen Staates beschworen wird, geht es auch um die Bedeutung, die ein Regimewechsel im Iran für den gesamten Nahen Osten hätte.

    "Wenn dieses Regime kollabieren würde, würde sofort eine Finanzierungsquelle wegfallen für Organisationen wie die Hisbollah und die Hamas. Zum andern haben diese mutigen Menschen, die dort aufgestanden sind gegen das islamistische Regime im Iran natürlich auch ein Zeichen gesetzt für andere Länder: Es geht, es kann gehen, es gibt dieses Streben nach Freiheit, die Verhältnisse sind nicht so zementiert, wie man das im Westen teilweise glaubt. ( ... ) Es könnte also etwas anstoßen, was in der ganzen Region Auswirkungen hat und nicht nur auf den Iran beschränkt bleibt."

    Thomas von der Osten-Sacken/Oliver M. Piecha/Alex Feuerherdt (Hg.): Verratene Freiheit - der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens. Verbrecher Verlag, 272 Seiten, 14 Euro. ISBN: 978-3-94042651-2