Dienstag, 23. April 2024

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Evolutionsforscher über Rassebegriff
"Nichts anderes als ein gedankliches Konstrukt"

Für einen Rassebegriff gebe es heute keine biologische Grundlage mehr, sagte Martin S. Fischer vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena, im Dlf. In einer Erklärung fordern Wissenschaftler deshalb, diesen nicht mehr im Zusammenhang mit Wissenschaft zu nutzen.

Martin S. Fischer im Gespräch mit Ralf Krauter | 11.09.2019
Eine Illustration zeigt stilisierte Porträts unterschiedlicher Menschen.
Der Rassenbegriff sein ein falsches gedankliches Konstrukt, sagt der Evolutionsforscher Martin S. Fischer (imago images / Panthermedia / scusi)
Ralf Krauter: Bei der Jahrestagung der deutschen Zoologischen Gesellschaft, haben rund 500 Forscher gestern abend die sogenannte ‚Jenaer Erklärung‘ verabschiedet. Darin plädieren die Wissenschaftler dafür, den Begriff 'Menschenrasse' künftig aus unserem Sprachgebrauch zu verbannen - und zwar, weil es für das Konzept von Rassen keinerlei wissenschaftliche Grundlage gibt. Im dritten Reich hatten viele Bioforscher das noch anders gesehen, und - unter anderem unter Berufung auf die Arbeiten des berühmten Jenaer Zoologie-Professor Ernst Haeckel – die nationalsozialistische Rassenlehre begründet. Professor Martin Fischer vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Uni Jena, hat mir vorhin erklärt, warum man damals völlig daneben lag – und was man heute alles besser weiß.
Martin S. Fischer: Ich gebe Ihnen ein wunderschönes Beispiel vielleicht gleich am Anfang: Ernst Haeckel klassifiziert zunächst zehn, später zwölf Menschenarten, nicht -rassen, also die höhere Kategorie. Ganz unten stehen die Menschen aus Papua und die Hottentotten. Hottentotten gab es nie, das ist ein schon immer diskriminierender Begriff gewesen. Unter Hottentotten wurden Menschen zusammengefasst aus dem südlichen Afrika, von denen wir heute wissen, dass sie genetisch unterschiedlicher sind als Thüringer und Japaner. Also, Ernst Haeckel hat eigentlich nur einen kolonialen Begriff genommen und hat aus einem Begriff eine Kategorie gebildet und aus dieser Kategorie dann ein Stammbaumdenken. Und er spricht natürlich davon, dass es sich dabei um die Untersten und so weiter und so fort handelt. Der Haupttenor der Jenaer Erklärung ist, Rassismus macht Rassen, nicht Rassen führen zu Rassismus. Es ist also das kategoriale Denken, das in der Biologie, in anderen Wissenschaften auch, aber in der Biologie geradezu grundlegend zu sein scheint für Fortschritt im Denken. Und das ist nicht der Punkt. Kategorien verstellen den Zugang. Und die moderne Genetik hat gezeigt, dass falsche Kategorien dazu geführt haben, dass man Cluster und Gruppen gebildet hat, die sich dann genetisch, genomisch nicht mehr halten ließen und nie hatten, eigentlich sich nie halten lassen.
Krauter: Aus evolutionsbiologischer Sicht würde man heute sagen, es gibt gar keine menschlichen Rassen. Können Sie vielleicht noch mal zwei, drei der zentralen Befunde zusammenfassen, die dazu geführt haben, dass dieses Konzept heute aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbar ist?
"Menschen dunkler Hautfarbe zusammenzufassen, ist absurd"
Fischer: Ich bleibe noch mal kurz bei Ernst Haeckel, dessen erste Unterscheidung der Menschen eine Unterscheidung zwischen Wollhaarigen und Schlichthaarigen ist. Das ist so absurd, dass man darüber nicht mehr sprechen muss, aber auch das war einst ein Unterscheidungsmerkmal. Die Hautfarbe ist interessanterweise genauso absurd wie die Art des Kopfhaares, denn dunkle und helle Hautfarben sind Anpassungen an den Anteil des Sonnenlichts das Jahr über. Und bleich zu werden, weiße Hautfarbe zu entwickeln, ist ein, wenn man so will, defizitärer Akt: Die mangelnde Sonne im Norden führte dazu, dass Menschen, die tatsächlich sich dann bäuerisch ernährten – und das ist so ab dem frühen Neolithikum im Norden der Fall –, dass die ausbleichen mussten, um überhaupt noch Vitamin D synthetisieren zu können. Andererseits ist die dunkle Hautfarbe mehrfach unabhängig entstanden. Menschen also dunkler Hautfarbe zusammenzufassen, ist absurd. Menschen, die in Südamerika dunkelhäutig sind oder in Australien oder in Afrika sind es jeweils wieder geworden.
Krauter: Die Genforschung sagt aber letztlich auch, dass wir im Prinzip alle Afrikaner sind, das kann man schon so sagen.
Fischer: Ja, die jüngsten Ergebnisse – und diese Ergebnisse häufen sich in den letzten zehn Jahren und gelten mittlerweile als gefestigte Ergebnisse – zeigen, dass alle nicht afrikanischen Menschen auf eine Gruppe in Ostafrika, Südsudan/Ostafrika, zurückgehen, von denen wir dann abstammen. Also wir sind eigentlich hellhäutige Afrikaner, wenn man so will, unser Ursprung liegt in Afrika. Die genetische Diversität ist in Afrika viel höher als außerhalb Afrikas, denn die Menschen, die vor 50.-, 60.000 Jahren Afrika verließen, diese Population war im Vergleich natürlich zu afrikanischen Populationen sehr klein. Man spricht von einem genetischen Flaschenhals, durch den diese Population durchging. Und dann verbreitete sie sich hinterher wieder über die Erde. Deshalb sind die Nichtafrikaner genetisch gesehen sehr nahe miteinander verwandt.
Krauter: In der Jenaer Erklärung wird aus dem Grund eben, dass menschliche Rassen biologisch keine wissenschaftliche Basis haben, gefolgert, man sollte den Begriff Rasse mit Bezug auf den Menschen komplett aus dem Sprachgebrauch verbannen und letztlich sogar aus Lehrbüchern. Was versprechen Sie sich davon, wenn dieser Begriff nirgends mehr auftauchen würde?
"Keine biologische Grundlage für einen Rassenbegriff"
Fischer: Wir gehen heute davon aus, dass tatsächlich es keine biologische Grundlage für einen Rassenbegriff mehr gibt. Der Rassebegriff ist nichts anderes als ein gedankliches Konstrukt und entbehrt jeder Realität, weshalb wir den Rassebegriff grundsätzlich ablehnen. Und deshalb auch dafür kämpfen, dass dieser Rassebegriff einfach nicht mehr im Zusammenhang mit Wissenschaft benutzt wird.
Krauter: Ist das auch eine Reaktion darauf, dass ja bestimmte völkische Kreise, die vielleicht an Herrenmenschen oder die Überlegenheit bestimmter Völker denken, ja doch ganz gern auf so vermeintlich biologische Tatsachen wie die Unterschiede zwischen den Rassen verweisen? Will man sich davon abgrenzen?
Fischer: Selbstverständlich wollen wir uns von diesen Kreisen abgrenzen. Und selbstverständlich entbehrt, was ich gerade sagte, die Rasse als solche jeder Grundlage. Die Anwendung ist damit nichts anderes als biologisches Unverständnis. Oder man nutzt geradezu absichtlich falsches biologisches Wissen, um andere Menschen zum Beispiel zu diskriminieren aufgrund ihrer Hautfarbe oder aufgrund von anderen Dingen, auch zum Beispiel aufgrund ihres Fortpflanzungsverhaltens. Es gibt alle möglichen Formen von Diskriminierung. Und die Biologie darf niemals mehr eine Grundlage für solche Diskriminierungen liefern – das sagt die Jenaer Erklärung, die gestern Abend von vielen Hundert Menschen in Jena durch Akklamation verabschiedet wurde.
Krauter: Also es geht letztlich darum, auch einer Instrumentalisierung der Biologie das Wasser abzugraben.
Fischer: Auch das. Die Biologie hat, was das betrifft, eine verhängnisvolle Geschichte, nicht nur in Deutschland im Dritten Reich, sondern an vielen Punkten – denken Sie an die Apartheid, alles das ist noch gar nicht so lange her. Die Biologie muss heute offensiver und klarer damit umgehen und muss verhindern, dass biologische Argumente benutzt werden in sozialem oder sozialpsychologischem Kontext.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.