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Streit mit der Nato
"Wir brauchen Russland"

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat sich besorgt über das Säbelrasseln zwischen Russland und der Nato geäußert. Mützenich sagte im Deutschlandfunk, eine weitere Eskalation müsse unbedingt verhindert werden. Man müsse ernst nehmen, dass Russland glaube, sich verteidigen zu müssen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gerd Breker | 17.06.2015
    Rolf Mützenich (SPD)
    Rolf Mützenich (SPD) (imago / Metodi Popow)
    Es sei richtig, mit Moskau im Gespräch zu bleiben, wie es die Bundesregierung versuche. Insbesondere das von den USA geplante Raketenabwehrsystem stehe einer Verständigung im Weg. Der Abwehrschirm gehöre auf den Verhandlungstisch, forderte Mützenich.
    Er verwies zudem auf die Bedeutung Russlands zur Lösung internationaler Konflikte. "Ohne Russland werden wir bestimmte Dinge nicht bewegen", betonte der SPD-Politiker. So sei die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen nur durch die Unterstützung Russlands möglich gewesen.

    Das Interview in voller Länge:
    Gerd Breker: Noch sind es kleine Schritte, aber sie führen in eine bedenkliche Richtung. Es wird einfach kälter. Der Westen, insbesondere die USA verlegen schwere Waffen gen Osten. Der Krieg in der Ukraine hat die Besorgnis vor dem großen Nachbarn in den baltischen Staaten wachsen lassen. Sie wollen sich ihres Schutzes sicher sein. Doch im Russland des Präsidenten Putin stellt man fest: Die NATO, sie rückt uns näher. Und so antwortet man mit der Ankündigung, man werde noch in diesem Jahr mindestens 40 neue Interkontinentalraketen, die atomar bestückt werden, aufstellen. Das nennt die NATO „atomares Säbelrasseln", Worte wie aus dem Kalten Krieg.
    Es war schon angesprochen: Neue Raketen, die die Vereinigten Staaten erreichen können, das kann Washington nicht unberührt lassen. Und so kam die Reaktion der Obama-Administration prompt und entschieden. In Berlin am Telefon ist Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und zuständig für die Außenpolitik. Guten Tag, Herr Mützenich.
    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Die Entwicklung nimmt eine besorgniserregende Richtung an. Es fühlt sich an, es hört sich an wie Kalter Krieg.
    Mützenich: Das stimmt. Auf jeden Fall sind die Reflexe, die wir immer noch aus dem Kalten Krieg kennen, mit der heutigen Situation vergleichbar und es gibt auf allen Seiten auch offensichtlich Akteure, die dies gerne instrumentalisieren. Dennoch müssen wir uns darüber im Klaren werden: Der Kalte Krieg war befördert gewesen von einer Systemkonkurrenz, einer politisch-ideologischen Auseinandersetzung, die auch mit militärischen Mitteln auch außerhalb dann der Bündnissysteme geführt wurde. Dass es aber natürlich durchaus auch ein Risiko ist, was jetzt betrieben wird, das darf man nicht klein reden.
    "Man muss über die verschiedenen Bedrohungsanalysen reden"
    Breker: Ist es das, was wir davon haben, dass wir Russland isoliert haben?
    Mützenich: Wir haben Russland nicht in dem Sinne isoliert, dass man das jetzige Verhalten allein aus außenpolitischen Bezügen heraus erklären kann. Ich glaube, auch viele innenpolitische Motive spielen eine Rolle und der Bericht aus Moskau hat das ja auch noch mal deutlich gemacht. Was wir sehr ernst nehmen müssen, ohne uns mit dieser Situation gemein zu machen, ist, dass Russland glaubt, sich verteidigen zu müssen, und dass sozusagen es zu einer Stufeneskalation kommt, das muss man verhindern. Man muss über die verschiedenen Bedrohungsanalysen letztlich reden und deswegen ist auch das, was die Bundesregierung, was der Außenminister, die Bundeskanzlerin tun, im Gespräch zu bleiben, der richtige Schritt.
    Breker: Es sind die Gefühle der Bedrohung. Die gibt es auf der einen Seite in Russland, wie wir gerade aus Moskau gehört haben. Die gibt es auf der anderen Seite bei den baltischen Ländern. Was kann man gegen ein Gefühl der Bedrohung tun?
    Mützenich: Man kann insbesondere versuchen, mit den Partnern über gemeinsame Schritte unter dem Rahmen auch der Verträge mit Russland zu sprechen. Die schnelle Eingreiftruppe, das was Sie geschildert haben aus den Entscheidungen der Nato in Wales, sind die Schlussfolgerungen. Das was aber zum Beispiel jetzt auch erneut diskutiert wird, ständige Truppenstationierungen, würde natürlich eine Herausforderung für das Nato-Russland-Statut bedeuten, und ich finde, das wäre kein kluger Schritt.
    "Das Raketenabwehrsystem steht immer noch im Wege"
    Breker: Es sind im Moment kleine Schritte, mehrere kleine Schritte, die da vollzogen werden, und man könnte die Sorge haben, dass man am Ende aufwacht und sich mitten im Kalten Krieg befindet, und dann hat man keine Foren der Verständigung, wo man reden kann.
    Mützenich: Das ist richtig. Deswegen war ja auch der Vorschlag, den der deutsche Außenminister in die Nato eingebracht hat, zumindest einen Kanal zwischen den Militärs wieder zu haben, durchaus zweckmäßig gewesen, und der ist ja jetzt auch wieder eingerichtet worden. Auf der anderen Seite möchte ich daran erinnern: Präsident Putin hat ja die Modernisierung, die ja seit einigen Jahren auch läuft innerhalb der russischen Nuklearstreitkräfte, damit begründet, dass es jeden Abwehrschirm überwinden würde, und genau an dieser Stelle, finde ich, müssen wir auch gegenüber den USA deutlich machen, das Raketenabwehrsystem steht immer noch im Wege auch für eine Verständigung, obwohl Präsident Obama auf die Verwirklichung der vierten Stufe verzichtet hat. Aber ich finde, gerade das, was Russland tut, muss auch in den USA Beachtung finden, und deswegen war das, was Außenminister Kerry gesagt hat, durchaus in die richtige Richtung. Aber daraus müssen Schritte auch der Kooperation und der Verständigung mit Russland führen.
    Breker: Brauchen wir also eine Wiederbelebung des Nato-Russland-Rates?
    Mützenich: Wir brauchen auf der einen Seite verlässliche Institutionen. Aber ich würde mir auch wünschen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder auf die Tagesordnung kommt, und das war ja durchaus ein wichtiges, ich glaube, auch persönliches Anliegen des amerikanischen Präsidenten Obama gewesen. Ich erinnere an seine Rede, als er noch Kandidat war, hier in Berlin, oder in Prag. Und es sind ja auch Verabredungen getroffen worden. Aber das gehört jetzt auf die Tagesordnung, auch zwischen Nato und Russland, aber insbesondere auch in den bilateralen Beziehungen zwischen Russland und den USA. Und noch mal: Der Raketenabwehrschirm wird immer noch in Russland anders interpretiert, als es die Nato beziehungsweise insbesondere die USA sehen, und das gehört auf den Tisch der Verhandlungen.
    "Ohne Russland werden wir bestimmte Dinge nicht bewegen können"
    Breker: Auf den Tisch der Verhandlungen, sagen Sie, Herr Mützenich. Heißt das, das ließe sich auch wegverhandeln?
    Mützenich: Ich weiß nicht, ob man es wegverhandeln kann. Dafür sehe ich zurzeit keinen Optimismus. Aber ich glaube, man muss versuchen, Wahrnehmungen, die es auf unterschiedlichen Seiten gibt, auch immer wieder in Gespräche letztlich einzubringen und das, was wahrscheinlich auch in Russland eine gewisse Beförderung ist. Ihnen geht es ja nicht darum, alleine von Europa wahrgenommen zu werden, sondern eben auch von der Welt und durchaus von den USA als ein wichtiger Faktor in der internationalen Politik. Und wir müssen zugestehen: Ohne Russland werden wir bestimmte Dinge auch nicht bewegen können. Die Vernichtung des zumindest bekannten Teils der chemischen Waffen aus Syrien war auch nur mithilfe Russlands möglich gewesen und ich finde, das muss auch in die Diskussion eingebracht werden. Hier war Russland hilfreich.
    Breker: Keine Verständigung mit Russland bedeutet, dass die Krisen dieser Welt nicht gelöst werden.
    Mützenich: In der Tat. Wir brauchen Russland. Russland ist Mitglied des Sicherheitsrates, ein Vetoplayer in der internationalen Politik. Russland ist durchaus ein wichtiges Land. Aber natürlich müssen wir uns auch darüber im Klaren werden und das müssen wir auch in Moskau deutlich machen: Sie werden alleine auf der internationalen Bühne auch keinen durchschlagenden Erfolg haben. Nur kooperative Ansätze werden es schaffen, auch die Bedrohungssituation für Russland zu minimieren, und der Nahe und Mittlere Osten ist durchaus auch eine Bedrohung für Russland.
    Breker: Kommen wir noch einmal, Herr Mützenich, auf die Aufrüstung zurück. Ist nicht eigentlich schon die Modernisierung von Waffen eine Aufrüstung?
    Mützenich: In der Tat. Das ist auch immer der Widerspruch natürlich der Rüstungskontrolle. Das muss man leider aushalten, weil auf der einen Seite der Abbau von Waffen oft die Modernisierung nicht ausschließt, und das haben wir auch durch die bisherigen Verträge nicht erreicht. Die Präzisierung nimmt zu. Wir hatten aber auch eine Tendenz in der Vergangenheit, dass die atomare Frage nicht mehr so stark im Vordergrund gestanden hat, sondern insbesondere die konventionellen Dinge. Und wenn ich noch mal ganz kurz sagen darf: Auch die Kleinwaffen sind eine sehr große Bedrohung. Von daher, glaube ich, ist es umso notwendiger, auch Verknüpfungspunkte zu finden für die Diskussion. Wir müssen die Wiederbelebung auch der Abrüstungsgespräche in Genf mit auf die Tagesordnung setzen. Und hier hat durchaus Deutschland auch ein gewichtiges Wort mitzureden und auch einzubringen.
    Breker: Sie haben Deutschland angesprochen. Wir haben nicht nur ein gewichtiges Wort mitzureden, Herr Mützenich; wir haben auch eine besondere Verantwortung.
    Mützenich: Wir haben die Verantwortung und ich glaube, sie ist auch in den vergangenen Monaten wahrgenommen worden. Ohne, glaube ich, auch die deutsche Stimme, ohne die Beteiligung wäre es nicht möglich gewesen, eine doch Konflikteskalation in der Ukraine zumindest so einzufrieren, dass sie nicht über diesen Raum hinaus auch Wirkung entfaltet hätte. Das hat den Menschen leider nicht viel geholfen. Wir haben eine humanitäre Situation dort vor Ort, die immer noch nicht gelöst ist, und insbesondere wird Minsk nicht in allen Punkten abgearbeitet. Aber das hat nicht nur die russische Seite zu verantworten, sondern wir müssen auch der ukrainischen Regierung deutlich machen, auch sie sind hier Verpflichtungen eingegangen, die umgesetzt werden müssen.
    "Einfache, einseitige Schritte sind nicht erlaubt"
    Breker: Brauchen wir nicht eine neue Konferenz, wie auch immer, wo auch immer, die auf Initiative Deutschlands angeführt wird, mit Russland?
    Mützenich: Das wäre gut. Ich sehe aber zurzeit nicht diesen Schritt. Ich glaube, was wir jetzt überhaupt erst mal wieder brauchen ist eine gewisse Vertrauensbildung, die ja ohnehin schon schwer möglich ist. Daraufhin ist ja auch Minsk angelegt gewesen. Wir brauchen das Gespräch. Vielleicht brauchen wir auch kleine Foren. Und was Deutschland auf keinen Fall machen darf: Es darf nicht über die Köpfe der Partner, anderer hinweg bestimmte Verabredungen mit Moskau treffen, oder überhaupt den Eindruck letztlich zu erwecken. Deswegen ist das, was wir innerhalb von internationalen Organisationen tun können, gut eingebettet. Einfache, einseitige Schritte sind nicht erlaubt.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das Rolf Mützenich. Er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und zuständig für die Außenpolitik. Herr Mützenich, ich bedanke mich für dieses Gespräch.
    Mützenich: Ich bedanke mich für die Einladung, Herr Breker. Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.