Freitag, 19. April 2024

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Streit mit Zulieferern
"Volkswagen ist professionell"

Im Zulieferstreit bei Volkswagen hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) das Unternehmen in Schutz genommen. Es stelle sich die Frage, warum die Firmen ES Automobilguss und Car Trim den harten Weg des Lieferstopps gegangen seien, statt auf Verhandlungen zu setzen, sagte er im Deutschlandfunk.

Olaf Lies im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.08.2016
    Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies spricht im Landtag.
    Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies spricht im Landtag. (dpa / picture alliance / Holger Hollemann)
    VW arbeite professionell, betonte Lies, der für den Anteilseigner Niedersachsen im Aufsichtsrat von VW sitzt. Auch aufgrund des hohen Preisdrucks sei die Zusammenarbeit mit den Lieferanten aber nicht immer einfach. Im aktuellen Fall stelle sich die Frage, warum die Zulieferfirmen den harten Weg des Lieferstopps gegangen seien und "warum es an dieser Stelle so schnell eskalieren musste".
    "Die Beschäftigten leiden"
    Es habe in der Vergangenheit immer Gespräche zwischen VW und den Lieferanten gegeben. Beide Seiten seien eng miteinander verzahnt und voneinander abhängig. "Es ist ein ganz enges Geflecht", betonte der Minister. Zugleich machte er deutlich, dass ihm daran gelegen ist, nun eine schnelle Lösung zu finden. Unter dem Konflikt "leiden die Beschäftigten bei VW und den Zulieferfirmen", so Lies. Ein "langer Weg" zu einem Ende des Konflikts sei den Mitarbeitern nicht zuzumuten.
    Lieferverpflichtungen sollen nicht "unterwandert" werden
    In Zukunft werde man noch genauer darauf achten müssen, dass die Verhandlung über einen neuen Vertrag nicht dazu genutzt werde, um bestehende Lieferverpflichtungen zu "unterwandern", so dass es wieder zu einer Weigerung der Lieferfirmen kommen könne, neue Bauteile zu liefern, erklärte Lies weiter. Man müsse sehen, wie es für alle nicht nur in naher Zukunft, sondern auch in den nächsten Monaten weitergehe. Es sei bereits viel Vertrauen zerstört worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Die Gespräche sollen also fortgesetzt werden, Beschlagnahmen werden aber derweil trotzdem vorbereitet, lässt VW noch mitteilen. David gegen Goliath irgendwie – der Riese, allmächtig, durch den Lieferstopp in die Knie gezwungen von einem in seiner Existenz bedrohten Zulieferer. Und doch stimmt es nicht das Bild. Für Außenstehende ist es nicht leicht auszumachen, wer da gut und wer böse ist, der große Weltkonzern oder der kleine Zulieferer, dessen Mutterkonzern auch nicht umstritten ist.
    Fragen wir also einen, der Besitzer des Volkswagenkonzerns, das Land Niedersachsen mit 20 Prozent an VW beteiligt – am Telefon begrüße ich Olaf Lies. er Sozialdemokrat ist Wirtschaftsminister in Niedersachsen und in dieser Funktion auch seit gut drei Jahren Mitglied des Aufsichtsrates bei VW. Guten Morgen, Herr Lies!
    Olaf Lies: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Wir haben gerade gehört – Sie wollen vermitteln. Gibt es denn Gut und Böse in diesem Streit?
    Lies: Zunächst mal gibt es die, die drunter leiden, und das sind die Beschäftigten bei Volkswagen. Aber es sind auch die Beschäftigten bei ES Guss und Car Trim, denn die sind ja genauso davon betroffen. Auch dort geht es um Beschäftigte, die sich Sorgen machen um ihren Arbeitsplatz. Und insofern ist es sicherlich ein guter Weg, auch mit dem Kollegen in Sachsen zu klären, wie sieht die Situation vor Ort aus, und wie findet man eigentlich eine Lösung, die nicht bedeutet, die Beschäftigten haben die Last zu tragen, sondern die sollen die Verantwortung übernehmen, die in den Vorständen auch sitzen, die sollen sich verständigen und einigen. Das ist, glaube ich, eine Erwartungshaltung, die wir alle haben.
    Zulieferer und Automobilkonzerne "sind voneinander abhängig"
    Dobovisek: Dann suchen wir Journalisten ja immer gerne nach dem Schuldigen – sehen Sie einen solchen?
    Lies: Das ist vielleicht nicht ganz einfach auszumachen, weil wir ja nicht alle Hintergründe kennen. Tatsache ist aber, dass die Zulieferer, und gerade auch die mittelständischen Zulieferer, und die Automobilkonzerne ganz eng miteinander verzahnt sind. Sie sind voneinander abhängig. Sowohl der Zulieferer, der natürlich seine Teile ausliefern muss, damit er seine Einnahmen generiert, wie auch der Hersteller, der die Teile dringend benötigt.
    Insofern ist dieses Geflecht so eng, dass in den letzten Jahrzehnten, bis auf eine einzige Ausnahme, eine solche Situation nie entstanden ist. Man fragt sich schon, warum der klassische Verhandlungs- oder auch Rechtsweg nicht ausreichend gewesen sein soll, eine Lösung herbeizuführen, also warum man diesen Lieferstopp am Ende dann genutzt hat.
    Dobovisek: Haben Sie im Aufsichtsrat jemals über die Zulieferer aus der Prevent Gruppe gesprochen?
    Lies: Nein, das ist ja auch die Aufgabe des Vorstandes, Aufgabe der Geschäftsführung, zu sagen, die Lieferanten zu bestimmen. Ich meine, es werden über zehn Millionen Autos beim Volkswagen-Konzern jedes Jahr gebaut. Das sind über 600.000 Beschäftigte bei 100 Werken. Natürlich gibt es dort eine Vielzahl von Zulieferern.
    Was ich nur weiß, ist, dass man über viele, viele Jahre sehr vertrauensvoll auch mit ES Guss zusammengearbeitet hat und man sich schon fragen muss, was sich in den letzten Monaten an der Zusammenarbeit, auch aus der Sicht von ES Guss, verändert hat, dass diese vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht dazu geführt hat, dass man auch einen Konflikt oder eine Auseinandersetzung, die ja nun über einen Vertrag möglicherweise da war, anders löst.
    Dobovisek: Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer erhebt schwere Vorwürfe gegenüber VW. Angeblich hätten Unternehmer der Prevent Gruppe schon in der Vergangenheit mit Lieferstopps gedroht, es sei also unprofessionell, im Einkauf eines wichtigen Teils nur auf einen einzigen Zulieferer zu setzen. War, Herr Lies, VW unprofessionell?
    Lies: VW ist professionell, das zeigt sich, glaube ich, am Erfolg der letzten Jahrzehnte und zeigt sich, glaube ich, auch an der hohen Qualität der Produkte und an der engen Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie. Die ist nicht einfach, für beide Seiten nicht, sicherlich auch ein harter Kampf um den richtigen Preis – da bin ich mir ziemlich sicher –, aber es profitieren am Ende, wenn es denn gelingt, beide davon. Woher Herr Dudenhöffer seine Expertise hat, wann denn wo nur ein Hersteller genutzt wird und wann es tatsächlich mehrere Partner gibt, mit denen man zusammenarbeitet, das erschließt sich mir an dieser Stelle auch nicht.
    "Hier eskaliert eine Situation"
    Dobovisek: Na ja, Sie sitzen im Aufsichtsrat, Herr Lies, und das ist ja schon auch eine Aufgabe des Aufsichtsrates, mit sicherzustellen, dass die Produktion aufrechterhalten werden kann, wenn da offensichtlich was schief läuft.
    Lies: Also Tatsache ist, dass es sicherlich auch darum geht, jetzt zu klären, gibt es vergleichbare Fälle, gab es Anzeichen – all diese Dinge müssen selbstverständlich aufbereitet werden. Wir reden ja nicht davon, dass es hier ein kurzes Problem gibt, sondern hier eskaliert eine Situation, und am Ende sind jetzt zumindest schon zum heutigen Zeitpunkt erkennbar 20.000 Beschäftigte davon betroffen. Also das ist nichts, was man einfach vom Tisch wischt, sondern das ist etwas, was man sehr genau analysieren muss und auch überlegen muss, ob die Strukturen und Entscheidungswege in der Vergangenheit und für die Zukunft so richtig sind.
    Dobovisek: Ein zweiter Vorwurf neben dem Einkauf lautet ja wohlwissend, dass es jeweils nur einen Lieferanten für die Stoffe und die Getriebeteile gab, hätte VW nicht den Rechtsweg gehen sollen, so wie es jetzt geschehen ist, der sei zu langsam und zu unsicher. Das Ergebnis sehen wir jetzt – die Bänder stehen still. Ein Fehler, Herr Lies?
    Lies: Ich glaube, dass es einen intensiven Verhandlungsweg immer gegeben hat, und zwar nicht nur mit den beiden Zulieferern, sondern ständig. Das gehört ja auch dazu. Noch mal: es ist ein ganz enges Geflecht. Das ist wie zwei Zahnräder, die ineinandergreifen, da kann nicht einer sagen, ich hör auf, dann leiden beide drunter, und das gilt für die Zulieferindustrie genauso. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sehr intensive Verhandlungsgespräche geführt hat.
    Deswegen stellt sich auch für mich die Frage, warum die Prevent Group, die ja nun doch verantwortlich, auch wenn sie das immer anders darstellt, für ihre beiden Unternehmen ist, nun an der Stelle auch diese harte Tour gefahren ist. Auch diese Frage wird man sich ja stellen müssen. Warum an dieser Stelle? Warum gab es auch aus Sicht des Zulieferers, der ja auch über diesen Zeitpunkt hinaus Interesse an der Zusammenarbeit hat, nicht den vernünftigen Verhandlungsweg? Warum gab es den Weg, dass man es am Ende halt so eskalieren lässt?
    "Ohne Zulieferindustrie funktioniert das System nicht"
    Dobovisek: Sie haben, Herr Lies, das Bild von Zahnrädern gebraucht, die ineinandergreifen. Das bedingt ja auch, dass die gleich stark sind. Das ist ja in dem Fall oft nicht so, sondern – und das hören wir immer wieder aus der Branche –, dass großer Druck herrscht, Druck von den großen Konzernen auf die kleinen Zulieferer. Was läuft da schief?
    Lies: Tatsache ist sicherlich, dass der Kostendruck insgesamt in der Wirtschaft, aber vor allen Dingen auch in der Automobilindustrie sehr hoch ist. Wir sind in einem internationalen Wettbewerb, und das bedeutet natürlich für alle Partner, dass ständig ein neuer Kostendruck kommt. Das gilt für den Hersteller genauso wie für die Zulieferindustrie. Aber noch mal: ohne Zulieferindustrie, ohne die funktionierende Zuarbeit, das sehen wir, glaube ich, gerade mit großen Erschrecken, funktioniert das System nicht.
    Wir reden ja nicht von Zulieferindustrie, die irgendwo sitzt, sondern das ist ein deutscher Mittelständler, der der Zulieferer ist. Ich sage mal, die im Grunde vertrauensvolle Zusammenarbeit, die wir uns auch in der Politik wünschen, sodass die Wertschöpfung auch in starkem Maße in Deutschland bleibt, also das ist an der Stelle eigentlich gelungen, über viele Jahre und Jahrzehnte auch hervorragend gelungen. Also es bleibt die Frage, warum es an dieser Stelle, zu diesem Zeitpunkt, vor allem, aus welchem Grund so eskalieren musste.
    "Da ist Vertrauen zerstört worden"
    Dobovisek: Wie wollen Sie in diesem festgefahrenen Streit jetzt vermitteln, es muss ja schnell gehen offensichtlich?
    Lies: Zumindest sind heute wieder die Verhandlungspartner am Tisch, die – das ist natürlich die große Hoffnung – sich hoffentlich verständigen. Es wird ja möglicherweise auch nicht nur um die Frage des Vertrages gehen, der nun gekündigt worden ist. Es wird sicherlich auch um die Frage gehen, wie sollen denn die nächsten Monate und Jahre aussehen, und da ist ja schon Vertrauen zerstört worden. Das muss man ganz offen sagen. Also das wird sicherlich nicht ganz einfach. Ich kann nur alle Beteiligten ermuntern, es jetzt nicht auf den langen Weg ankommen zu lassen. Das ist den Beschäftigten sowohl in Sachsen bei den beiden Unternehmen wie auch den Beschäftigten bei Volkswagen nicht zuzumuten.
    Also das muss der Weg sein, und mein Interesse liegt daran, auch mit meinen Kollegen in Sachsen mich darüber auszutauschen, wie ist eigentlich die Situation dort vor Ort, damit man eben an der Stelle nicht David gegen Goliath auch in der Politik spielt und sagt, na ja, hier geht es ja um Volkswagen, bei euch geht es ja nur um die Zulieferer. Sondern die Beschäftigten dort sind genauso wichtig, die haben genauso einen Anspruch darauf, zu wissen, wie es weitergeht. Deswegen, glaube ich, ist es auch wichtig, sich zu informieren, wie ist denn da eigentlich die Situation, wie kann man vielleicht auch aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen, die dort sind, dazu beitragen, dass alle Seiten sich bemühen, wirklich alle Seiten sich bemühen, diesen Konflikt zu lösen.
    Dobovisek: Was lernen wir, Herr Lies, aus diesem Fall für die Zukunft?
    Lies: Wenn bis auf den Fall, den es, glaube ich, Ende der 90er gab, haben wir eine solche eskalierende Situation noch nicht gehabt. Auf der einen Seite zeigt das noch mal sehr deutlich, wie abhängig auch die Hersteller natürlich von ihren Zulieferern sind. Das zeigt auch, wie eng dieses Geflecht auch sein soll und sein muss – anders wird es gar nicht funktionieren. Wir werden auch nicht die gesamte Wertschöpfungstiefe, die da ist, wieder zurück in ein Unternehmen holen.
    Also man wird gerade in den Verträgen, die man schließt, möglicherweise noch detailliert und noch genauer drauf achten müssen, dass nicht die Verhandlung über einen neuen Vertrag genutzt wird, um bestehende Lieferverpflichtungen, die ja nun mal da sind, die auch überhaupt nicht infrage gestellt werden, in dieser Form zu unterwandern und die entsprechenden benötigten Teile nicht auszuliefern. Ich glaube, dass man sich das noch mal sehr genau ansehen wird. Das Landgericht sagt ja, sie müssen liefern, aber selbst diese Entscheidung des Landgerichts, die eindeutig ist, hat keine Auswirkung auf das Verhalten der beiden Firmen, und das wird uns schon sehr intensiv zum Nachdenken bewegen.
    "Volkswagen ist ein Teil von Niedersachsen"
    Dobovisek: Weiter belastet auch der Abgasskandal sowohl das Image als auch die Bilanzen von Volkswagen. Die Aktie hat sich zwar inzwischen erholt, war aber zwischenzeitlich um die Hälfte ihres Spitzenwertes eingebrochen. 20 Prozent, habe ich vorhin auch schon gesagt, hält Niedersachsen – wie viel Geld hat das Land denn bisher verloren, Herr Lies?
    Lies: Jetzt muss man unterscheiden: das Land ist ja kein Spekulant, kauft Aktien und verkauft Aktien. Volkswagen ist ein Teil von Niedersachsen. Das liegt an der Zahl der Werke und an den vielen Beschäftigten. Volkswagen und Niedersachsen sind damit eng miteinander verbunden. Es gibt also überhaupt kein Interesse, Aktien des Volkswagenunternehmens zu verkaufen. Also wir sind ein strategischer Investor, wir sind Partner von Volkswagen. Insofern kann man es nicht umrechnen. Für uns zählt ja auch mehr als nur der Aktienkurs. In Niedersachsen arbeiten weit über 100.000 Menschen bei Volkswagen, und das sorgt dafür, dass 240.000 Menschen allein in der Automobilindustrie arbeiten.
    Dobovisek: Und deshalb wollen Sie auch nicht klagen, anders als Bayern?
    Lies: Wir haben rechtlich betrachtet gar keine Klagemöglichkeit, weil wir ja nicht das Ziel hatten, Aktien zu verkaufen, sondern wir sind ja ein strategischer Partner. Wir haben nicht die Idee, heute Aktien von Volkswagen zu besitzen, um sie morgen mit einem größeren Mehrwert zu verkaufen. Sondern Niedersachsen hat 20 Prozent Anteil am Konzern, Niedersachsen hat das Volkswagengesetz, auf das wir sehr viel Wert legen, für das wir uns sehr eingesetzt haben, und Niedersachsen ist an der Stelle strategischer Partner und nicht kurzfristiger Investor oder jemand, der an der Stelle mit Aktien Gewinne erzielen will.
    Dobovisek: Der SPD-Politiker Olaf Lies, Wirtschaftsminister in Niedersachsen und damit VW-Aufsichtsratsmitglied. Vielen Dank für das Interview!
    Lies: Gern geschehen, ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.