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Streit um Abtreibungswerbung
150.000 Unterschriften gegen den Paragrafen 219a

Die Ärztin Kristina Hänel hat nach Überzeugung des Amtsgerichts Gießen gegen das im Paragrafen 219a festgeschriebene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche verstoßen. Sie muss eine Geldstrafe zahlen. Nun hat die Ärztin dem Bundestag über 150.000 Unterschriften für die Abschaffung des entsprechenden Gesetzes überreicht.

Von Anja Nehls | 12.12.2017
    Ärztin Kristina Hänel nimmt in Berlin in den Räumen von Change.org e.V. im Haus der Bundespressekonferenz an einer Pressekonferenz teil.
    Kristina Hänel ist vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie im Internet über die Möglichkeit zur Abtreibung informiert hatte (picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa)
    Die Gießener Ärztin Kristina Hänel wirkt erschöpft. Sie sitzt in einem winzigen Raum der Organisation Change.org in Berlin vor zwei Dutzend dicht gedrängten Journalisten und einem großen Pappschild mit der Zahl 150.000. So viel Unterstützer hat Kristina Hänel mit Hilfe von Change.org gewonnen, die mit ihr zusammen fordern, den Paragrafen 219a abzuschaffen oder wenigstens zu verändern.
    "Ich bin Ärztin, ich bin für das Informationsrecht für Frauen, damit bin ich angetreten. Es ist, glaube ich, Konsens in der Gesellschaft, dass das Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch Realität werden muss und dass der Paragraf 219a dem entgegenspricht."
    Der Paragraf 219a galt bereits in der Nazi-Zeit
    Dafür kämpft die sportliche 61-Jährige schon lange, aber ganz besonders seit dem 24. November. An diesem Tag ist sie zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf ihrer Homepage darüber informiert, dass ein Schwangerschaftsabbruch zu ihren Leistungen gehört, darüber, wie er genau abläuft und welche Risiken es gibt. Laut Paragraf 219a ist es Ärzten aber verboten für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Auf Hänels Homepage stehen keine Preise und von werblicher Aufmachung sind die Informationen weit entfernt. Das dürfe nicht in einen Topf geworfen werden, finden die Frauen, die die Petition unterschrieben haben:
    "Es muss ja auch kundgetan werden, welcher Arzt das macht, die Abtreibung, es ist unmöglich, kippt dieses Gesetz aus den Fugen, finde ich. Natürlich braucht man die Informationen, natürlich braucht man die, die wird dann immer unter der Hand weitergegeben und natürlich ist es gut, die auf einer Homepage zu finden, heutzutage im Digital Zeitalter – Es ist aberwitzig, weil andere Leistungen ja auch auf den Portalen dargestellt werden, also wenn ich Akupunktur mache oder andere Leistungen darf ich es ja auch auf den Homepages darstellen, ja warum das nicht, nur weil es ethisch irgendwie anders belegt ist."
    Das hat bereits eine lange Geschichte. Denn der Paragraf 219a galt bereits in der Nazi-Zeit:
    "Es spielten für diesen Paragrafen und dessen Wiedereinführung 1933 im wesentlichen gesellschaftliche Moralvorstellungen eine Rolle."
    Sagt die Rechtsanwältin und Initiatorin der Initiative nazifreies Recht Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier. Außerdem hatte der Paragraf noch einen anderen Zweck, ergänzt Ärztin Kristina Hänel:
    "Er wurde geschaffen, um jüdische Ärzte zu diffamieren, ihnen die Approbation zu entziehen, sie ins Gefängnis zu bringen, sie umzubringen, sie in die Emigration zu zwingen."
    Jede vierte Frau in Deutschland treibt einmal in ihrem Leben ab
    Und deshalb sei der Paragraf heute nicht mehr akzeptabel, so die Unterstützer der Petition. Dennoch ist die Gießener Ärztin bereits mehrmals von Abtreibungsgegnern angezeigt worden. Zweimal wurde das Verfahren eingestellt. Auch andere Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, haben mit Diffamierungen zu kämpfen und das wird Folgen haben, warnt Stefan Nachtwey vom Familienplanungszentrum Berlin.
    "Wenn eine Ärztin in einem Klima arbeitet, in dem sie stigmatisiert wird, in dem sie Angst haben muss, dass sie angezeigt wird, dann überlegt sie oder er sich das zwei oder dreimal, will ich das tun."
    Jede vierte Frau in Deutschland treibt einmal in ihrem Leben ab, weltweit sogar jede zweite. Der Schwangerschaftsabbruch nach genauen gesetzlichen Vorgaben ist der häufigste chirurgische Eingriff in der Gynäkologie. Und die Versorgung der Frauen sei bereits jetzt gefährdet, sagt Kersten Artus, von Pro Familia Hamburg.
    "Wir haben in den nächsten Jahren ein massives Versorgungsproblem, vor allem in der Fläche, in den Ecken wie Gießen, ist ja auch ein Landkreis oder in Bayern oder in anderen Großregionen müssen die Frauen 100 Kilometer und mehr fahren, um einen Schwangerschaftsabbruch machen zu lassen."
    Hänel will notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen
    In ihrer Region im Raum Gießen sei ihre Praxis die einzige, die so etwas vornimmt und dabei alle gängigen Methoden – selbstverständlich nach umfassender persönlicher Beratung - anbietet, sagt Kristina Hänel. Dass sich eine Frau durch eine Information auf der Homepage eher für eine Abtreibung entscheide, hält die 61-Jährige für Quatsch:
    "Also welche Frau, die ungewollt schwanger ist, lässt sich von irgendjemand da reinreden, einen Abbruch zu machen, wenn das nicht ihre innere Not ist. Keine Frau würde sich von irgendjemanden zu einem Abbruch bringen lassen, den sie nicht innen drin selbst entscheidet."
    Kristina Hänel hat gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt und will notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Unterstützung bekommt sie aus der Politik, von SPD, Linken, den Grünen und der FDP- Es geht darum, den Paragraf 219a ganz abzuschaffen oder so abzuschwächen, dass nur noch "grob anstößige" Werbung für Schwangerschaftsabbrüche strafbar ist. Erste Erfolge scheint ihre Initiative bereits zu haben: Der Berliner Senat hat heute einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen beschlossen und will die Vorlage nun beim Bundesrat einreichen. Der Entwurf sieht vor, den Paragraf 219a Strafgesetzbuch aufzuheben.