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Streit um G36-Sturmgewehr
"De Maizière bleibt belastet"

Im Streit um das Sturmgewehr G-36 sieht Linken-Politiker Jan van Aken Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière weiterhin belastet. Statt die Aufklärung offensichtlicher Mängel des Gewehrs voranzutreiben, habe der CDU-Politiker ein "Gefälligkeitsgutachten" in Auftrag gegeben, sagte van Aken im DLF.

Jan van Aken (Linke) im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.06.2015
    Der Rüstungsexperte der Partei Die Linke im Bundestag, Jan van Aken, gibt am 26.02.2010 in Berlin vor dem Fraktionssaal ein Statement zur der vorhergehenden Aktion während der Bundestagsdebatte über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ab.
    Der Rüstungsexperte der Linkspartei, Jan van Aken, wirft der Bundesregierung Heuchelei bei Rüstungsexporten vor. (dpa picture alliance / Robert Schlesinger)
    Dass de Maizières Nachfolgerin, Ursula von der Leyen, diesem nun ihre Dankbarkeit für "notwendige Untersuchungen" ausgesprochen habe, sei ein Höflichkeits-Statement, so van Aken. Für den verteidigungspolitischen Sprecher der Links-Fraktion ist auch der Vorwurf der Gefährdung von Soldaten nicht ausgeräumt. "Ich kann das nicht ausschließen", sagt van Aken im Deutschlandfunk. Trotz bekannter Mängel habe de Maizière Soldaten mit dem Gewehr nach Afghanistan geschickt.
    Auch müsse die mögliche Verwicklung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in die G36-Affäre aufgeklärt werden. Der Verdacht sei "nicht vom Tisch", so van Aken.
    Der heutige Bundesinnenminister de Maizière war am Mittwoch im Verteidigungsausschuss des Bundestages befragt worden. Darin hatte der frühere Verteidigungsminister Versäumnisse im Umgang mit dem Pannen-Gewehr G36 bestritten. Die ihm in seiner Amtszeit vorliegenden und von ihm angeforderten Untersuchungen und Berichte hätten stets ergeben, dass das G36 "ein richtiges und geeignetes Gewehr ist", hatte de Maizière nach seiner Befragung im Verteidigungsausschuss zu Protokoll gegeben.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Wie treffsicher ist das Standardgewehr der Bundeswehr, das G36? Seit Wochen dreht sich die öffentliche Diskussion darum. Im Verteidigungsministerium wurde die Frage schon vor Jahren gestellt und in verschiedenen Gutachten unterschiedlich beantwortet, bis vor kurzem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das Ende des G36 in seiner bisherigen Form beschloss. Hat ihr Vorgänger, der jetzige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, unverantwortlich gehandelt mit seiner Einschätzung, das Gewehr erfülle sehr wohl voll und ganz seinen Zweck? Der Verteidigungsausschuss des Bundestages wollte es gestern genau wissen und hörte beide Minister dazu an. - Am Telefon ist jetzt Jan van Aken. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag und er ist stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen!
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Kaess: Herr van Aken, Ursula von der Leyen hat sich ja gestern bedankt bei Thomas de Maizière und hat gesagt, sie habe auf die Untersuchungen, die er eingeleitet hat, aufbauen können, um zum Ergebnis zu kommen, dass das G36 ausgemustert oder nachgerüstet werden muss. Thomas de Maizière ist also komplett entlastet?
    van Aken: Na ja, er ist entlastet von seiner Fraktionskollegin Frau von der Leyen. Ganz praktisch muss man sagen, dass Herr de Maizière auch während seiner gesamten Amtszeit immer informiert war, und zwar ganz deutlich wurde ihm immer gesagt, da sind erhebliche Mängel an diesem Gewehr. Da gab es auch keine zwei Meinungen oder unterschiedliche Gutachten. In seiner gesamten Amtszeit, ich glaube, bis zum Dezember 2013 gab es immer nur eine Meinung, nur ein klares Testergebnis: Bei Temperaturänderungen schießt das Gewehr daneben. Das wusste er und er hat trotzdem nicht gehandelt. Da ist er schon belastet.
    "Das ist mir zu wenig für einen Minister"
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) geben am 10.06.2015 nach ihrer Aussage vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages im Paul-Löbe-Haus in Berlin zum umstrittenen Sturmgewehr G36, ein Statement ab. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
    Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen (beide CDU) vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
    Kaess: Aber noch mal zurück zu meiner Frage. Ohne Vorarbeit von Thomas de Maizière hätte die Bundeswehr unter Umständen immer noch ein fehlerhaftes Gewehr?
    van Aken: Im Gegenteil! Die letzte Untersuchung, die er in Auftrag gegeben hat, die ist am Ende ein Gefälligkeitsgutachten gewesen, das das Gewehr völlig entlastet hat. Und jetzt die abschließende Untersuchung, die jetzt im April veröffentlicht worden ist, die ist gar nicht von ihm in Auftrag gegeben worden. Das war wirklich ein Höflichkeits-Statement von Frau von der Leyen.
    Kaess: Aber Untätigkeit können Sie Herrn de Maizière nicht vorwerfen, denn er hat ja Untersuchungen eingeleitet und die waren offenbar, so wurde es jetzt dargestellt, die Grundlage für die Entscheidung von der Leyens.
    van Aken: Ja, aber wissen Sie, der stellt sich in den Ausschuss gestern und sagt, ja, ich hatte diese ganzen Informationen über erhebliche Mängel am Gewehr - das Gewehr, mit dem die Soldaten gerade in Afghanistan sind -, und dann sagt er wörtlich, "und dann habe ich energisch gehandelt und Untersuchungen in Auftrag gegeben." Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wenn ich ein Auto in die Werkstatt bringe und der Techniker sagt mir, Sie haben einen erheblichen Mangel an Ihrem Auto, dann setze ich mich doch nicht da rein und fahr los, sondern sage, beheben Sie den Mangel. Einfach nur Untersuchungen in Auftrag zu geben, das reicht nicht, wenn ich gleichzeitig Soldaten damit nach Afghanistan schicke.
    Kaess: Aber die Darstellung stimmt ja auch nicht ganz, denn Thomas de Maizière hat ja auch gesagt, das war das Lagebild zum Ende meiner Amtszeit. Die Mängel waren nicht groß genug, dass er einen Grund gesehen hätte, um Konsequenzen zu ziehen, das Gewehr tatsächlich schnell aus dem Verkehr zu bringen.
    van Aken: Das ist schlichtweg falsch. Die Untersuchungen, die bei der Bundeswehr gemacht worden sind, haben alle immer wieder ergeben, und das ist ihm vorgetragen worden, das ist ihm schriftlich vorgelegt worden, erhebliche Mängel mit hoher Einsatzrelevanz, und er tut nichts, außer neue Untersuchungen anzuordnen. Das ist mir zu wenig für einen Minister.
    Kaess: Aber Experten sagen auch, diese Tests am G36, das waren Labortests, und aus den Bundeswehreinsätzen im Ausland kamen überhaupt keine Mängelberichte.
    van Aken: Ja das ist natürlich eine Frage, die wir uns auch gestellt haben, und da hat der Generalinspekteur der Bundeswehr, Herr Wieker, gestern eigentlich eine relativ gute Erklärung gegeben. Er hat gesagt, natürlich hat ein Schütze im Einsatz, der gerade schießt, überhaupt kein Gefühl mehr für die Präzision seines Gewehres. Der hat ganz andere Probleme in der Situation. Insofern können wir uns das schon erklären. Es gibt aber auch Berichte aus der Bundeswehr, wo Soldaten zitiert werden, aus dem Verteidigungsministerium Soldaten zitiert werden mit, "Ich schieße die ganze Zeit und treffe überhaupt nicht, was ist da los".
    Kaess: Aber Ihr Vorwurf an de Maizière, er hätte Soldaten gefährdet damit, der ist zumindest überspitzt?
    van Aken: Können Sie das ausschließen, wenn Sie wissen, in Afghanistan wird es im Laufe des Tages richtig heiß, dann schießt das Gewehr daneben, dass das keine Gefährdung für die Soldaten ist, wenn sie denn angegriffen werden? Ich kann das nicht ausschließen.
    Kaess: Experten sagen auch, dass de Maizière berichtet wurde, diese Mängel bei der Treffsicherheit, die lagen an der Munition, und die ist damals ausgewechselt worden.
    "Das Gutachten ist nachweislich falsch"
    Ein Gewehr des Typs G-36
    Ein Gewehr des Typs G-36 (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
    van Aken: Das kam dann im Dezember 2013, also kurz vor Ende seiner Amtszeit. Das ist dann dieses Gefälligkeitsgutachten, wie ich das nenne, vom Fraunhofer-Institut, zu dem jetzt überraschenderweise keine einzige Dokumentation mehr existiert, wer es in Auftrag gegeben hat, wie es zustande gekommen ist, und da stand plötzlich drin - das war so ein richtiges Weißwaschen -, das Gewehr ist völlig in Ordnung, es liegt nur an der Munition. Das war aber erst im Dezember 2013.
    Kaess: Sie nennen es Gefälligkeitsgutachten. Aber unterm Strich müssen wir doch festhalten, es ist nach wie vor so: Wir haben Untersuchungen mit unterschiedlichen Ergebnissen und wir wissen eigentlich letztendlich nicht, welche Einschätzung stimmt.
    van Aken: Nein, das hat sich geändert. Erstens: Bis 2013 war alles eindeutig. Dann kam dieses Gutachten. Aber mittlerweile ist die Datenlage völlig klar. Egal welche Munition ich nehme, bei Temperaturänderung schießt das Gewehr daneben. Dieses Gutachten ist auch nachweislich falsch. Das ist mittlerweile auch von dem Institut selbst bestätigt worden.
    Kaess: Es gibt Medienberichte, der Militärische Abschirmdienst habe auch eine Rolle in der Affäre um das G36 gespielt. Ein Bundeswehrbeamter hat berichtet, der MAD habe die Weitergabe von vertraulichen Informationen an Journalisten überprüft und kritische Berichterstattung unterbunden. Das Ministerium hat diesen Bundeswehrmitarbeiter gestern noch dazu befragt und ist dann zu dem Ergebnis gekommen, das sei eine Einzelwahrnehmung gewesen. Also auch dieser Vorwurf ist vom Tisch?
    van Aken: Nein! Das ist ja gar nicht richtig mit der Einzelwahrnehmung. Es gibt zwei Dokumente. Es gibt zwei Menschen, die dokumentiert haben, und zwar an völlig unterschiedlicher Stelle und mit drei Jahren Unterschied in ihren schriftlichen Ausführungen, dass der MAD wegen der G36-Geschichte eingeschaltet worden ist. Das muss jetzt aufgeklärt werden. Das wurde gestern auch versprochen, dass jetzt beiden Hinweisen nachgegangen wird. Aber jetzt zu sagen Einzelmeinung, das ist schlichtweg falsch.
    Kaess: Aufgeklärt werden in einem Untersuchungsausschuss?
    van Aken: Da warten wir mal ab. In dem Moment, wo ich nicht mehr weiterkomme mit der Aufklärung ohne Untersuchungsausschuss, in dem Moment werden wir einen haben. Aber im Moment kommen wir noch relativ gut weiter mit der Aufklärung, oder?
    Kaess: … sagt Jan van Aken. Er ist stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss und gehört der Linken an. Danke schön dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.