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Streit um Glockenspielmelodie
Fuchs darf in Limburg wieder die Gans stehlen

Nachdem sich eine Veganerin beschwert hatte, wurde die Melodie von "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" aus dem Glockenspiel-Programm des Limburger Rathauses genommen. Damit habe die Anwohnerin nicht nur eine Provinzposse ausgelöst, sondern auch eine Realsatire in Gang gesetzt, die zum Nachdenken über die Freiheit der Andersdenkenden anrege, meint unser Autor Frieder Reininghaus.

Von Frieder Reininghaus | 24.04.2017
    Das Rathaus von Limburg
    Die Stadtverwaltung nahm die beanstandete Melodie aus dem Programm des Glockenspiels vom Limburger Rathaus. (dpa/Thomas Frey)
    Seit einigen Jahren ist die hessische Kreisstadt Limburg an der Lahn für die eine oder andere Überraschung gut. Unvergessen ist der dort in Szene gesetzte geschmackvolle Ausbau der Bischofsresidenz. Franz Tebartz van Elst erinnerte mit seinem Lebensprojekt an die Zeiten, in denen die heilige römische Kirche weltweit noch die größte Bauherrin, Mäzenin und Tonkunstträgerin war. Aber das liegt ziemlich lang zurück. Auch die Entstehung des Kinderreims vom Fuchs, der die gestohlene Gans wieder hergeben soll, und die der dazugehörigen schlicht diatonischen Sechs-Ton-Melodie.
    Die Behörde wollte der Anwohnerin einen Gefallen tun
    Als vor zwei Monaten bekannt wurde, dass an einem Lied ohne Worte, aber mit tief bedeutsamem historischem Text-Hintergrund Anstoß genommen wurde, mag man das für eine Zeitungs-Ente oder einen vorgezogenen medialen April-Scherz gehalten haben. Die Reaktion der Stadtverwaltung aber machte staunen: Wie kann das angehen, dass aufgrund einer Zuschrift, die nach dem alsbaldigen Bekunden der Autorin als "Scherz" gemeint war, umgehend Zensur praktiziert wird? Dabei war und blieb das Anliegen der Limburger Beschwerdeführerin von Anfang an so unscharf wie absurd: Verlangt sie vom Fuchs, dass er wenigstens Vegetarier wird? Möchte sie die Erinnerung daran, dass es in der Tierwelt nicht nach ihrem Willen zugeht, unterbunden wissen? Oder fordert sie, dass man dem Fuchs nicht mit dem Schießgewehr droht, damit er zusammen mit Gattin und Kindern das Federvieh in Ruhe verzehren kann und der Gänsebraten nicht auf die Essteller der Menschen gelangt? Anstatt der zuständige Sachbearbeiter nun aber der Anwohnerin einen kurzen, so freundlichen wie abschlägigen Brief schrieb, ließ die Behörde wissen, man habe der Veganerin "einen Gefallen tun wollen".
    Das kann ja heiter werden, wenn einzelne Personen, die sich unangenehm betroffen fühlen, oder kleine Gruppen, die hyperaktiv für ihre ideologischen Anliegen scharren, das Ausschalten oder Absetzen von Musikstücken bewirken können, die zum jeweiligen Kern-Repertoire ihres Genres gehören oder aus anderen guten Gründen im öffentlichen Raum erklingen. Schon vom Titel her könnten sich ältere Herrschaften von Robert Schumanns "Album für die Jugend" oder Benjamin Brittens "Young Person’s Guide to the Orchestra" diskriminiert fühlen. Was, wenn die Interessensvereinigung der Diabetiker Tschaikowskys "Tanz der Zuckerfee" als Affront begreift oder die Friseurinnung die Bestechlichkeit und Intriganz von Mozarts "Figaro" als Provokation?
    Realsatire
    Insbesondere ins Visier der Menschen mit intolerantem Kulturverständnis könnten Werke wie Mozarts "Don Giovanni" geraten: Die anonymen Alkoholiker nehmen Anstoß an der Champagner-Arie, der Bauernverband an der Darstellung Masettos als Bauerntölpel und die AfD an den sexuellen Verkehrsformen, die nicht auf die Vermehrung des deutschen Staatsvolkes ausgerichtet sind.
    So absurd er klingt: Die Limburger Rathaus-Anwohnerin hat mit ihrem "Scherz" nicht nur eine hessische Provinzposse ausgelöst, sondern – vermutlich eher unbeabsichtigt als vorsätzlich – eine Realsatire in Gang gesetzt, die zum Nachdenken über die Freiheit der Andersdenken – und eben auch der anders Hörenden – anregt. Wobei mir übrigens die Gans gestohlen bleiben kann.