Donnerstag, 18. April 2024

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Streit um Helmut-Kohl-Nachlass
"Wir werden kämpfen bis zum Schluss"

Das Vermächtnis von Altbundeskanzler Helmut Kohl beschäftigt heute das Oberlandesgericht Köln. Konkret geht es um eine Berufungsklage von Kohl-Biograf Heribert Schwan gegen die Herausgabe von Tonbandaufzeichnungen. Sollte er diesmal nicht Recht bekommen, gehe er in die nächste Instanz, sagte der Publizist im DLF.

Heribert Schwan im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.07.2014
    Im Deutschlandfunk kritisierte Schawn das Urteil des Kölner Landesgerichts in erster Instanz, das eine Herausgabe der Tonbänder angeordnet hatte. Es habe bei den 2001 und 2002 geführten Gesprächen kein Auftragsverhältnis gegeben, nur einen Vertrag mit dem Verlag, so Schwan. Das Urteil sei deshalb für ihn überraschend gekommen.
    Bei dem Streit geht es nach Angaben des Journalisten "grundsätzlich um die Deutungshoheit", die Bänder seien dabei "eine wichtige Sache, aber nicht entscheidend". Schwan kritisiert vor allem die Rolle von Kohls zweiter Ehefrau Maike Kohl-Richter. Diese habe nach dem schweren Sturz Kohls 2008 die Gelegenheit genutzt, ihm, Schwan, den "Laufpass zu geben". Bis dahin war der Publizist mit der Erstellung des vierten Bandes der Memoiren des ehemaligen Bundeskanzlers beschäftigt.
    Dass auch Kohl selbst ihn heute nicht mehr sehen will, sei möglich, so Schwan, genau könne man das aber nicht wissen: "Wer weiß denn, wie Helmut Kohl heute tickt, wie sein Gesundheitszustand ist?" Kohl artikuliere sich nicht mehr, "weil sie immer dabei ist".
    Auf den laut Schwan rund 200 Tonbändern hatte der Journalist lange Rechercheinterviews mit Kohl aufgenommen. Auf dieser Grundlage verfasste er dann als Ghostwriter die ersten drei Bände von Kohls Memoiren.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Vor dem Kölner Oberlandesgericht wird ab heute die Berufungsverhandlung zwischen dem Journalisten Heribert Schwan und dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl geführt. Kohl hatte gegen Schwan auf Herausgabe von Tonbändern erfolgreich geklagt. Schwan hatte über Jahre etwa 200 Tonbänder mit Kohl-Interviews gesammelt für eine große Biografie. Die Zusammenarbeit zwischen beiden endete abrupt. Helmut Kohl hatte nach dem ersten Urteil des Kölner Landgerichts alle Bänder zurück bekommen. Heute beginnt die Berufung und ich habe mit Heribert Schwan vor dieser Sendung das folgende Gespräch geführt:
    Heribert Schwan, wieso sollte die zweite Instanz anders entscheiden als die erste?
    "Es gibt kein Auftragsverhältnis zwischen Helmut Kohl und mir"
    Heribert Schwan: Gute Frage. In der ersten Instanz ist entschieden worden, dass es zwischen Helmut Kohl und mir ein Auftragsverhältnis gab, und aus diesem Auftragsverhältnis hat das Landgericht in Köln einen Herausgabeanspruch von Helmut Kohl abgeleitet. Es ging nicht um die Frage, wem gehören die Bänder, sondern es ging alleine darum, Auftragsverhältnis, und das ist falsch. Es gibt kein Auftragsverhältnis zwischen Helmut Kohl und mir und deswegen gibt es auch keinen Herausgabeanspruch von ihm. Warum, weil ich einen Vertrag mit dem Verlag hatte. Ich habe von Helmut Kohl nicht ein ...
    Heinemann: Aber das wussten doch die Richter?
    Schwan: Das ist den Richtern mehrfach klar gemacht worden und sie haben aber aus dem Vertrag gemeint, es so rauslesen zu können. Wir haben gesagt, es gibt kein Auftragsverhältnis, und deswegen sind wir auch in die nächste Instanz gegangen. Für uns war ja das Urteil sehr überraschend. Nach den mündlichen Verhandlungen und so weiter hätte ich niemals geglaubt, dass ich gezwungen werde, die Bänder rauszugeben. Deswegen sind wir in die nächste Instanz gegangen und ich sage Ihnen, das Landgericht hat uns einen Satz an die Seite geschickt, in dem man zu bedenken gibt, mal darüber nachzudenken. Da ist von Auftragsverhältnis, von Herausgabeanspruch kein Wort. Und sie haben das angenommen. Sie haben unsere Revision angenommen. Das ist ja auch schon ein interessanter Hinweis. Ich bin kein Jurist, aber immerhin.
    Heinemann: Sind Sie eigentlich sicher, dass es diese Bänder noch gibt?
    Schwan: Die Bänder gibt es vermutlich schon noch. Ich musste sie nach diesem Gerichtsbeschluss herausgeben. Ich musste sie abgeben. Ich habe 200 Bänder abgegeben, das sind jede Menge gewesen, unter Beisein der Anwälte von Kohl, von meinem. Ein Gerichtsvollzieher hat die eingezogen und ich musste sogar eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass ich auch alle Bänder abgegeben habe.
    Der Vorschlag wird auch heute sein, die Bänder, die Originalbänder kommen in die Konrad-Adenauer-Stiftung und jede Seite kriegt eine Kopie und jede Seite kann damit machen, was sie will. Das werden wir wieder vorschlagen als Kompromiss, um die Sache zu klären. Aber die Gegenseite will ja im Grunde genommen verhindern, dass ich eine Zeile daraus nehme und daraus schreibe.
    Heinemann: Warum?
    "Es geht grundsätzlich um die Deutungshoheit"
    Schwan: Weil sie natürlich glauben, die Deutungshoheit hätte ich dann tatsächlich mithilfe der Bänder. Sie wollen sie vom Markt ziehen, sie wollen sie mir aus der Hand nehmen und wollen dann selbst - - Es geht grundsätzlich um die Deutungshoheit. Die Frau Maike Kohl-Richter will die Deutungshoheit für sich anerkannt haben und da sind natürlich die Bänder eine ganz wichtige Sache, aber sie sind nie entscheidend.
    Heinemann: Das behaupten Sie jetzt so einfach. Vielleicht will ja Helmut Kohl ganz einfach, dass er seine Bänder zurückbekommt. Sie schieben es jetzt seiner Frau in die Schuhe.
    Schwan: Helmut Kohl wäre niemals auf die Idee gekommen, die Bänder zu besitzen. Ich habe versucht, nachdem meine Schwester die Bänder abgeschrieben hat, dem Helmut Kohl klarzumachen, er könne die schriftlichen Stücke noch mal bearbeiten, erweitern, ergänzen, korrigieren vielleicht, abschwächen, verstärken. Er hat sich nie dafür interessiert. Sehen Sie, 2001/2002 sind die Bänder produziert worden. 2012 kommt man auf die Idee, fast nach zehn Jahren, an die Bänder zu kommen, nur weil ich gesagt habe, ich habe hier einen Schatz. Den hatte man offenbar ganz vergessen.
    Helmut Kohl hat sich weder für die abgeschriebenen Manuskripte interessiert, noch für die Bänder niemals. Außerdem ist die Frage des Urheberrechts natürlich berechtigt. Er hat Urheberrecht, ich habe Urheberrecht, das Eigentum ist mir, liegt bei mir.
    Heinemann: Schauen wir mal auf diese Periode, 2002 bis _12. Wann kam es da zum Bruch und wie?
    Schwan: Der Bruch kommt daher, dass ich versucht habe, durch meine Erfahrung und nachdem ich 100 Seiten, 200 Seiten, 400 Seiten geschrieben hatte erfahren habe, dass sie für die Lesungen der Manuskripte ein Störfaktor ist.
    Heinemann: Sie ist die Frau?
    Schwan: Die Maike Kohl-Richter. Damals hieß sie noch Maike Richter. Ein Störfaktor, und das geht nicht so weiter. Die hält uns auf mit Fragen nach dem Punkt, nach dem Komma, der Interpunktion, nach Groß- und Kleinschreibung, nach "ei" oder "ai", und da habe ich gesagt, das mache ich nicht, das mache ich nicht mehr mit, ich gebe die Manuskripte ab und dann ist es gut, dann können Sie reden. Und dann kam eine Situation, wo es um die Wertung, die Charaktereigenschaft von Hannelore ging, und da hat sie einfach gesagt, Helmut, das stimmt doch hinten und vorne nicht. Dann hat Helmut gesagt, doch, das stimmt, das bleibt so, und da habe ich gesagt, ich komme nicht mehr nach Oggersheim mit meinen fertig geschriebenen 100 Seiten oder 200 Seiten, das mache ich nicht mehr, und dann habe ich ihm gesagt, das mache ich nicht, das geht mir auf den Wecker und so weiter und so fort. Dann hat er gesagt, sie kommt nicht mehr dazu, dann war sie nicht mehr dabei und sie hat wie gesagt null Mitarbeit an diesen Bändern gehabt, an diesen Memoiren, überhaupt nichts, und sie ist auch geblieben. Dann kam der schwere Sturz von ihm und dann kam aus ihrer Sicht die Chance, mir den Laufpass zu geben, alles zum Nachteil von Helmut Kohl. Ich hatte den vierten Band zur Hälfte schon fertig. Wir hatten über einen internationalen Band gesprochen. Ich hatte ein Konzept für einen internationalen Band vorgelegt. Alles nicht da, alles vorbei.
    Heinemann: Herr Schwan, aber offenbar hat er dem doch zugestimmt. Offenbar will er Sie auch nicht mehr sehen.
    Schwan: Das ist gut möglich, dass er mich nicht mehr sehen will, genauso wie er seinen Fahrer nach 50 Jahren nicht mehr sehen will.
    Heinemann: Aber das ist sein Recht.
    "Wer weiß denn überhaupt, wie Helmut Kohl heute noch tickt?"
    Schwan: Sein Recht. Aber wer sagt denn eigentlich, dass das so ist? Wer weiß denn überhaupt, wie Helmut Kohl heute noch tickt? Wer weiß denn wirklich über seinen Gesundheitszustand bescheid? Wer ihn besucht, kommt zurück und sagt mir, er redet kein Wort, er sagt nichts. Er nickt und lächelt, oder ist trübe gestimmt. Er artikuliert sich nicht mehr, bei keinem Gast, weil sie immer dabei ist. Und wer sagt dann eigentlich, dass das im Sinne von Helmut Kohl ist? – Ich sage noch mal ein Beispiel des wichtigen Mannes Ecki Seeber, viel wichtiger als ich.
    Heinemann: Das ist der Fahrer?
    Schwan: Der Fahrer, der ihm das Leben gerettet hat, mehrfach, wirklich. Wie kann man einen solchen Geheimnisträger, den größten Geheimnisträger der Republik rauswerfen nach so vielen Jahren? Sein Lebenswerk so beenden, wie sie es gemacht hat? Das kann nicht im Sinne von Helmut Kohl sein. Und wieso kann es im Sinne von Helmut Kohl sein, auf den vierten Band zu verzichten? Das ist seine Bilanz seiner 16 Jahre Kanzlerschaft. Die erscheint nicht! Und der Bruch zu ihm, der liegt jetzt fünf Jahre zurück. Die Frau ist nicht in der Lage – und ich weiß, wer schon alles angesprochen worden ist, den vierten Band zu schreiben -, nicht in der Lage, jemanden zu finden. Sie wird niemanden finden.
    Heinemann: Welche Folgen hätte es für Sie, Heribert Schwan, wenn Sie diese Bänder nicht zurückbekämen?
    "Wir werden kämpfen bis zum Schluss"
    Schwan: Wir würden in die nächste Instanz gehen nach Karlsruhe. Wir werden kämpfen bis zum Schluss, weil wir das für ungerecht halten. Und ich hoffe, dass dieses Oberlandesgericht unserer Argumentation folgt. Wenn Sie überlegen, dass diese künftige Witwe 16 Stunden WDR-Filmmaterial, das ich gedreht habe mit Helmut Kohl, unter den Nagel gerissen hat, wenn Sie überlegen, dass sie ...
    Heinemann: Entschuldigung! Unter den Nagel gerissen - - Das ist doch juristisch untermauert.
    Schwan: 16 Stunden hat sie unter den Nagel gerissen, wie man sagt. Der WDR, die Rechtsabteilung hat ihr das überlassen. Und sie hat alles gestoppt, aus diesem Material darf nichts mehr gesendet werden, 16 Stunden.
    Zweiter Fall: 30 Stunden hat der Kollege Schaad ein Doku-Drama gedreht, hat sie weggenommen vom ZDF, darf nicht gesendet werden. Jetzt ist sie an meinen Bändern dran, die natürlich noch brisanter sind als alles, was bisher da ist, weil es noch länger ist, noch viel mehr ist und noch ohne Kamera ist. Das ist auch noch ein großer Unterschied.
    Heinemann: Helmut Kohl lebt aus der Öffentlichkeit ja weitgehend zurückgezogen. Das haben Sie selber eben gesagt. Er ist körperlich eingeschränkt.
    Schwan: Erheblich!
    Heinemann: Die Familienverhältnisse sind so, wie sie sind. Wieso lassen Sie ihn nicht einfach in Ruhe?
    "Es ist absolut schädlich für Helmut Kohl, diese Sachen nicht zu senden"
    Schwan: Habe ich den Prozess angefangen? Wieso soll ich ihn in Ruhe lassen? Sie macht doch die Unruhe. Sie sorgt dafür, dass der vierte Band nicht erscheint. Sie sorgt dafür, dass sie sich ständig irgendwo vor Gerichte stellt. Sie sorgt dafür, dass sie mit der ganzen intellektuellen Schar von Journalisten und so weiter im Kampf liegt. Es wird doch niemand mehr sagen, die Frau hat Recht. Sie sind jetzt der einzige, der das vielleicht meint, aber Sie sollen auch ruhig kritisch sein. Es ist absolut schädlich für Helmut Kohl, diese Sachen nicht zu senden. Es ist seine Sicht der Dinge gewesen. Sie werden jetzt vergraben und irgendwann hat sie die Deutungshoheit, und solange ich lebe, werde ich ihr die Deutungshoheit streitig machen, und dabei bleibe ich.
    Heinemann: Der Journalist Heribert Schwan – heute beginnt das Berufungsverfahren um die Herausgabe von Tonbandaufzeichnungen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.