Donnerstag, 28. März 2024

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Streit um Kataloniens Unabhängigkeit
"Man kann das Referendum verhindern - aber nur auf Zeit"

In Spanien eskaliere der Streit um das geplante Referendum zur Unabhängigkeit der autonomen Republik Katalonien, sagte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Verhandlungslösungen würden dadurch immer schwieriger. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy könne mit seinem Verhalten radikalen Kräften in die Hände spielen.

Günther Maihold im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.09.2017
    Zahlreiche Menschen protestieren in Barcelona gegen die Razzia der spanischen Polizei bei der katalanischen Regionalregierung.
    Proteste gegen die Razzia der spanischen Polizei bei der katalanischen Regionalregierung. (AFP / Lluis Gene)
    Christiane Kaess: Ist das der Beginn einer Staatskrise? Spanien steht offenbar vor einer Zerreißprobe. Der Grund: das geplante Referendum zur Unabhängigkeit der autonomen Republik Katalonien. Madrid will das unter allen Umständen verhindern und geht nun mit aller Härte dagegen vor. Gestern hat die spanische Polizei Razzien in den Büros der katalanischen Regierung durchgeführt. Mindestens 14 Menschen wurden verhaftet, darunter ein Wirtschafts- und Finanzstaatssekretär. Tausende Menschen protestierten dagegen und der katalanische Ministerpräsident Puigdemont sagt, die spanische Regierung ist zu einer demokratischen Schande geworden.
    Darüber möchte ich sprechen mit Günther Maihold, stellvertretender Direktor und Spanien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Maihold.
    Günther Maihold: Guten Morgen.
    "Kampf um die Urnen für das Referendum entsteht"
    Kaess: Droht dieser Streit um das Referendum, der ja bisher mit friedlichen Mitteln ausgetragen wurde, jetzt zu eskalieren?
    Maihold: Er eskaliert zumindest politisch, insofern beide Seiten nun darauf aus sind, ihre Positionen administrativ und vor Gerichten zu verstärken, und damit entsteht ein Kampf um die Urnen für dieses vorgesehene Referendum und das kann nur dazu beitragen, dass die Bevölkerung sich noch weiter radikalisieren wird.
    Kaess: Und was würde das bedeuten?
    Maihold: Das bedeutet, dass Spanien in eine Konstellation hineinkommt, wo Verhandlungslösungen immer schwieriger werden. Die spanische Verfassung kennt ja, da sie aus der Patenschaft des Grundgesetzes entstanden ist, den Artikel 155, der etwa dem Grundgesetzartikel 37 entspricht, der bei uns Bundeszwang heißt. Das heißt, die Zentralregierung kann die Regionalregierung verpflichten, nur noch das umzusetzen, was von ihr vorgegeben wird, und damit würde natürlich der leicht mobilisierbare katalanische Nationalismus noch weiter angeheizt und kein Weg in eine Verhandlung eröffnet.
    Kaess: Mit welchen Auswirkungen auf den katalanischen Nationalismus? Was wären dort Szenarien, die dann vorstellbar sind?
    Maihold: Wir haben ja eine Konstellation, dass in der katalanischen Nationalregierung sich eine Koalition von radikalen Kräften heterogener Art zusammengefunden hat, die gerade versuchen, diesen Nationalismus für sich politisch zu vereinnahmen und zu monopolisieren, und da spielt ihnen das Verhalten von Rajoy, des Ministerpräsidenten, wirklich in die Hand, der keinerlei Zeichen gibt, hier zu einer Verhandlung zu kommen, weil schließlich hat Katalonien ja durchaus Argumente, die dafür sprechen, hier in Verhandlungen zu kommen, wenn man etwa im Bereich der Finanzordnung und der Finanzverfassung sich die Regelungen anschaut, die etwa im benachbarten Baskenland sehr viel günstiger sind.
    Referendum 2014 sei nicht besonders erfolgreich gewesen
    Kaess: Jetzt haben Sie schon geschildert, wie verhärtet diese Fronten sind. Der Plan der katalanischen Regionalregierung ist ja, am 1. Oktober dieses Referendum abzuhalten und dann am 4. Oktober die Unabhängigkeit zu erklären. Ist dieser Plan völlig unrealistisch?
    Maihold: Es hat ja schon ein Referendum einmal gegeben in 2014. Dieses lief nicht besonders erfolgreich ab. Es haben sich nur wenige Teile der Bevölkerung, so um die 40 Prozent daran beteiligt. Es ist nicht ganz sicher, dass die Position der Regionalregierung wirklich so durchschlagend erfolgreich sein wird. Andererseits liegt die Position natürlich von Madrid bisher darin zu sagen, wir wollen gar nicht, dass diese Abstimmung stattfindet, und dadurch wird ein Kampf mit den Bürgermeistern, mit den Verantwortlichen für das Referendum nun inszeniert, der niemandem hilft und natürlich auch nicht den Weg zu einer Verständigung bahnt.
    Kaess: Und kann Madrid diese Abstimmung verhindern? Glauben Sie zum Beispiel, dass es am 1. Oktober nicht zu diesem Referendum kommen wird?
    Maihold: Man kann das verhindern, aber das ist nur auf Zeit. Man kann natürlich Stimmzettel wegnehmen, man kann Bürgermeister einkerkern, die daran sich beteiligen. Aber die Regionalregierung wird natürlich nicht davon ablassen und dann nach einer bestimmten Frist wieder ein Referendum ansetzen. Das heißt, dieser Weg ist letztlich nicht erfolgreich, wenn man nicht einkehrt und versucht, hier zu einer Verhandlungskonstellation zu kommen.
    "Katalonien ist für die Wirtschaft Spaniens zentral"
    Kaess: Was fürchtet Madrid denn eigentlich? Denn Sie haben es gerade schon gesagt: Es ist eigentlich gegen die Abspaltung gestimmt worden und laut Umfragen ist die Mehrheit der Katalonen im Moment zwar für das Referendum, aber nur eine Minderheit würde für die Abspaltung stimmen. Wovor hat Madrid eigentlich Angst und setzt auf diese harte Linie?
    Maihold: Katalonien ist natürlich ein für die Wirtschaft Spaniens zentraler Staat. Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung kommt von dort. Es gibt eine Tradition, die sich immer gegen den Zentralismus in Spanien gewandt hat. Wir müssen uns ja immer vergegenwärtigen: Spanien ist kein Bundesstaat wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, sondern ein Zentralstaat, wo der Ministerpräsident relativ freie Hand hat, mit den jeweiligen Kräften zu Vereinbarungen zu kommen in den Autonomien. Insofern steht auf der Kippe, ob man die politische Kraft hat, den Weg zu einem Föderalismus zu finden, oder ob man weiterhin dieses unregulierte Verhältnis zwischen Autonomien und Zentralregierungen, die nach politischen Opportunitäten sich bewegen, beibehalten will.
    Kaess: Was glauben Sie denn, wie sich das Ganze entwickeln wird? Denn das katalanische Parlament hat ja dieses Referendum beschlossen, obwohl es gegen die Verfassung ist, und das spanische Verfassungsgericht hat es auch verboten. Ist das schon ein Zeichen, dass Katalonien die spanischen Institutionen gar nicht mehr anerkennt?
    Maihold: Alle Vorstellungen, die hinsichtlich der Unabhängigkeit entwickelt worden sind, zielen klar darauf ab, eigene Institutionalitäten, eigene Finanzhoheit, eigene Polizeigewalt etc. aufzubauen und sich komplett aus dem Staatsverbund hinauszubewegen. Das sind allerdings extreme Forderungen. Ich glaube, es sind durchaus Vereinbarungen möglich, die unterhalb dieser Schwelle liegen. Bloß keiner hat sie bisher wirklich ausgetestet, weil die politischen Kräfte in Madrid und in Barcelona bisher darauf setzen, mit einer Eskalierung dieser Frage de facto Anhängerschaft gewinnen zu können.
    Es sollte nicht nur "Katalonien versus Madrid diskutiert" werden
    Kaess: Eskalierung. Und sehen Sie denn ein Ende des Streits in Sicht?
    Maihold: Ich glaube, es muss eine Konstellation geschaffen werden, in der nicht nur Katalonien versus Madrid diskutiert wird, sondern der gesamte Fragebereich der Autonomie neu verhandelt wird. Es muss ein Länderfinanzausgleich her, es müssen klare Regeln her. Die Frage ist, ob die politischen Kräfte gegenwärtig angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse dazu bereit sind. Gegebenenfalls muss noch etwas Zeit ins Land gehen, bis die Mehrheitsverhältnisse das erlauben.
    Kaess: Und sollte da Hilfe von außen kommen, eventuell unter Vermittlung der EU?
    Maihold: Die EU ist da ja in einer schwierigen Lage, da Katalonien erklärt hat, es wolle die Mitgliedschaft in der EU beibehalten. Wir kennen ja Vergleichbares im Fall Schottland, wo wir auch gedacht hatten, es würde zu einer dramatischen Zuspitzung kommen. Die Wahlen haben das dann abgebogen. Also ich glaube, wir sind da in einer durchaus parallelen Situation, dass das sehr stark hochkocht, aber letztlich nicht zum Schwure kommt.
    Kaess: Günther Maihold war das. Er ist stellvertretender Direktor und Spanien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Maihold: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.