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Streit um Legitimierung staatlicher Gewalt

Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien: Die derzeit schwelenden Konfliktherde der Welt lassen die uralte Staatsrechts- und Theologiefrage weiterhin aktuell erscheinen, ob es einen gerechten Krieg gibt. Und natürlich muss auch die Gegenfrage beantwortet werden: Gibt es so etwas wie einen gerechten Frieden?

Von Thomas Klatt | 24.01.2012
    "Ein radikaler Pazifismus würde wahrscheinlich argumentieren, dass schon der Begriff des gerechten Krieges eigentlich einem hölzernen Eisen gleicht, weil jeder Krieg per se ein großes Unrecht darstellt und deswegen ein gerechter Krieg gar nicht vorkommen kann."

    Der katholische Theologe und Friedensforscher Heinz-Günther Stobbe weiß, dass jede bewaffnete Gewaltanwendung an sich schon die Gefahr der Ungerechtigkeit in sich birgt. Während die individuelle Notwehr aber eine in der Regel übersichtliche und ethisch klar zu beurteilende Situation darstellt, ist das bei größeren Konflikten anders.

    "Da man davon ausgeht, dass in keinem Krieg die Tötung von unschuldigen Menschen vermeidbar ist, folgt daraus eo ipso, weil es, abgesehen von noch ganz anderen Aspekten, die Tötung unschuldiger Menschen einschließt, es ethisch verboten ist."

    Diese radikale Position ließ sich kirchengeschichtlich jedoch höchstens im Kloster und für kirchliche Amtsträger durchhalten. Mit der konstantinischen Wende übernahm das Christentum staatliche Verantwortung. Nun brauchte es eine Standesethik für christliche Soldaten. Die Grundgedanken der Antike aufnehmend formulierte der Kirchenvater Augustin Bedingungen, unter denen ein Krieg geführt werden durfte. Etwa aus Gründen der Selbstverteidigung oder eben als ultima ratio zum Ziele der Wiederherstellung des Friedens, nicht aber zur Vernichtung des Feindes. Privatfehden, Eroberungs- oder Bürgerkriege galten als nicht gottgewollt. Nie aber wurde auch in der Scholastik der folgenden Jahrhunderte so argumentiert, als könne ein Krieg leichtfertig geführt werden.
    "Schon bei Augustinus, dem Stammvater der christlichen Lehre vom gerechten Krieg ist völlig klar, ein gerechter Krieg ist und bleibt ein sittliches Übel. Gerecht heißt nicht, es ist kein Übel. Und allein schon deswegen, weil es ein sittliches Übel ist, muss alles getan werden, um es zu minimieren. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, wenn man meint, einen Krieg im Sinne des Augustinus würde das irgendwie nett machen."

    Nicht mehr Theologen, Päpste, Kaiser oder Landesherren, sondern der moderne Völkerbund ist heute höchste Instanz zur Legitimierung zwischenstaatlicher Gewalt. Seit 2005 gilt die UN-Richtlinie "responsiblity to protect". Demnach besteht ein Interventionsgrund, wenn Völkermord, ethnische Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfinden. Aber stellt der Militäreinsatz eines Regimes gegen seine Bevölkerung ein solch großes Unrecht dar, dass die Völkergemeinschaft eingreifen darf?

    "Eine der wichtigsten Kriterien in der klassischen Lehre ist die der causa iusta. Es muss einen gerechten Grund geben. Man kann nicht einfach, weil man Lust hat oder weil man sich bereichern will, Krieg führen, sondern es muss ein gerechter Grund sein. Auch das finde ich methodisch nicht leicht zu bestimmen. Nicht weil man Schwierigkeiten hat, das Unrecht zu benennen, um das es geht, sondern weil man gewichten muss, ob ein vorhandenes Unrecht so groß ist, dass es ein militärisches Eingreifen rechtfertigt. Im Völkerrecht ist derzeit nur ein einziger Fall benannt, und das ist der Völkermord. Die oppositionelle Bewegung in Syrien verlangt das Eingreifen mit dem Argument, die Regierung verübe Völkermord. Aber ob es im Sinne des internationalen Völkerrechts wirklich um einen Völkermord geht, das scheint mir strittig zu sein."

    Dabei gibt es heute kaum noch klassische Kriege mit ordentlicher Kriegserklärung und endlicher Kapitulation. In den neuen Kriegen herrscht oftmals eine Asymmetrie zwischen einer Militärmacht und einer widerständigen Partisanenbewegung. Es gibt keine Fronten und Schlachten mehr, sondern nur noch Scharmützel, Hinterhalte und einen meist unsichtbaren Feind. Immer seltener ist klar, wer den Krieg genau führt. Denn Soldaten, die Helden, die Heroen, seien heute nicht mehr die Söhne aus der Mitte jeder Familie, sondern ausgesonderte Spezialisten einer Berufs- oder Söldnerarmee mit einer in der Heimat immer schwerer zu kontrollierenden Kriegsführung. Der Berliner Sozialwissenschaftler Herfried Münkler.

    "Ich operiere mit dem Begriff der post-heroischen Gesellschaft. Wir sind nicht darauf aus, uns mit dem Umgang mit Gewalt besondere Ehre zu erwerben. Die Frage ist, wie eine Gesellschaft, die sich von der Wehrpflicht, sprich heroische Gesellschaft, verabschiedet hat, wie solche post-heroischen Gesellschaften die heroischen Gemeinschaften unter Kontrolle halten? Das scheint mir das Problem des nächsten Jahrzehnts zu sein. Das Verhalten einer Reihe von Soldaten in Afghanistan, da gab's ja auch mal welche von der Bundeswehr, die mit irgendwelchen Totenschädeln hantiert haben, bei den Amerikanern fällt das häufiger auf. Es gab so richtige Kriegsverbrechen, Leute aus Hubschraubern abzuknallen. Krieg zu führen, als habe man es mit einem PC-Spiel zu Hause zu tun."

    Moderne Konflikte würden immer mehr privatisiert. Staaten fühlten sich für ihre Söldnerheere aber immer weniger verantwortlich, warnt Münkler.

    "Wenn man selber nicht in den Krieg zieht, weil man sagt, o.k., wir haben nicht so viele Kinder, die Reproduktionsrate einer deutschen Frau ist bei 1,39. Da kann man sich nicht leisten, dass Knaben auf dem Hindukusch oder dem Balkan geopfert werden. Globalisierung der Arbeitsmärkte. PMC, also privat military company, indem wir den internationalen Arbeitsmarkt für militärische Arbeit aktivieren und uns dort die Leute holen, die wir brauchen. Das ist eine Entwicklung, die sich inzwischen massiv durchgesetzt hat. Blackwater ist ja nur die Speerspitze. Im Prinzip waren die Amerikaner im Irak nicht mehr aktionsfähig, ohne die vielen tausenden Philippinos. Sri Lankesen, was auch immer, die die gesamte Logistik übernommen haben und im hohen Maße angreifbar waren mit dem Ergebnis, dass die Verluste nicht auf das Konto der amerikanischen Verluste gegangen sind, sondern irgendeiner Firma, die weltweit agiert hat."

    Das erspart der Politik lästige innenpolitische Debatten über Sinn und Zweck seiner Außenpolitik. Kriegsversehrte Söldner müssen anders als die eigenen Veteranen nicht über Jahrzehnte kostspielig medizinisch und sozial betreut werden.

    "Und auf den Todeslisten waren sehr viel spanischsprachige Namen. Die amerikanische Armee hat jetzt green card soldiers gehabt, 20-25% schätzt man, die nach fünf Jahren Militärdienst amerikanische Staatsbürger werden, die Franzosen haben ihre Fremdenlegion, die Briten ihre Gurkas aus Nepal....Diese Versuchung ist ungemein. Und es ist ein großes Verdienst der deutschen Gesellschaft, dass sie nur peinlich berührt darüber nachdenkt, indem sie sagt, na ja, diese Kerle aus McPomm, die rekrutieren wir im hohen Maße, aber natürlich Schwaben nicht, weil die kriegen ja Arbeitsplätze und sind ja so wertvoll."

    Staaten würden zudem heute kaum noch offiziell davon sprechen, dass sie einen Krieg führen. Der Siegener Theologe Heinz-Günther Stobbe.

    "Sie haben alle miterlebt diese ungeheure Erleichterung als Guttenberg von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen hat. Intuitiv haben wir alle das Gefühl gehabt, ja es ist irgendwie Krieg, nur dass er die völkerrechtliche Anerkennung als Krieg vermeiden wollte. Das hat zum Beispiel mit Entschädigungsansprüchen zu tun. Denn in dem Moment, wo die Bundesrepublik Deutschland anerkennt, dass sie sich in einem Krieg befindet, hat es massive rechtliche Folgen. Auch unser Staat drückt sich wo er kann, die Folgen zu tragen. Er schickt zwar Leute dorthin, aber er möchte nicht allzu sehr damit behaftet werden, wenn die dann das erleiden."

    Was also ein gerechter Krieg ist, scheint im konkreten Fall auch weiterhin schwer erklärbar. Aber auch die in den letzten Jahren von den Kirchen erhobenen Forderungen, sich lieber für einem gerechten Frieden einzusetzen, helfen in der völkerrechtlichen Diskussion letztlich nicht weiter, meint Stobbe.

    "Wenn Du den Frieden willst, dann bereite dich auf den Frieden vor. Wenn Sie sich das anschauen, sowohl in der evangelischen wie in der katholischen Kirche dient das, die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe der Prävention zu lenken. Das hat die Schwierigkeit, dass wir noch gar nicht wissen, wie wirkmächtig präventive Politik wirklich ist. Was tun wir denn, wenn Kriegsprävention nicht wirkt? Man sieht in der christlichen und jüdischen Tradition, dass das Insistieren auf Gerechtigkeit für das, was man wirklich und wahrhaftig Frieden nennen kann, auch den Grund dafür und das ist die Brücke zum gerechten Krieg, dass man dafür auch Krieg führen muss oder Gewalt ausüben muss. Das ist das Problem der Revolution, dass massive Ungerechtigkeit mit Gewalt beendet wird, eine Plausibilität hat und nicht von vorhinein als irre abgestempelt werden kann, führt das Adjektiv gerechter Friede doch wieder dazu, dass man am Ende mit der Frage der Gewalt konfrontiert wird."

    Im Kalten Krieg galt es militärisch gewappnet zu sein, damit man die Waffen nie einsetzen brauchte. In Deutschland konnte man sich jahrzehntelang nicht vorstellten, wirklich scharf schießen zu müssen. In den 90er Jahren hätten im Jugoslawienkrieg aber gerade die Europäer, Stichwort Srebrenica, schmerzlich erlebt, was es heißt, den Frieden ohne Gewalt durchsetzen zu wollen. Jede Demokratie habe das Recht zu schießen, meint Münkler. Der Sozialwissenschaftler wünscht sich statt lähmender Debatten und das Abwarten der Staatengemeinschaft heute ein schnelleres Eingreifen bei Unrechtssituationen.

    "Hier gilt in Variation des Satzes, mit dem meine Generation aufgewachsen ist: Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin, die würde heute heißen: Stell Dir vor, es gibt sehr gerechte Gründe für eine Intervention und keiner unternimmt sie. Das ist das viel größere Problem, nämlich die Bereitschaft der Akteure, sich zu engagieren, wenn nicht ihre Interessen betroffen sind unmittelbar, sondern es darum geht, Normen durchzusetzen. Das Trittbrettfahrerproblem. Keiner will ans Steuer, aber alle sind dafür, dass Gerechtigkeit durchgesetzt wird."