Dienstag, 19. März 2024

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Streit um NSA-Untersuchungsausschuss
"Anlasslose Massenüberwachung hat stattgefunden"

Der NSA-Untersuchungsausschuss endete im Eklat: Der stark geschwärzte Abschlussbericht, die überschrittene Abgabefrist und Angriffe auf die Opposition sind für die Obfrau der Linken im Ausschuss, Martina Renner, Anlass für Kritik. Dennoch beschreibt sie die Untersuchung im Dlf als erfolgreich.

Martina Renner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.06.2017
    Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke.
    Für Renner war der Untersuchungsausschuss richtig und erfolgreich, denn er zeige ein globales System von Massenüberwachung, in dem neben der NSA auch der Bundesnachrichtendienst eine Rolle spiele. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Minderheitenvotum der Opposition, das hat nur teils geschwärzt Eingang in den Abschlussbericht gefunden. Der Vorsitzende des Ausschusses, Patrick Sensburg, hatte heute früh dazu im Deutschlandfunk gesagt, die Opposition habe ihr Votum nicht rechtzeitig abgegeben. Weshalb waren Sie dazu nicht in der Lage, haben Sie da was verschlafen? Das habe ich vor der Sendung Martina Renner, Obfrau der Linken, gefragt.
    Martina Renner: Wir haben als Opposition gar nichts verschlafen. Aber es ist so: Ein Sondervotum ist nun mal dafür da, dass unsere, zum Mehrheitsbeschluss abweichende Meinung zu den Feststellungen und Bewertungen zum NSA-Untersuchungsausschuss erst dann formuliert werden können, wenn die Große Koalition ihren Bericht vorgelegt hat. Und den hat sie mit 17 Tagen Verspätung zur gesetzten Frist, und dann haben wir natürlich intensiv daran gearbeitet, mit unserem Sondervotum unsere Auffassung zu formulieren, waren dann auch relativ schnell, aber am Ende war es zehn Tage später als eigentlich verabredet. Uns daraus jetzt einen Vorwurf zu machen, ist aber absolut verfehlt, weil wie gesagt auch die Große Koalition hat die einmal gesetzte Frist überhaupt nicht geachtet.
    "Sondervotum als geheim eingestuft"
    Heckmann: Herr Sensburg hat da, glaube ich, gar keinen Vorwurf formuliert, sondern er hat darauf hingewiesen in dem Interview heute früh im Deutschlandfunk, auf die Tatsache, dass die Zeugen das Recht haben, 14 Tage lang ihre Aussage zu prüfen. Bis dahin müssen diese Passagen geschwärzt bleiben. Nach der Prüfung fallen diese Schwärzungen wieder weg. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass es da auch um Stellen ging, die einfach der Geheimhaltung unterlagen. Das Ganze hört sich, Frau Renner, nach einem rechtsstaatlichen Verfahren an. Sind Sie denn dafür, gegen ein solches rechtsstaatliches Verfahren zu verstoßen?
    Renner: Nein, keineswegs. Wir haben bei Abfassung unseres Sondervotums dem Ausschuss-Sekretariat einen Vorschlag übermittelt, welche Stellen aus Gründen des rechtlichen Gehörs, oder weil dort Zitate aus eingestuften Akten verwandt waren, eingestuft werden müssen. Aber wir haben auch deutlich gemacht: Alles das, was wir in dem Sondervotum nun an entsprechenden Textpassagen formuliert haben, ist maximal die Geheimhaltungsstufe "nur für den Dienstgebrauch", weil wir aus nur diesen Akten zitiert haben. Was dann aber passiert ist letzte Woche, war, dass die Ausschussmehrheit meinte, unseren gesamten Bericht, unser Sondervotum geheim einstufen zu müssen, und das hat im Bundestag zur Folge, dass der Bericht nicht mehr für uns im Kern bearbeitbar ist, sondern sofort in die Geheimschutzstelle des Bundestages gebracht werden muss, wo ihn nur noch vor Ort Abgeordnete einsehen.
    Heckmann: Aber das ist ja nicht passiert.
    Renner: Die Einstufung ist genauso passiert. Es gibt einen Beschluss des NSA-Untersuchungsausschusses, mit dem letzte Woche der Bericht als geheim eingestuft wurde, und er ist erst fünf Tage später dann abgestuft worden. Wir haben deutlich gemacht, dass diese Geheimeinstufung absolut willkürlich ist, dass es dafür keinen Grund gibt, und vor allem eine Ungleichbehandlung vorliegt.
    Heckmann: Das heißt, Sie werfen der Koalitionsmehrheit vor, Ihr Minderheitenvotum zu unterdrücken?
    Renner: Nein. Wir werfen ihnen vor, dass sie natürlich mit dieser Geheimeinstufung und dem Suggerieren, da sind irgendwelche Inhalte drin, die sind ganz, ganz, ganz, ganz, ganz geheim und Ähnliches, natürlich uns stigmatisiert haben, und vor allem ohne Grund.
    "Stichwort Geheimkrieg"
    Heckmann: Mit welcher Absicht wird stigmatisiert?
    Renner: Na ja, Sie wissen ganz genau, es gibt unterschiedliche Feststellungen, aber auch Bewertungen zum NSA-Untersuchungsausschuss. Wir sagen, anlasslose Massenüberwachung hat stattgefunden, die Große Koalition verneint das. Wir sagen, es gab illegale Spionage, CDU und SPD sehen das nicht so. Wir sagen, es gab Rechtsverstöße, das sieht die Große Koalition auch ganz anders. Stichwort Geheimkrieg, Deutschland ist beteiligt, das sieht man dort nicht. Es gibt eine ganz unterschiedliche, diametral entgegengesetzte Bewertung.
    Heckmann: Wie das oft so ist bei Untersuchungsausschüssen.
    Renner: Genau. Und im Ringen um die Deutungshoheit, Sie fragten sich, warum stigmatisieren, im Ringen um die Deutungshoheit hat die Große Koalition gemerkt, dass auch schon die letzten Wochen, dass sie mit ihrer Sichtweise überhaupt nicht durchdringen, und in dem Moment gab es diese Angriffe auf die Opposition, die ja dann auch in der Abberufung von Konstantin von Notz und mir als Berichterstattung geendet ist.
    Heckmann: Herr Sensburg hat gesagt, wenn er Sie nicht abberufen hätte, dann hätte dieser Bericht, der Abschlussbericht, nicht an den Bundestag weitergeleitet werden können, denn heute war der letzte Tag dafür, und dann hätte es auch keine Debatte im Bundestag gegeben. Und die ganze Arbeit, die dreieinhalb Jahre Arbeit, wären umsonst gewesen. Hätten Sie das gewollt?
    Renner: Das stimmt so nicht. Wir hatten am Freitag eine Verständigung auch noch mal mit den Parlamentarischen Geschäftsführern und wir haben immer einen Weg aufgewiesen als Opposition, wie wir zu einer Unterschrift und wie wir zu einem gemeinsamen Abschlussbericht kommen. Wir haben nämlich gesagt, wenn ihr diesen unsinnigen Beschluss, unser Sondervotum geheim einzustufen, zurücknehmt, das ist ein einfacher Vorgang, und wir das Dokument dann ganz normal nur für den Dienstgebrauch einstufen, wie ihr es auch mit eurem Dokument gemacht hättet, dann sind wir dabei, dann unterschreiben wir, dann ist alles wieder im Zeitplan und Ähnliches mehr. Aber das wollte man nicht und deswegen ist uns da überhaupt kein Vorwurf zu machen, um das auch an dieser Stelle mal zu sagen. Diese Ungleichbehandlung hat uns schon in den letzten Tagen, ich sage mal, mehr als verärgert, ja.
    "Globales System von Massenüberwachung"
    Heckmann: Jetzt nehmen wir diesen ganzen Streit vielleicht mal zur Seite, Frau Renner, und gucken mal auf den Inhalt. Hat sich denn die Arbeit des Untersuchungsausschusses aus Ihrer Sicht gelohnt? Sie sagten selber, da steht jetzt Aussage gegen Aussage. Diejenigen, die das jetzt interessiert, hören dieses Gespräch. Die denken sich jetzt wahrscheinlich, na ja, gut, ich weiß jetzt auch nicht.
    Renner: Das habe ich auch heute im Plenum gesagt. Der Untersuchungsausschuss war wichtig und richtig und erfolgreich, weil wir zum Ende diese Feststellung treffen könnten, die wir am Anfang, als die Snowden-Dokumente veröffentlicht wurden, nur als Annahme hatten, dass es ein globales System von Massenüberwachung gibt, dass die NSA und der Bundesnachrichtendienst darin eine Rolle haben, dass man dabei auch die sogenannten Freunde, also die Partnerländer in den Fokus nimmt, dort Regierungen, Institutionen, Parlamente, Presse, aber auch Nichtregierungsorganisationen abhört. All das können wir belegen heute und deswegen ist dieser Ausschuss so erfolgreich.
    Heckmann: Aber die Frage ist ja, wer ist dafür verantwortlich? Wusste das Kanzleramt davon? Ja oder nein? Die Opposition sagt ja, die Regierungskoalition sagt nein. Da steht man doch ratlos davor.
    Renner: Nein, da muss man nicht ratlos sein. Das Bundeskanzleramt ist die zuständige Stelle für die Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht gegenüber dem Bundesnachrichtendienst. Und wenn es dort illegale Praktiken gab, die ja zum Beispiel auch das parlamentarische Kontrollgremium untersucht hat, und wenn es Rechtsverstöße gab, die auch die Bundesdatenschutzbeauftragte festgestellt hat, dann hat man dort im Bundeskanzleramt kläglich seine Aufgabe nicht nur vernachlässigt, sondern im Grunde ist man dieser Aufgabe grundhaft nicht nachgekommen.
    Und das ist jetzt nicht die Frage, ob der Bundesnachrichtendienst heimtückisch das Bundeskanzleramt nicht informiert hat, oder ob das Bundeskanzleramt vielleicht gesagt hat, ihr macht da so Sachen am Rande der Legalität, da wollen wir gar nicht so viel drüber wissen, im Kern ist das ein Organisationsversagen.
    Im Kern hat das Bundeskanzleramt nicht das getan, was es sollte, und dafür gibt es Verantwortlichkeiten und die enden nicht damit, dass man jetzt auf den schon lange nicht mehr im Amt befindlichen Herrn Pofalla sozusagen zielt, sondern es gab andere Bundeskanzleramtschefs, es gibt dort Abteilungsleiter, es gibt dort Staatssekretäre und die haben all die Jahre zugelassen, dass der Bundesnachrichtendienst quasi in einem kontroll- und rechtsfreien Raum agiert. Und ich finde, das ist vollkommen berechtigt, heute zu sagen, da brauchen wir Konsequenzen, und das will natürlich die Regierung und die sie tragenden Fraktionen nicht hören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.