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Streit um Schuld am Euro-Hawk-Desaster

Das gescheiterte Euro-Hawk-Projekt sei nicht allein die Schuld von Verteidigungsminister Thomas de Maizière, sagt der FDP-Politiker Joachim Spatz. Schon unter Rot-Grün seien Fehler gemacht worden. Falsch, meint Grünen-Politiker Omid Nouripour. Der Minister habe das Projekt zu spät gestoppt.

Mit Jasper Barenberg | 22.07.2013
    Jasper Barenberg: Wer hat wann was gewusst? Auch in der Affäre um die spektakulär gescheiterte Anschaffung der Aufklärungsdrohne Euro-Hawk geht es zentral um diese Frage, zumal sich der Verteidigungsminister ja festgelegt hat. Erst am 13. Mai diesen Jahres will er davon erfahren haben, dass die vielen Probleme mit der Drohne nicht zu lösen sind, woraufhin er die Reißleine zog und mehrere Hundert Millionen Euro waren verbrannt. Einige Male schon hat der Minister seine Festlegung ein Stück weit korrigieren müssen und zum Auftakt der Zeugenbefragung heute werden neue Vorwürfe laut.
    Am Telefon begrüße ich Joachim Spatz, den Berichterstatter der FDP im Untersuchungsausschuss. Guten Morgen!

    Joachim Spatz: Ja guten Morgen!

    Barenberg: Und auf der anderen Leitung ist Omid Nouripour, der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Guten Morgen auch Ihnen.

    Omid Nouripour: Ich grüße Sie!

    Barenberg: Herr Spatz, die erste Frage an Sie. Wir haben gerade in dem Beitrag gehört, dass aus den Akten ja offenkundig hervorgeht, dass Thomas de Maizière schon ein Jahr früher als bisher bekannt oder zugestanden von massiven Problemen Kenntnis erhielt. Kennen Sie diese Unterlagen auch schon?

    Spatz: Ich kenne die Unterlagen nicht und alles, was uns bisher als Neuigkeit offeriert worden ist, stellte sich dann bei genauerer Lektüre als Bestätigung dessen heraus, was der Minister immer gesagt hat. Wir alle wussten, dass es Probleme gibt. Sie wurden uns allen immer als lösbar beschrieben. Und dass das Ding mal zur Entscheidung kommt, deswegen hat ja der Minister einen Zeitplan vorgegeben, dass eine Entscheidungsvorlage bis Ende März '13 vorliegen soll, aufgrund derer dann die Staatssekretäre entscheiden sollen. Genau das ist geschehen, insofern kann ich jetzt überhaupt noch nicht den Neuigkeitswert erkennen, und insofern, denke ich mal, gibt es da keine neue Bewertungsgrundlage. Im Übrigen: bei allen großen Beschaffungsproblemen – denken Sie an die Hubschrauber, denken Sie an die Korvette – gab es immer mal wieder zum Teil auch, ich sage mal, momentan schwer lösbare Probleme, und die wurden dann eben doch gelöst. Also insofern, denke ich mal, wird da aus einer ganz, ganz kleinen Mücke ein Riesenelefant versucht, zu machen.

    Barenberg: Das bestreitet ja auch niemand, Herr Spatz, dass es bei solchen großen Rüstungsprojekten Probleme gegeben hat. Die entscheidende Frage scheint ja zu sein, ob es lösbare Probleme gewesen sind, oder ob der Minister hätte erkennen können oder müssen, dass diese Probleme nicht zu lösen sind.

    Spatz: Genau so ist es.

    Barenberg: Nun ist da in einer Vorbereitungsmappe für eine Rüstungsbesprechung mit dem Minister von Kostensteigerungen die Rede, die das Gesamtsystem zunehmend infrage stellen, und es gibt noch einige weitere Details, die in diese Richtung weisen. Omid Nouripour, bewerten Sie das ganz anders als Joachim Spatz von der FDP?

    Nouripour: Na ja, es ist schon so, dass der Minister nahezu wöchentlich seine Verteidigungslinie ändern muss. Er hat am Anfang das alles ganz spät gewusst, später ist er nicht korrekt informiert worden, dann waren es lösbare und unlösbare Geschichten. Aber das wird alles nicht besser davon, dass jetzt mittlerweile relativ fast über eine Milliarde verbrannt worden ist. Ich meine, ich will doch nicht, dass ein Minister sich mit einem Problem erst dann beschäftigt, wenn es nicht mehr lösbar ist. Dafür sind Minister nicht da!

    Barenberg: Sondern Sie wollen, dass der Minister sich laufend über Projekte informiert hält und dann darauf reagiert. – Joachim Spatz, der zentrale Vorwurf ist ja, dass sich der Minister zu spät um dieses Rüstungsprojekt gekümmert hat, weil er schon wissen konnte, dass es massive Probleme gibt.

    Spatz: Wissen Sie, ich finde es immer bemerkenswert, dass im Nachhinein immer alle wissen, wie es genau hätte sein sollen. Ich bin auch für mehr Transparenz und ich finde, es war schade, dass Rot-Grün eine Unterrichtungspraxis, wo monatlich dem Berichterstatter, dem Haushaltsausschuss über genau diese Projekte berichtet worden ist, wo sich also auch das Haus monatlich auf den Punkt bringen lassen musste, dass das abgeschafft worden ist. Jetzt werden wir mühsam wahrscheinlich so was wieder einführen. Ich denke, dass so ein Instrument damals abgeschafft worden ist, war nicht gut und wir sollten solche Kontrollmechanismen vonseiten des Parlaments wieder einführen, und da wird auch die Verwaltung gezwungen, ich sage mal, früher als es vielleicht an dem einen oder anderen Punkt der Fall gewesen ist auf den Punkt zu kommen. Aber jetzt für diesen ganz konkreten Fall, bei der Komplexität der Fragestellung, finde ich nicht, dass hier die Spitze des Hauses zu spät reagiert hat.

    Barenberg: Der Minister konnte von massiven Problemen wissen, nicht reagieren, und das geht für Sie völlig in Ordnung?

    Spatz: Natürlich gab es massive Probleme und er hat die Leute, die dafür verantwortlich sind, Lösungen zu erarbeiten oder zum Schluss zu kommen, dass es nicht lösbar ist, damit beauftragt, das zu tun, und das ist geschehen in einem wie gesagt vorgegebenen Zeitablauf. Und jetzt zu sagen im Nachhinein, wo das Ergebnis einer komplizierten Prüfung feststeht, theoretisch hätten wir das alles viel früher wissen können – wissen Sie, ich bin Mathematiker. Da gibt es nur unlösbare und triviale Probleme. Hinterher, wenn es gelöst ist, zum Teil nach jahrelangen Überlegungen, ist es immer alles trivial. Das finde ich ein bisschen abgeschmackt. Im Übrigen haben alle, alle, sowohl Rot-Grün, wo das Projekt gestartet ist, wie Schwarz-Rot, wie auch Schwarz-Gelb, Mitverantwortung an der Struktur, wie dieses Rüstungsprojekt aufgesetzt worden ist, und wie gesagt, da finde ich es ein bisschen kleinkariert und kleine parteipolitische Wahlkampfmünze, da jetzt so einseitig eine Schuldzuweisung zu machen an den Minister, der zuerst, als überhaupt erster Minister, Rüstungsprozesse versucht zu optimieren. Alle vorher haben das nämlich nicht gemacht.

    Barenberg: Herr Nouripour, Sie müssen sich also als Grüner an die eigene Nase fassen. Das ist das eigentliche Problem.

    Nouripour: Na genau. Wir werden einen Untersuchungsausschuss machen, warum die Grünen überhaupt regieren durften damals. Es ist ja auch sehr bezeichnend, dass Rot-Grün etwas angeblich abgeschafft hat, was so im Übrigen nicht stimmt. Es wurde ein Unterausschuss abgeschafft, weil das alles in einen Gesamtausschuss gehört im Haushaltsausschuss. Das war auch richtig so. Aber vier Jahre, nachdem Schwarz-Gelb regiert, fällt denen auf einmal auf: Huch, das war ja falsch, dann schieben wir es doch mal darauf, und wenn wir die Möglichkeit bekommen, was nicht passieren wird, dann werden wir das ja dann anders machen. Das ist doch alles Käse! Wenn Rot-Grün, tatsächlich im Übrigen alle gemeinsam, gemeinsam mit den Schwarzen und den Gelben, zu dem Ergebnis kommt, es gibt einen Bedarf, es gibt eine sogenannte Fähigkeitslücke, ich muss etwas kaufen, dann heißt das doch nicht, dass am Ende, wenn viele Jahre später das in die Hose geht, weil sich die Minister viele Jahre danach nicht darum gekümmert haben, dass Rot-Grün jetzt daran die Verantwortung trägt. Das ist wirklich Käse!
    Das zweite ist: Eine der Verteidigungslinien dieses Ministers ist ja: Er hat so spät auch die Reißleine gezogen, weil er wollte ja das Aufklärungssystem retten. Es gibt ja das Aufklärungssystem und es gibt die Plattform, die Trägerplattform, also die Drohne selber. Die Drohne fliegt nicht mehr, er will aber das Aufklärungssystem ISIS, heißt das, retten. Jetzt stellen wir fest, das ist möglicherweise gar nicht mehr zu retten, das wird wenn, dann deutlich teurer, und wenn man das überhaupt nutzen kann, dann muss man sowieso komplett neu erproben. Der Minister lässt aber zurzeit Woche für Woche weiter erproben, das kostet weiter Geld. Wir reden über weitere Millionen, die jetzt wieder immer noch ausgegeben werden. Warum das so ist, diese Fragen wird er uns beantworten, und vor allem ist für uns Grüne die zentrale Frage nicht, wann der Minister was gewusst hat – das ist sicher richtig und wichtig, gerade für die politische Verantwortung -, sondern für uns ist die zentrale Frage, wie kommen wir denn dazu, dass wir die Gelder der Steuerzahler zurück bekommen. Hier lesen wir im Vertrag ziemlich deutlich, dort steht eindeutig, dass dann die Industrie haftet. Der Minister hat öffentlich mittlerweile was anderes erzählt. Das heißt, wenn es zu einem Rechtsstreit käme zwischen Industrie und Bundesregierung, dann wären die Zitate des Ministers vor Gericht verwendbar gegen die Interessen der Steuerzahler, und das ist ein Skandal!

    Barenberg: Die Frage an Joachim Spatz zum ersten Punkt, den Herr Nouripour angesprochen hat. 45 Millionen, wenn ich es recht im Kopf habe, werden zu zahlen sein, bis die Erprobung am Ende ist. Sind das 45 Millionen, die auch zum Fenster rausgeworfen sind?

    Spatz: Ich finde es immer wieder gut, dass die Opposition im Vorhinein schon Prüfergebnisse kennt. Wir gehen davon aus, dass hier seriös geprüft wird, wie die Hälfte der Gelder, die investiert worden sind ins Gesamtsystem, dadurch gerettet werden können, dass das Überwachungssystem ISIS funktionsfähig gemacht worden kann, in welcher geeigneten Weise, mit welcher fliegenden Plattform auch immer. Dies zu überprüfen, steht im Moment an, und das warten wir ab, bis das rauskommt. Meine Informationen sind jedenfalls so, dass es bisher keinen Anhaltspunkt gibt, dass es keine alternative Verwendung geben sollte, sondern dass das System dann eingesetzt werden kann.

    Barenberg: Und die zweite Frage, Herr Spatz, war: Werden wir das Geld zurück bekommen, das verbrannt ist, oder zumindest einen Teil davon?

    Spatz: Ja gut, das müssen die Juristen natürlich prüfen. Das wird im übrigen auch Teil des Untersuchungsausschusses sein, inwieweit bei Vertragsabschluss 2007 die damals beteiligten Ministerien, das schwarz geführte Verteidigungsministerium, das SPD-geführte Finanzministerium, Verträge geschlossen haben, die solche Möglichkeiten zulassen oder eben nicht.

    Barenberg: Herr Nouripour, sehen Sie einen gemeinsamen Weg, wenn es darum geht, Regressforderungen tatsächlich durchzusetzen, unabhängig von Wahlkampf?

    Nouripour: Ich hoffe das sehr. Wir haben ja den Untersuchungsausschuss gemeinsam, alle Fraktionen gemeinsam eingesetzt. Trotzdem ist es so, dass wir natürlich eine herbe Kritik haben an diesem Minister, der sagt, ich mache die größte Bundeswehrreform aller Zeiten, und am Ende aber beim ersten wirklich großen Rechtsstreit, der auf ihn zukommt, nicht sagt, mein Ministerium wird das dann prüfen, sondern ich beauftrage eine externe Anwaltskanzlei damit zu prüfen, ob das geht oder nicht geht, wobei nach unserer Sicht noch mal die Verträge extrem deutlich sind. Wenn ich noch ein Letztes zum Thema ISIS sagen darf und den Erprobungen. Was wird denn gerade erprobt? Was gerade erprobt wird, ist die sogenannte Integration zwischen Drohne und Aufklärungssystem. Wenn die Drohne nicht mehr fliegt, was sie nicht wird, weil sie ja nicht darf, dann wird man komplett neu erproben müssen, weil ja eine neue Trägerplattform da sein wird, die komplett neu mit dem Aufklärungssystem verschmolzen werden muss. Das heißt, das was gerade passiert bleibt Geldverschwendung.

    Barenberg: Okay. Darauf sollte Herr Spatz noch mal die Möglichkeit haben zu reagieren.

    Spatz: Das ist natürlich so nicht, sondern die Zulassungsfragen werden ja in einem anderen Zusammenhang, Stichwort NATO-System, was man so hört, auf Sizilien dann stationiert werden soll, noch einmal neu unter anderen Kautelen gestellt. Deswegen halte ich das in überhaupt noch keiner Weise für abgeschlossen. Im Übrigen, was Gemeinsamkeit bei Regress angeht: Natürlich werden wir im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler versuchen, den Schaden möglichst gering zu halten. Das ist doch völlig selbstverständlich.

    Barenberg: Der Berichterstatter der FDP im Untersuchungsausschuss zur Drohnen-Affäre, Joachim Spatz. Danke schön Ihnen und Dank auch an Omid Nouripour, dem verteidigungspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag.

    Nouripour: Danke Ihnen!

    Spatz: Besten Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.