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Streit um Verfassungsgerichtsreform
Polen spielt auf Zeit

Polen bleibt hart im Streit mit der EU-Kommission um seine Verfassungsgerichtsreform. Zuletzt hatte Brüssel Warschau eine Frist bis Montag gesetzt - geschehen ist nichts. Trotzdem zeichnet sich nun ein Ende des Streits ab.

Von Florian Kellermann | 02.11.2016
    Man sieht die Fassade des polnischen Verfassungstribunals.
    Die polnische Regierung bereitet ein neues Gesetz über die Arbeit des Verfassungsgerichts vor (dpa/ picture-alliance/ Rafal Guz)
    Die polnische Regierung werde sich keinem Ultimatum beugen, hatte Ministerpräsidentin Beata Szydlo immer wieder erklärt. Und tatsächlich: Auch die jüngste Frist, die die EU-Kommission im Streit um das Verfassungsgericht gesetzt hat, hat Warschau verstreichen lassen. Beata Szydlo gibt sich weiterhin unbeugsam:
    "Das sind keine sachlichen Empfehlungen, die wir aus Brüssel bekommen haben. Wir haben den Eindruck, dass sie vielmehr einem politischen Diktat entspringen. Wir haben Einwände gegen sie, und diese werden wir der EU-Kommission zukommen lassen. Wir werden keine Empfehlungen in polnisches Recht umsetzen, die den Interessen des polnischen Staates und seiner Bürger widersprechen und die nicht einmal geltendes polnisches Recht berücksichtigen."
    Neues Gesetz nimmt strittige Punkte zurück
    Das klingt mutig und dürfte den Wählern der rechtskonservativen Regierungspartei PiS imponieren. Aber die Ministerpräsidentin weiß ganz genau, dass sie Brüssel nicht fürchten muss. Denn schon bald wird der monatelange Streit zwischen Polen und der EU-Kommission gegenstandslos sein. Die Regierung bereitet ein neues Gesetz über die Arbeit des Verfassungsgerichts vor, das fünfte seit der Machtübernahme der PiS. Und, das klingt auf den ersten Blick überraschend, es wird fast alle strittigen Punkte zurücknehmen, die von der EU-Kommission und vom Europarat kritisiert wurden.
    Marek Magierowski, Sprecher von Staatspräsident Andrzej Duda:
    "Der Präsident hofft, dass das Verfassungsgericht bald normal und in Ruhe arbeiten kann, ohne den politischen Streit, der uns alle erschöpft hat."
    Ist die PiS also doch eingeknickt und will das nur nicht an die große Glocke hängen? Keineswegs, meinen Oppositionspolitiker, so Ex-Justizminister Borys Budka von der rechtsliberalen "Bürgerplattform":
    "Die PiS legt ihr Augenmerk jetzt darauf, wer der nächste Vorsitzende des Verfassungsgerichts wird. Allein darum geht es ihr jetzt."
    Ende Dezember endet die Amtszeit des Gerichtspräsidenten Andrzej Rzeplinski. Sollte es der PiS gelingen, dass ein ihr gewogener Jurist den Posten übernimmt, bräuchte sie das Gericht nicht mehr durch ein Gesetz zu blockieren. Sie könnte die Richter ruhig arbeiten lassen - und müsste trotzdem nicht fürchten, dass diese ihre Gesetze kippen.
    Man sieht einen Verfassungsrichter, er sitzt. Vor ihm stehen Bücher und Flaschen.
    Ende Dezember endet die Amtszeit von Andrzej Rzeplinski, Vorsitzender des polnischen Verfassungsgerichts. (dpa/ picture-alliance/ Rafal Guz)
    PiS strebt Mehrheit im Verfassungsgericht an
    Die Rechnung ist einfach: Der neue Gerichtspräsident lässt die drei Richter künftig zu Verhandlungen zu, die Rzeplinski bisher blockiert hat. Sie waren von der PiS-Mehrheit im Parlament in einer umstrittenen Entscheidung gewählt worden. Schon im kommenden Frühling werden die von der PiS gewählten Richter damit die Mehrheit im Verfassungsgericht stellen.
    Nach Ansicht der Opposition habe die PiS auch schon entschieden, wer Gerichtsvorsitzender werden soll. Borys Budka von der "Bürgerplattform":
    "Ich schlage dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski vor, dass er ein Gesetz erarbeiten lässt, in dem namentlich steht, wer den Posten übernehmen soll. Wer dort seine Anweisungen ausführen soll. Denn darauf läuft das Gesetz hinaus, das die PiS vorgestellt hat. Es untergräbt das Ansehen des Gerichts weiter und verletzt das Prinzip der Gewaltenteilung."
    Das Gesetz sieht nämlich auch vor, dass der neue Gerichtsvorsitzende erst dann bestimmt wird, wenn der alte schon abgetreten ist. Vorübergehend wird automatisch derjenige Verfassungsrichter die Leitung übernehmen, der schon am längsten an einem Gericht tätig ist. Und das ist im konkreten Fall Julia Przylebska, die vor Kurzem von der PiS-Mehrheit im Parlament gewählt wurde. Die weiteren Bestimmungen des Gesetzes laufen darauf hinaus, dass Staatspräsident Andrzej Duda dann die Richterin Przylebska auch dauerhaft zur neuen Vorsitzenden bestimmen kann.
    Przylebska machte nie ein Hehl daraus, dass sie im aktuellen Streit zwischen dem Verfassungsgericht und der Regierung auf der Seite der Regierung steht. Ihre Nähe zur PiS belege auch ihr Ehemann, meinen Beobachter. Andrzej Przylebski gehört einem Beratergremium von Staatspräsident Andrzej Duda an und ist seit März polnischer Botschafter in Berlin.