Donnerstag, 28. März 2024

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Streit um VW-Boni
DIW: Zahlungen an Konzernergebnis koppeln

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält es für sinnvoll, die Bonuszahlungen für Vorstandsmitglieder neu zu regeln. Die Leistungsvergütung sei derzeit nicht an das Konzernergebnis als Ganzes gekoppelt, kritisierte DIW-Präsident Fratzscher im Deutschlandfunk. "Viele Manager - und das gilt nicht nur für VW - haben sich nach Jahren guter Erträge an hohe Boni gewöhnt."

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Dirk Müller | 12.04.2016
    Porträtbild des Ökonomen Marcel Fratzscher.
    Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. (picture alliance / dpa / DIW)
    Für die VW-Vorstände etwa gelte, dass mit diesen Summen lediglich das Erreichen individueller Leistungsziele bewertet werde. Es sei aber schwer zu verstehen, dass in der derzeitigen Situation solche Leistungsvergütungen verlangt würden, erklärte Fratzscher. Er verwies darauf, dass die Eigentümer des Unternehmens, auch das Land Niedersachsen, durch den Abgasskandal große Verluste erlitten hätten. "Letztlich müssen die Manager auch Verantwortung übernehmen für die Entwicklung des Kurses. Hier ist es schwer zu verstehen, dass die Eigentümer hohe Verluste hinnehmen sollen und die Manager, die das Unternehmen führen und Fehler begangen haben, trotzdem hohe Boni bekommen sollen."
    Der Aufsichtsrat des Volkswagen-Konzerns hatte gestern über die Bonus-Zahlungen gesprochen, bislang aber noch keine Entscheidung getroffen. Mit dem Thema würden sich die Gremien weiterhin beschäftigen, sagte der niedersächsische Ministerpräsident Weil in Wolfsburg. Dem Vernehmen nach liegen nun mehrere Vorschläge auf dem Tisch, von einer Kürzung bis hin zu einem kompletten Verzicht auf Boni. Bis zum 28. April muss es eine Lösung geben. Dann will Volkswagen seine Jahresbilanz vorstellen.
    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Kann das Image eines deutschen Autokonzerns mehr leiden, mehr ramponiert sein als das, was seit Monaten mit VW der Fall ist? Betrug, Manipulationen, Millionen weltweit eine bewusste Täuschung der Kunden, eine bewusste Täuschung auch der Mitarbeiter. 600.000 sind davon betroffen. Wie viele Arbeitsplätze wird der Abgasskandal mittelfristig kosten? Eine große Glaubwürdigkeitskrise des größten Autobauers der Welt. In dieser Situation die Antwort nun der Manager: Wir verzichten nicht auf unsere millionenschweren Boni, höchstens auf einen Teil davon. Die Öffentlichkeit schüttelt verwundert, verärgert mit dem Kopf. Niedersachsens Ministerpräsident tut das auch, versucht, Druck zu machen, vergeblich bislang. Stephan Weil:
    O-Ton Stephan Weil: "Die Frage von leistungsbezogenen Zulagen für Vorstandsmitglieder bei Volkswagen ist derzeit Gegenstand von laufenden Gesprächen innerhalb der Gremien und deswegen bitte ich vielmals um Verständnis. Aber diesen Beratungen möchte ich nicht vorgreifen."
    Müller: Er wollte nicht vorgreifen, brauchte er auch nicht, denn es gab keine Fortschritte bei den Beratungen gestern in Wolfsburg. Unser Thema nun mit Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Guten Morgen.
    Marcel Fratzscher: Guten Morgen.
    Müller: Herr Fratzscher, machen Millionen-Gehälter gierig?
    Fratzscher: Ja. Sicherlich ist es so, dass viele natürlich der Manager auch nicht nur bei VW, sondern allgemein sich an hohe Boni gewöhnt haben in den Jahren guter Erträge, und dann fällt es natürlich schwierig, wenn es dann in einem Jahr heißt, so, jetzt gibt es keinen Bonus, und deshalb will man darauf nicht verzichten.
    Müller: Auch wenn man den ganzen Konzern gefährdet?
    Fratzscher: Na ja. Die Frage ist, ob der Bonus oder die Boni, die jetzt ausgezahlt werden, wirklich den Konzern gefährden. Tatsache ist aber, dass das letzte Jahr für Volkswagen natürlich wirtschaftlich gesehen sehr, sehr schlecht war. Man hat einen hohen Verlust im Börsenwert, also dem Wert des Unternehmens einfahren müssen. Das heißt, die Eigentümer, denen Volkswagen gehört - dazu gehört natürlich auch das Land Niedersachsen zu einem erheblichen Teil - haben hier große Verluste einfahren müssen. Und letztlich müssen die Manager natürlich auch Verantwortung übernehmen für die Entwicklung des Kurses und hier ist es schwer, zu verstehen, wieso die Eigentümer hohe Verluste hinnehmen sollen, die Manager, die das Unternehmen managen und dort natürlich Fehler begangen haben, dagegen dann trotzdem Boni behalten sollen.
    Fratscher: Leistung des einzelnen Managers schwer messbar
    Müller: Wäre das vielleicht so - ich mach jetzt mal den Vergleich -, als würde Robert Lewandowski kein Tor mehr für Bayern schießen und anschließend in Gehaltsverhandlungen sagen, jetzt brauche ich erst mal eine Million mehr?
    Fratzscher: Na ja, es ist schon ein bisschen komplizierter. Es gibt ja die Vergütung, die fix ist, das Grundgehalt, und es gibt die Boni, die ja an Leistung gebunden sein sollen. Und die Unterscheidung ist jetzt schwierig zu sagen, was ist denn wirklich die Leistung eines einzelnen Managers. Es gibt sicherlich auch bei Volkswagen viele, die jetzt mit dem Abgasskandal nichts zu tun haben, die vielleicht in ihrem Bereich einen guten Job gemacht haben, vielleicht auch dazu beigetragen haben, dass Einkommen gut waren, dass Volkswagen besser dasteht. Soll man diese Einzelnen auch dann für den gesamten Konzern verantwortlich machen, wenn sie damit jetzt direkt nichts zu tun haben? Das ist die schwierige Frage. Und Robert Lewandowski, wenn er kein Tor schießt, dann hat er immer noch sein Grundgehalt, und das hinterfragt ja auch niemand bei Volkswagen, sondern hier geht es um wirklich die leistungsbezogenen Zuschläge und da ist es dann wichtig zu beurteilen, was ist die Leistung jedes Einzelnen.
    Müller: Beide hätten ihre Grundgehälter ja auf jeden Fall. Es geht ja darum, was noch oben draufkommt.
    Fratzscher: Ganz genau.
    Fratscher: Teilverantwortung muss diskutiert werden
    Müller: Herr Fratzscher, noch einmal. Wenn wir das richtig nachgelesen haben, die Zahlen gehen da ein bisschen durcheinander, hat VW-Chef Matthias Müller Anspruch auf zweieinhalb Millionen Euro. Sie haben ja gerade gesagt, eine katastrophale Bilanz im letzten Jahr, wobei da noch nicht alle Details bekannt sind. Für den normalen Arbeitnehmer, für den Arbeiter, der dort am Fließband steht bei Volkswagen, ist die Zukunft ja per se jetzt nicht auf jeden Fall garantiert und rosig. Es kann sein, dass er entlassen wird, wie auch immer, dass keine Leute eingestellt werden, dass junge Menschen in Ausbildung keine Weiterbeschäftigung bekommen. Diejenigen haben ein eklatantes Problem jetzt schon mit dem Missmanagement der Konzernleitung. Warum haben die Manager damit nichts zu tun?
    Fratzscher: Ja, da liegt das Problem, dass letztlich die Boni von individuellen Leistungszielen abhängig sind. Da wird für jeden einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterin das definiert, aber nicht für den Konzern als Ganzes, und hier liegt das Problem allgemein, nicht nur bei Volkswagen, sondern bei vielen Unternehmen, dass auch die Gesamtverantwortlichen, also der Vorstand hier individuell bewertet werden, anstelle ihre Leistungen auch an das Ergebnis des gesamten Konzerns gekoppelt wird. Da liegt der Fehler, das sollte diskutiert werden, ob man nicht auch hier zumindest ein bisschen eine Teilhaftung hinbekommt, dass die Verantwortlichen, die Gesamtverantwortung dann auch wirklich hier Rechenschaft ablegen muss.
    Müller: Gibt es auch so was wie Anstand?
    Fratzscher: Das ist immer schwierig. Was ist ein angemessenes Gehalt? Was ist ein angemessener Bonus? Da gehen natürlich die Meinungen weit auseinander. Viele sagen, wir müssen unsere Manager so bezahlen, dass im internationalen Vergleich auch der Bonus attraktiv ist. Auch Volkswagen will natürlich seine Manager halten, will vermeiden, dass die zu anderen Konzernen gehen. Was ist Anstand, was ist moralisch vernünftig?
    Fratscher: Auch Vorstand muss bei Verlusten Verantwortung übernehmen
    Müller: Ich meine Anstand hier in dieser Situation, nicht generell die Boni infrage stellen, sondern nur …
    Fratzscher: Genau, diesen Fall, was ist wirklich der Anstand bei einem Konzern, der hohe Verluste einfahren muss, einen hohen Verlust des Wertes des Konzerns. Da würde ich schon sagen muss natürlich die Verantwortung auch beim Vorstand liegen. Die müssen Verantwortung dafür übernehmen, auch wenn es natürlich jetzt mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden, der nicht direkt zumindest damals in diesen Skandal verwickelt war.
    Müller: Reden wir noch einmal über die Arbeitnehmer, über die Arbeitnehmervertreter, die Gewerkschafter. Wir haben gestern versucht hier im Deutschlandfunk, jemanden zu finden von der IG Metall. Wir haben dort den Chef Hofmann angefragt, wir haben DGB-Chef Hoffmann angefragt und beide haben uns abgesagt. Das war gar kein Thema, dass dort Stellung bezogen wurde oder wird oder soll heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk, weil - das ist meine Frage - die Gewerkschafter dieses gesamte System, also auch die IG Metall, bislang mitgetragen haben?
    Fratzscher: Ja. Klar ist natürlich: Auch Volkswagen zahlt für die Mitarbeiter, die Mitarbeiterinnen bei Volkswagen in allen Bereichen vergleichsweise gute Gehälter. Das muss man sich auch bewusst machen. Wir reden hier nicht von Mindestlöhnen oder sehr geringen Einkommen, sondern hier werden sehr gute Gehälter gezahlt nicht nur für die Top-Manager, sondern für alle Angestellten. Da will man natürlich vermeiden, dass es zu einer Neiddebatte kommt, wo es heißt, wieso bekommen die Oberen so viel und die Unteren relativ wenig. Da gibt es sicherlich ganz andere Unternehmen und ganz andere Beschäftigte in Deutschland, die wirklich ein Problem haben mit niedrigen Löhnen. Davon kann man bei Volkswagen sicherlich nicht sprechen.
    Müller: Aber dann gibt die Kontrollfunktion, die die IG Metall beispielsweise, die die Betriebsräte haben in den Aufsichtsgremien von VW, nicht viel her.
    Fratzscher: Noch mal, die Frage ist: Was ist ein angemessener Bonus, eine angemessene Bezahlung? Da will natürlich ein Aufsichtsgremium, auch die Gewerkschaften vermeiden, dass man in schlechten Jahren dann hier im Prinzip gute Angestellte, gute Mitarbeiter verliert, und dann will man doch lieber ein Auge zudrücken und sagen, okay, war ein schlechtes Jahr, wir zahlen trotzdem einen Bonus. Der mag vielleicht nicht so hoch ausfallen wie in den guten Jahren, aber wir wollen vermeiden, dass wir hier unsere Mitarbeiter verärgern und die sich eventuell dann irgendwo anders hin orientieren. Das ist natürlich immer ein wichtiger Grund hinter dieser Logik, dann auch in schlechten Jahren solche Boni auszuzahlen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Berlin.
    Fratzscher: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.