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Streit um Weideprämie
Tierwohl kostet mehr

Weidemilch genießt bei Verbrauchern einen guten Ruf als tier- und umweltfreundliches Produkt. Das Grünland, auf dem Kühe grasen, bietet Lebensraum für Insekten und Wiesenbrüter. Doch das kostet. Der geplante Wegfall der sogenannten Weideprämie empört Tierschützer und Bauern.

Von Alexander Budde | 09.04.2018
    Grasende Kühe stehen in Brandenburg auf einer Weide.
    Weidemilch-Kühe müssen an 120 Tagen mindestens sechs Stunden auf der Weise sein. Dafür zahlt dem Bauern seine Molkerei einen Cent mehr pro Liter Milch. Doch das deckt den zusätzlichen Aufwand nicht. (imago/Lars Reimann)
    Niedersachsen ist nach Bayern das wichtigste Milcherzeugerland in Deutschland. Zwischen Nordsee und Harz stehen rund 870.000 Milchkühe. Rund 10.000 landwirtschaftliche Betriebe liefern im Jahr knapp sieben Millionen Tonnen Milch - rund ein Fünftel des bundesdeutschen Bedarfs.
    Zwar ist die traditionelle Weidehaltung in Regionen wie der Wesermarsch mit ihren feucht-moorigen Böden, die sich für Ackerbau kaum eignen, noch weit verbreitet. Doch der Trend geht zu immer größeren Stallbauten, zugleich sinkt die Zahl der weidenden Kühe von Jahr zu Jahr.
    "Kühe wissen das ganz genau, wenn es nach Gras riecht"
    Der Wegfall der zunächst versprochenen Weideprämie wirkt wie ein rotes Tuch auf die Weidehalter - ob sie sich nun dem Biolandbau verschrieben haben oder konventionell wirtschaften. Doch wie sinnvoll sind solche Prämien eigentlich, die ein Wirtschaften fördern sollen, das zu mehr Tierwohl und Tiergesundheit führt?
    "Die Kühe wissen das ganz genau, wenn das nach Gras riecht, und sobald wir anfangen, da Bänder zu spannen und an den Toren zu rütteln, dann wissen die schon, es geht los! Deswegen ist immer erst ein bisschen Aufregung, ob die Zäune halten, ob da jemand durchgeht."
    Und dann ist kein Halten mehr. Die Tiere galoppieren los, begleitet vom johlenden Applaus der Zuschauer. Familie Holthusen bewirtschaftet hier bei Brake im Oldenburger Land 240 Hektar Grünland, 250 Kühe werden gemolken, dazu kommt die weibliche Nachzucht. Die traditionelle Weidehaltung ist die typische Haltungsform hier in der Wesermarsch.
    Reine Stallhaltung verspricht mehr Gewinn
    Es gibt die nötigen Grünlandflächen - und doch beobachtet Betriebsleiter Heiko Holthusen seit einigen Jahren, dass immer mehr Betriebe aus wirtschaftlichen Gründen auf reine Stallhaltung umstellen. In einem modernen Boxenlaufstall bringen die mit Kraftfutter versorgten Kühe mehr Leistung, ihre Haltung ist skalierbar. Größere Einheiten versprechen mehr Gewinn.
    "Aber zu einem niedrigen Milchpreis Milch zu produzieren, das können diese Betriebe meistens nicht. Wir haben nicht diese Spitze an Gewinn, aber wir können noch etwas länger durchhalten."
    Verzicht auf gentechnisch verändertes Futter
    Ein spezielles Weidemilchprogramm soll die Abwanderung von den Weiden stoppen. Auch die Holthusens machen mit. Die Milch ihrer Kühe trägt das Label "Pro Weideland". Verzicht auf gentechnisch verändertes Futter, klare Kriterien, Transparenz: Die Einladung der örtlichen Bevölkerung zum feierlichen Weideaustrieb gehört für Holthusen zu einer guten Vermarktung dazu.
    Grünland, auf dem Kühe grasen, bietet Lebensraum für Insekten und Wiesenbrüter. Weidemilch steht beim Verbraucher hoch im Kurs, Molkereien werben mit dem vermeintlich besonders tier- und umweltfreundlichen Produkt. Doch Niedersachsens neue Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hat sich in ihrer kurzen Amtszeit bereits den geballten Unmut der norddeutschen Milchviehalter zugezogen.
    Ausgleichzulage für Grünland kassiert
    Die kassierten bislang für jede grüne Wiese eine sogenannte Ausgleichzulage für Grünland in benachteiligten Gebieten. Diese EU-Prämie nach dem Gießkannenprinzip wollte die rot-grüne Vorgängerregierung durch eine Weideprämie ersetzen - pro Kuh, die auf der Weide steht, waren 60 Euro versprochen.
    Doch statt sich öffentlich dafür in die Bresche zu werfen, gab die Ministerin vor den Haushaltgesprächen mit dem Finanzminister klein bei - nun ist beides gestrichen. Leider werde es kein Geld aus dem Landeshaushalt geben, müht sich Otte-Kinast bei Protestkundgebungen um Beschwichtigung - aber sie werde sich beim Bund bemühen, und das könne eben dauern.
    "Sie erhalten für unser Land Niedersachsen auch Landschaften! Wir sind uns alle, denke ich, sicher, alle Agrarminister-Kollegen in Deutschland, dass Sie dieses Geld brauchen, weil ohne ´ne Förderung gibt es diese Haltung nicht. Ich versuche wirklich, alle Töpfe und Hebel in Bewegung zu setzen, Sie dort zu unterstützen!"
    Aber sie sagt auch, dass sie nichts davon halte, Stallhaltung per se als ungesund und nicht artgerecht zu bezeichnen.
    Pro Vieh: Bei der Züchtung vieles "rückgängig machen"
    Es sei wichtig, dass Kühe ihre Bewegungsmuster auf der Weide frei ausleben können, hält Stefanie Pöpken dagegen. Doch die Fachreferentin beim Nutztierfachverband Pro Vieh räumt gleichzeitig ein, dass es notwendig sei, das Problem differenziert zu betrachten.
    "Es ist tatsächlich so, dass so eine Hochleistungskuh, die 40, 50 oder 60 Liter am Tag gibt, auf der Weide verhungern würde. Diesen Input, den sie an Nährstoffen braucht, den bekommt sie halt tatsächlich nur über´s Kraftfutter. Von daher würden wir so einer Kuh momentan keinen Gefallen tun, wenn wir sie von heute auf morgen nur auf der Weide halten würden. Wir müssten also im züchterischen Bereich sehr viel wieder verändern und rückgängig machen."
    Heiko Holthusens Kühe müssen an 120 Tagen mindestens sechs Stunden auf der Weise sein. Dafür zahlt ihm seine Molkerei einen Cent mehr pro Liter Milch. Das, sagt Holthusen, deckt den zusätzlichen Aufwand durch die Weidehaltung noch lange nicht.