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Streit ums Gedenken

Keine Spur von Vergebung? Das Projekt "Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung" wird zum Zankapfel. Ein Kommentar von Christina Weiss.

Von Christina Weiss | 16.03.2010
    Die Misstöne, die ausgelöst wurden, als das Projekt eines deutschen "Zentrums gegen Vertreibung" öffentlich wurde, waren von Anfang an schrill und unüberhörbar. Der erste Aufschrei aus der SPD-Grünen-Regierung und aus Polen gegen einen solchen Plan richtete sich gegen Erika Steinbach und den Bund der Vertriebenen. Bereits 2004 bat mich der polnische Kulturminister Waldemar Dabrowski, mein damaliger Kollege, auf einer gemeinsamen Reise entlang der deutsch-polnischen Grenze um Hilfe. Die Bundestagsabgeordneten der SPD und der Grünen - allen voran Markus Meckel – waren rasch gewonnen, um einen Gegenentwurf gegen das vom "Bund der Vertriebenen" nachdrücklich geforderte "Zentrum gegen Vertreibungen" zu entwickeln.

    Die für Deutschland geradezu peinliche Debatte, die uns die Schamröte ins Gesicht trieb, musste beendet werden. Wir konnten im Februar 2005 in Warschau eine Stiftung ins Leben rufen, die - unterschrieben von Deutschland, Polen, Ungarn und der Slowakei – von mehreren europäischen Ländern kofinanziert sich der Aufarbeitung des Themas "Vertreibung" im europäischen Kontext widmen sollte. Tschechien und Österreich waren bei allen Gesprächen dabei, für die aktive Beteiligung dieser beiden Länder hätte es noch einer anhaltenden Umwerbung bedurft. Die Wahlen in Deutschland 2005 und die Neuwahl in Polen kamen dazwischen. Die unter der Schröder–Regierung gegründete Stiftung "Erinnerung und Solidarität" wurde totgeschwiegen. Ihre klar definierte Aufgabe sollte darin bestehen, jeglichen rein nationalen Fokus auf das Thema Vertreibung als Opferthema zu vermeiden. Sie sollte das Zentrum eines umfassenden Netzwerkes sein, das alle geplanten Aktivitäten zu diesem Themenkomplex in den beteiligten Ländern diskutiert, prüft und darstellt. Wissenschaftler aller beteiligten Länder wurden Mitarbeiter dieser Warschauer Stiftung. Die Möglichkeit einer "europäischen Stiftung" war und ist auch heute leider noch nicht gegeben. Die Stiftung wurde gegründet, konnte aber nicht mehr zu politisch unterstützter Aktivität gelangen. Die Politik in Deutschland nahm seit 2005 die Idee eines "Zentrums gegen Vertreibung" wieder ins Visier und machte dieses Projekt zum Wunschprojekt im Regierungsprogramm der Großen Koalition.

    Eines der heikelsten europäischen Themen – das Thema Vertreibung – darf nicht und von keinem Land ausschließlich national diskutiert und dargestellt werden.

    Und, man darf die Kontextualisierung vor allem in Deutschland nicht vergessen: das NS-Terrorregime und der deutsche "Vernichtungsfeldzug" im Osten, der Holocaust, das alles gehört in diesen Themenkomplex. Gerade wir Deutschen sollten das eigene Opfertum – so entsetzlich das einzelne Schicksal der Opfer der Vertreibung auch ist – nicht überbetonen, sondern im großen Respekt für die osteuropäischen Nachbarn polyperspektivisch darstellen und diskutieren – immer auch im Bewusstsein der damit verbundenen deutschen Schuld.

    Kulturstaatsminister Bernd Neumann fand in der großen Koalition wenigstens eine - so schien es – passable Form für das Projekt: es entstand die "Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung". Dennoch: es blieb ein nationales Projekt in Deutschland, es blieb ein sentimental zugespitzter Blick auf ein äußerst differenziertes und schmerzhaftes europäisches Thema. Man reagierte auf Kritik durch den spät und vielleicht doch nur halbherzig eingerichteten wissenschaftlichen internationalen Beirat, der den europäischen Blick garantieren sollte. Dieser Beirat birst auseinander durch den Rücktritt des polnischen Wissenschaftlers Tomasz Szarota und der tschechischen Historikerin Kristina Kaiserovà. Helga Hirsch schloss sich den Rücktritten an. Der Zentralrat der Juden distanziert sich. Raphael Gross, der Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, fordert eine Studie darüber, in welchem Verhältnis Vertreibung, 2. Weltkrieg und Holocaust zu einander stehen. Silvio Peritore beschreibt eine "schlechte Stimmung" im Beirat. Die Politisierung ist zu stark und zu einseitig, wird beklagt. Ein verengter nationaler Blick ist in keiner Weise zu akzeptieren – weder im Stiftungsrat, in dem der Bund der Vertriebenen nun 6 von 21 Sitzen innehat und immer noch nicht schweigen mag über ein Vetorecht, noch weniger für einen internationalen Beirat, der die Rolle als "Feigenblatt" ablehnt und klare inhaltliche Auseinandersetzung fordern muss.

    Die Orte einer "nationalen Auseinandersetzung" sind längst geschaffen und vom Bund finanziert leisten sie sehr gute Arbeit der Erinnerung und der Aufarbeitung: jede einzelne Gruppe der Deutschen aus dem östlichen Europa hat ihr Museum, es gibt übergreifende Forschungsstätten für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Eigenartigerweise werden diese Institutionen seit der Wahl 2005 ebenso verschwiegen wie die Warschauer Stiftung "Erinnerung und Solidarität".

    Die geradezu machtgierige Einmischung des Bundes der Vertriebenen in die neu gegründete "Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung" ist anstößig. Die Debatte um den Sitz für Erika Steinbach war für Deutschland unwürdig. Der außenpolitische Unmut wurde ignoriert. Die Bundesregierung lief sogar Gefahr, sich die Aufsichts- und Gestaltungshoheit durch den lobbyistischen Druck des "Bundes der Vertriebenen" aus der Hand reißen zu lassen, eine ungeheuerliche Anmaßung. Das Streben nach Dominanz war unübersehbar und für die Kulturpolitik, für den Staatsminister für Kultur und Medien nicht hinnehmbar. Bernd Neumann ist bemüht um Schadensbegrenzung und inhaltliche Arbeit. Aber wie ist das noch erreichbar? Für wen soll die Stiftung arbeiten? Das Ziel ist kaum mehr definierbar, weil die Dissonanzen unüberhörbar sind. Das derzeitige Projekt ist von Beginn an missglückt. Es schadet seit Jahren dem außenpolitischen Ansehen der Bundesrepublik. Wollen wir alle nicht lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Die Chance, mit der bereits bestehenden "Stiftung Erinnerung und Solidarität" in Warschau weiter zu arbeiten bleibt. Bernd Neumann könnte den Mut dazu haben. Vielleicht kann er sich mit inhaltlichen Ressortargumenten dem Lobbyistendruck leichter entziehen als die Kanzlerin.

    Es kann uns Deutschen doch nur um ein Projekt der Versöhnung gehen! Dieses aber kann nur zustande kommen in Zusammenarbeit mit den unmittelbar betroffenen Nachbarländern. Jede nur-nationale Blickrichtung der Erarbeitung muss zwangsläufig in eine zerstörerische Irre führen.