Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Streit ums Saatgut
Widerstand gegen Nachbaugebühr wächst

Die Züchtung moderner Getreide- oder Kartoffelsorten kostet viel Geld. Die Bauern müssen deshalb Lizenzgebühren an die Züchter für die Saaten zahlen, die sie anbauen wollen. Dass das auch für Folgejahre gilt, wollen viele Bauern nicht länger hinnehmen. Beide Seiten suchen nach einem Kompromiss, aber der ist noch nicht in Sicht.

Von Susanne Lettenbauer | 03.05.2016
    Ein Traktor beim Kartoffelanbau.
    Mit dem Traktor im Einsatz beim Kartoffelanbau (imago / Chromorange)
    Walter Humbold blättert in den Formularen. Oben auf dem Briefkopf der Nachbauerklärung steht STV: Saatguttreuhandverwaltung Bonn, das Unternehmen treibt seit 1951 Geld für Saatzüchter ein. Das Mahnschreiben ging vor einigen Tagen an rund 80.000 Landwirte in ganz Deutschland, sie sollten aufschreiben, wann sie Nachbau betrieben hätten. Seitdem herrscht Aufruhr unter den Bauern:
    "Es ist ja nicht so, dass ich keine Lizenzen zahle, ich kaufe ja mein Saatgut. Ich zahle die Lizenz, die auf dem Z-Saatgut drauf ist, das sind zwischen dreißig und 35 Prozent, die der Züchter kriegt und von dem Saatgut, das ich kaufe, wird eben ein Teil als Saatgut zurückbehalten, das im nächsten Jahr wieder rauskommt."
    Der Bauer aus Königsmoor bei Neuburg an der Donau baut seit 33 Jahren Kartoffeln an. Auf 20 Hektar setzt er in diesen Tagen die braunen, dicken Knollen, auf seinen restlichen 50 Hektar wachsen Dinkel, Soja und Roggen. Die Z-Saaten, also lizenzierte Ware, kauft er bei einem nahen Händler. Seine Abnehmer für die Kartoffeln, pro Kilo rund 20 Cent, sind Schälfabriken für Kantinenessen.
    Der Streit schwelt seit den 90er-Jahren
    Einige der in seiner Scheune bei vier Grad gekühlten Kartoffeln würde Humbold gern als Saatkartoffeln nutzen, wie all die Jahrzehnte früher. Doch genau das ist den Kartoffelzüchtern ein Dorn im Auge. Verwendet ein Bauer die von ihm gezogenen Kartoffeln, aber auch Getreidekörner oder Sojabohnen für die Aussaat, ist das verboten, außer man zahlt eine sogenannte Nachsaatgebühr, jedes Jahr aufs Neue, solange die Lizenz besteht.
    Die hat eine Laufzeit zwischen 15 und 30 Jahren, ähnlich dem geistigen Eigentum eines Autors, dessen Urheberschaft nach 70 Jahren ausläuft. Walter Humbold und mit ihm 30.000 weitere Bauern in ganz Deutschland empfinden das als Unrecht und zahlen nicht. Die Gebühr sei zwar nicht existenzbedrohend, aber es gehe ums Prinzip: "Ich meine, ich kaufe das Saatgut und wenn ich es kaufe, gehe ich davon aus, dass es mir gehört und nicht geleast ist. Und wenn ich es gekauft habe, habe ich auch die Lizenzen damit gekauft und damit ist es für mich abgegolten.
    Der Streit schwelt seit Ende der 1990er-Jahre. Damals wurden Nachbaugebühren gesetzlich festgelegt. Seitdem kämpft die Interessengemeinschaft Nachbau im niedersächsischen Lüneburg gegen die Gebühren, ging mehrfach erfolgreich vor Gericht - bis Herbst 2015. Da entschied der Europäische Gerichtshof im sogenannten "Vogelurteil", bis wann Züchtern Nachbaugebührenentschädigung zusteht und ab wann die Saatguttreuhandverwaltung STV Schadensersatz fordern kann.
    Der Haken: Die STV muss jeden einzelnen Bauern konkret bei Verdacht anschreiben, mit genauer Angabe, um welche Saat es sich handeln soll. Doch wie weist man einem Bauern nach, dass er Ernte für das kommende Jahr zurückhält. Deshalb gehen die Saatzüchter jetzt auf Konfrontationskurs.
    In Freising bei den Bayerischen Pflanzenzucht- und Saatbauverbänden versteht Geschäftsführer Christian Augsburger das Problem nicht. Die gesetzlichen Vorschriften seien klar. Die elf überwiegend mittelständischen Züchterbetriebe in Bayern - und 58 in ganz Deutschland - leisteten mit der Entwicklung von neuen Kartoffel- oder Getreidesorten einen wichtigen Beitrag zur Ertragssteigerung und Schädlingsresistenz. Die umstrittenen amerikanischen Firmen Monsanto oder Syngenta seien fast nicht beteiligt.
    Kompromiss wird gesucht
    Zu schwierig sei für die Amerikaner der genresistente deutsche Markt, der jetzt mit dem TTIP-Abkommen aufgebrochen werden soll. Wolle man die noch verbliebenen deutschen Saatgutzüchter nicht den globalen Konzernen opfern, müsste neben der Lizenz- auch eine Nachbaugebühr für die Refinanzierung gezahlt werden: "Das sind Familienbetriebe, das sind Landwirte, wie andere Landwirte auch, die eben Züchtung betreiben, die sind drauf angewiesen."
    Der Deutsche Bauernverband hält sich auffallend zurück. Züchter wie auch die anbauenden Landwirte sind seine Mitglieder. Der Bayerische Bauernverband rät sogar zur Zahlung. Denn die Konsequenzen aus der Weigerung könnten gravierend werden, mahnt Züchterverbandschef Augsburger. Man wolle doch keine Zustände wie in den USA:
    "Also im extremsten Fall ist ein Szenario möglich, dass die Züchtung in diese Arten, wie wir es bei Getreide kennen, bei Kartoffeln kennen, das sind Selbstbefruchter, wo eben Nachbau möglich ist, zunehmend zurückgefahren wird und wie in den USA auch, der Fokus nur noch auf den Arten besteht bei denen Hybriden möglich sind."
    Und mit diesen sterilen Pflanzen wäre Nachbau ausgeschlossen. Um die Fronten aufzuweichen, versuchen die widerständigen Bauern jetzt, auf die Saatgutzüchter zuzugehen. Sie würden höhere Lizenzen zahlen, wenn die Nachbaugebühren wegfallen. Alle Landwirte, die jedes Jahr komplett neues Saatgut kaufen, könnte man Rabatte oder Erstattungen anbieten. Noch lassen sich die Züchter nicht darauf ein und beharren auf ihrem Vorschlag, nur für vier zurückliegende Jahre Nachforderungen zu stellen. Dafür müssten Bauern wie Walter Humbold aber erst mal zugeben, dass sie Kartoffeln oder Getreide nachgebaut haben.
    Und das wäre dann doch zuviel verlangt.