Freitag, 19. April 2024

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Streitkräfte Mazedoniens gehen gegen Rebellen vor

Lange: Geht Mazedonien nun auch den Weg von Slowenien, Kroatien, Bosnien und des Kosovo? Lange Zeit ist es gelungen, diese ehemalige jugoslawische Teilrepublik aus den Balkan-Kriegen herauszuhalten, aber nun ist die Gefahr mit Händen zu greifen. Untergrundkämpfer einer selbst ernannten "Befreiungsarmee der Albaner" versuchen, einen Bürgerkrieg zu provozieren. Gestern sind die regulären Streitkräfte Mazedoniens im Gebiet von Tetovo erstmals mit Panzern gegen die Rebellen vorgegangen. Am Telefon begrüße ich Dieter Wellershoff, den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr. Guten Morgen!

21.03.2001
    Wellershoff: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Wellershoff, es ist nicht mal zwei Monate her, da haben Sie Mazedonien in dieser Sendung als ein Beispiel genannt, wo internationale Diplomatie und militärische Abschreckung erfolgreich Hand in Hand gegangen sind, um ein Übergreifen des Kosovo-Konflikts zu verhindern. Und jetzt das! Was ist dort schief gelaufen?

    Wellershoff: Damals habe ich die präventive Stationierung einer UN-Truppe bis 1999 angesprochen. Was dort schief läuft? - Natürlich ist es eine typisch balkanische Erscheinung. Ich denke es ist ganz wichtig, dass wir unsere Ziele dort klar bestimmen. Wir wollen, dass die Region stabilisiert wird. Wir wollen, dass dort Demokratie und Menschenrechte herrschen. Wir wollen keine territoriale Neuordnung des Balkan. Wir haben in Mazedonien eine Regierung, die demokratischer Natur ist. Unser Auswärtiges Amt schreibt auf seiner Internet-Seite, dass die bilateralen Beziehungen zu Mazedonien besonders herzlicher Qualität seien. Es wird Zeit, dass wir mal definieren, was eigentlich die politischen Mittel sind, nach denen nun alle rufen.

    Lange: Das heißt die Verantwortung liegt eindeutig bei der Politik, die in diesem Falle nicht richtig agiert hat?

    Wellershoff: Politik ist nicht nur für das verantworltich, was sozusagen ohne Einmischung militärischer Mittel passiert, sondern Politik ist auch verantwortlich, wenn Streitkräfte eingemischt werden. Man kann das nicht in politisch und militärisch teilen. Es scheint mir wichtig zu sein, dass wir hier im Grunde genommen das doppelte tun. Auf der einen Seite sollten wir schon dafür sorgen, dass die Terroristen, die dort tätig sind, nicht immer noch Waffennachschub haben und ähnliches. Auf der anderen Seite glaube ich ist es an der Zeit, dass die mazedonische Regierung einmal überlegt, wie sie diesen Kräften den Nährboden entziehen kann, damit aus den Aktivitäten von Kleingruppen nicht plätzlich ein Flächenbrand wird. Man darf ja nicht vergessen: die Albaner in Mazedonien sind keine kleine Minderheit. Das sind je nach Quelle 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung. Das ist eine Volksgruppe, die natürlich ihre Berücksichtigung finden möchte.

    Lange: Herr Wellershoff, kommen wir noch einmal auf die Rolle des Militärs zu sprechen. Festzuhalten ist doch: die UCK wurde offenbar nur unzulänglich entwaffnet, was Sache der KFOR gewesen wäre, und die KFOR hatte die Pufferzone nach Mazedonien nicht unter Kontrolle. Inwieweit trifft die Militärs dort eine Verantwortung?

    Wellershoff: Ich möchte die Zuordnung der Verantwortung nicht so einseitig auf eine der Seiten legen. Das entscheidende ist, dass man im Krisen-Management erstens früh agiert. Das was jetzt in Mazedonien passiert ist zum Beispiel von dem Londoner Institutu für strategische Studien schon vor zwei Jahren vorhergesagt worden. Darüber hinaus muss man entschlossen agieren. Das letztere trifft natürlich auch den Einsatz der KFOR, die dort natürlich unter politischer Führung agiert. Die nicht vollständige Entwaffnung der UCK ist glaube ich von vielen Albanern interpretiert worden, als ob die NATO sozusagen der Bündnispartner der Albaner wäre. Das sind wir aber nicht. Wir sind die Bündnispartner von Stabilität und Frieden. Deshalb muss man den auch den demokratischen und gemäßigten Albanern ganz klar machen, dass es Grenzen für die Unterstützung gibt. Deshalb muss die Entwaffnung weiter vorangetrieben werden. Deshalb muss die Grenzregion zu Mazedonien unter Kontrolle gebracht werden.

    Lange: Was würden Sie dem Verteidigungsminister in dieser jetzigen Situation an konkreten Schritten in den nächsten 48 Stunden raten, wenn er Sie zu Rate ziehen würde?

    Wellershoff: Ich würde zunächst einmal dafür sorgen, dass sich alle einig sind, die Staatengemeinschaft sich einig ist. Das ist eine sicherheitspolitische Aufgabe. Es darf nicht sein, dass jeder seine eigene Klientel am Balkan hat. Die Russen, die Griechen, die Türken, die Deutschen, die Franzosen, die Amerikaner, alle haben sie ihre speziellen Freunde. Darüber muss sich die Staatengemeinschaft einig sein. Dann würde ich dafür plädieren, dass man tatsächlich das, was in der Resolution des Sicherheitsrates für die KFOR drin steht, nämlich die Entwaffnung der KLAA, die sich jetzt umbenannt hat, nun wirklich auch weiterhin sehr energisch zu verfolgen.

    Lange: Die Außenminister haben sich nicht dazu durchringen können, das Mandat der KFOR auf Mazedonien auszuweiten beziehungsweise das zu betreiben. Ist das ein Fehler?

    Wellershoff: Nein, dazu besteht im Augenblick glaube ich kein Anlass. Ich bin wie gesagt kein Insider. Ich kenne die Details der Lage nicht. Aber es sieht doch ganz so aus, als ob das noch eine lokale kleinere Aktion wäre. Wenn wir das vermeiden wollen, dann müssen wir all die anderen Schritte, die ich vorhin genannt habe, auch wirklich energisch unternehmen.

    Lange: Das war in den "Informationen am Morgen" Dieter Wellershoff, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr. Vielen Dank! - Mitgehört hat Gert Weisskirchen, seines Zeichens außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Weisskirchen!

    Weisskirchen: Schönen guten Morgen.

    Lange: Herr Weisskirchen, wie sehen Sie denn das Verhältnis der Verantwortung zwischen Politik und Militär in Sachen Mazedonien?

    Weisskirchen: Es kann nur eine gemeinsame Verantwortung geben, und ich bin fest davon überzeugt, dass es noch gelingen kann, dass dieser Konflikt eingehegt werden kann. Es kommt darauf an, dass man politisch klug darauf reagiert, fest auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch zugleich die Ursachen des Konfliktes versucht zu beseitigen.

    Lange: Aber Herr Weisskirchen wie kann es denn sein, dass sich vor den Augen der Politiker wie der Militärs dort eine derartige Krise hochschaukelt und alle Welt ist dann überrascht, dass es so weit kommen konnte?

    Weisskirchen: Nein, nein. Es ist nicht so, dass alle Welt überrascht wäre. Man hat schon einige Momente der Gefährdungen erkannt und es ist auch frühzeitig darauf hingewiesen worden. Es hat Kollegen gegeben, die die Region besucht haben. Allerdings muss man hinzufügen, dass es noch einige Unsicherheiten innerhalb der unternationalen Staatengemeinschaft gegeben hat. Die allerdings werden wohl in diesen Tagen - so hoffe ich jedenfalls - beseitigt.

    Lange: Offenbar haben ja die Rebellen bei der albanischen Bevölkerung in Mazedonien auch einen gewissen Resonanzboden. Sind die Sorgen der Albaner in Mazedonien nicht ernst genug genommen worden?

    Weisskirchen: Multiethnisch sollte dieser Staat sein. Die Ansätze gibt es dafür, aber es gibt eben leider auch innerhalb Mazedoniens noch nicht die innere Bereitschaft, ausreichend genug dafür zu sorgen, dass Ursachen der Gewalt beseitigt werden können. Immerhin hat die Europäische Union jetzt in diesen Tagen auch selbst entschieden, dass 36 Millionen Euro ganz bewusst dafür eingesetzt werden, damit die mazedonische Ökonomie unterstützt werden kann, damit sie voran kommt. Und dass beispielsweise die Universität in Tetovo unterstützt und gefördert werden kann, deren Grundlage ja wie Sie wissen die albanische Sprache ist, das hätte man sich auch schon früher überlegen können.

    Lange: Herr Weisskirchen, so wie die westliche Politik und wie die KFOR auf diese Eskalation bisher reagiert hat, werden damit nicht die Überlegungen in Sachen Krisenreaktionskräfte bis zu einem gewissen Grad ad absurdum geführt?

    Weisskirchen: So hart würde ich es nicht formulieren. Die KFOR macht ja im Kosovo durchaus eine gute Arbeit und es kommt darauf an, nun dafür zu sorgen, worauf es ankommt, nämlich dass die Grenze gesichert wird, damit zum Beispiel keine weiteren Infiltrationen stattfinden.

    Lange: Aber der entscheidende Punkt ist doch: die westlichen Regierungen signalisieren, dass sie keine militärischen Risiken eingehen, was verständlich ist. Sie wollen ja auch wiedergewählt werden. Aber wenn das jeder potenzielle Unruhestifter weiß, wie soll denn so eine Abschreckung funktionieren?

    Weisskirchen: Man muss ja immerhin auch davon ausgehen können, dass diejenigen, die beispielsweise innerhalb des Kosovo oder andere, die albanisch sprechen, wissen, dass die westliche Staatengemeinschaft durchaus auf der Seite und an der Seite von Minderheiten steht. Das wissen sie seit Jahren. Man kann von ihnen auch erwarten, dass sie sich an die Ziele, die die internationale Staatengemeinschaft verfolgt, nämlich erstens die Gewalt einzudämmen, halten und zweitens dafür zu sorgen, dass multiethnische Staaten dort unterstützt werden. Das müssen auch diejenigen wissen, die sich extrem verhalten oder gar terroristisch verhalten, dass sie die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft nicht finden.

    Lange: Sehen Sie denn noch politische und diplomatische Ansatzpunkte, um das schlimmste dort abzuwenden? Was hat der Westen denn noch als Trümpfe zu bieten?

    Weisskirchen: Er kann zum Beispiel versuchen, dass in der Region eine Sicherheitskonferenz stattfindet, bei der die Beteiligten versuchen, die Konflikte gemeinsam zu bereinigen. Das Parlament in Mazedonien hat wie ich finde eine vernünftige Erklärung in der letzten Woche verabschiedet, dass die Probleme gemeinsam politisch geregelt werden müssen und eben nicht militärisch. Es gibt durchaus Anknüpfungspunkte, Ansatzpunkte, in der Region dafür zu sorgen, dass auf der einen Seite die berechtigten Wünsche der Albaner mit gefördert und unterstützt werden, zum Beispiel dass es einen dritten Kanal für Fernsehen und Rundfunk geben soll, der albanisch ist, also die kulturelle Identität in der Region zu fördern und in Mazedonien zu fördern. Das ist alles sinnvoll, auf der anderen Seite aber eben auch, den Extremisten deutlich zu machen, dass sie keinerlei Unterstützung von uns, von der internationalen Staatengemeinschaft finden werden. Also Anknüpfungspunkte gibt es; man muss sie vernünftig nutzen.

    Lange: Hat sich am Verhältnis zu denjenigen etwas geändert, die man bisher im Kosovo als Partner begriffen hat?

    Weisskirchen: Was beispielsweise Herrn Rugova anbetrifft nicht. Wir haben mit ihm in der letzten Woche gesprochen und er ist selber hoch daran interessiert, dass alle Konflikte gewaltfrei gelöst und geregelt werden. Sie sehen also, es gibt durchaus Anknüpfungspunkte. Wenn es andere Mediatoren bräuchte, die dafür sorgen, dass die Extremisten herangezogen werden, ich bin überzeugt davon, dass beispielsweise die OSZE-Parlamentarierversammlung durchaus bereit wäre, mit jedem zu reden. Es kommt uns dabei nicht darauf an, irgendwen aufzuwerten. Wenn die Gewalt durchbrochen wird, kann es mit jedem ein Gespräch darüber geben.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Gert Weisskirchen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. - Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio