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Stress pur

Eltern sind parteiisch, ungerecht und engagiert. Es ist ihre Aufgabe, hinter ihren Kindern zu stehen, gerade dann, wenn es in der Schule Stress gibt. Den Eltern fehlt die Selbstkritik der Lehrer, den Lehrern ein wenig Zurückhaltung und Angemessenheit im Auftreten bei den Eltern. Und manche von diesen sind längst als rotes Tuch im Kollegium bekannt. Ein Solinger Gymnasium geht in Sachen Beschwerdemanagement daher neue Wege.

Von Katrin Sanders | 16.06.2007
    Gedränge vor dem Sekretariat in der großen Pause, eine aufgebrachte Mutter will die Konrektorin sprechen, in der Hand die Bücher, die sie nun am Ende des Schuljahres ersetzen soll. Die Grundschullehrerin versucht zu klären: welche Gebrauchsspuren hatte das Buch vorher schon, was ist im Laufe des Schuljahres dazu gekommen.

    " Und da gibt's natürlich oft Meinungsverschiedenheiten. Eltern sehen das natürlich anders und argumentieren oft, dass das Buch Gebrauchsspuren aufweist, die es am Anfang des Schuljahres schon hatte. Das ist oft so. Es ist ein Trinkpäckchen ausgelaufen in der Tasche, das ist eine vollkommen alltägliche Situation und hat leider an diesem Tag die Bücher völlig versaut, die da drin waren. Und Eltern sagen dann: da können wir doch nichts für, da ist die Flasche ausgelaufen. Ja. Und ich muss dann sagen: ich kann da aber auch nichts für und kann das Buch keinem mehr anbieten. "

    Die Lehrerin bleibt hart: Das Buch ist hin. Die Mutter, so befürchtet sie, wird beim Sommerfest wohl nicht zum helfen kommen. Konflikte wie dieser sind unumgänglich und Schulalltag - auch am nahe gelegenen Humboldt-Gymnasium in Solingen. Gehobenes Einzugsgebiet, engagierte und informierte Eltern, was die Sache nicht eben leichter macht, sagt Schulleiter Marco Voigt:

    " Auf der einen Seite sind wir sehr froh, dass wir sehr viele Eltern haben, die sachkundig sind in vielen schulischen Angelegenheiten, auf der anderen Seite wird auch diese Sachkundigkeit oft missbraucht um eigene Interessen in die Schule reinzutransportieren und Eltern auch mit großem Selbstbewusstsein auftreten und meinen das wäre ganz, ganz wichtig und das wichtigste überhaupt und es stellt sich dann heraus, dass das auch morgen oder übermorgen hätte behandelt werden können. "

    Frieder Angern, der Religion und Sozialkunde unterrichtet, ergänzt:

    " Das gibt's ja, dass Eltern ganz aufgebracht in die Schule kommen, da hat vielleicht ein Schüler per Handy zu Hause angerufen und dann stehen die Eltern vor der Klassentür und dann kommt der Kollege raus und die gehen ihn massiv an - ein schlechtes Beispiel, wie man mit Konflikten umgeht. "

    Mit dem gegenseitigen Lamento: aufgekratzte Eltern hier, selbstgerechte Lehrer da, wollte man sich am Humboldt-Gymnasium nicht länger abfinden. Seit einigen Monaten ist man sich auf dem Weg zu einer besseren Gesprächskultur. Stichwort: Beschwerdemanagement. Seitdem sind beispielsweise überfallartige Elternbesuche verboten. Aber:

    " Eltern, die hier in den Verwaltungsbereich kommen und sich ärgern, die haben hier sofort einen Gesprächspartner, aber nicht so, dass wir das sofort auch inhaltlich angehen. Schon so, dass wir sagen, kommen sie rein, tragen sie vor, und wir wollen dafür sorgen, dass das zu einer Lösung gebracht wird. Den Eltern soll gezeigt werden, das ist hier gut aufgehoben euer Problem, aber wir haben jetzt ein abgestimmtes Vorgehen. "

    Zu dem als erster Schritt das direkte Gespräch gehört. Nicht sofort und nicht zwischen Tür und Angel, vielmehr mit Termin und Vorbereitung sollen Lehrer und Eltern an einem Tisch gebracht werden. Der Schulleiter:

    " Beschwerdemanagement ist ein behutsames Erklimmen der Eskalationsleiter. Dass man also nicht sofort alle Stufen überspringt und zum Schulleiter oder zur Schulaufsichtsbehörde springt, was durchaus vorkommt, dass man erstmal auf der ähnlichen Ebene Leute ins Boot holt. Dass man sagt: wir nehmen noch ein anderen Elternteil dazu, noch einen weiteren Kollegen dazu, einen Vertrauenslehrer. "

    Außenstehende, die helfen sollen, den Konflikt zu moderieren, bevor er eskaliert. Die Schule hat dazu eigens Besprechungsräume eingerichtet.

    " Das soll dann auch im großen Konferenzraum stattfinden, wo man dann, wie man so schön sagt, auf Distanz gehen kann, auf zwei Degenlängen gehen kann und dann das Problem im Blickfeld bleibt und nicht die menschlichen Probleme dominieren. "

    "Elterngespräche konstruktiv führen", dazu hat das Kollegium außerdem eine Fortbildung geplant. Überraschende Schützenhilfe bekommt die Schule auch von Schülerinnen. Eltern, die in der Schule bloß Dampf ablassen, helfen nicht wirklich weiter, finden Melanie, Eva und Annika aus der 9a:

    " Ich sag denen dann, die sollen das lieber lassen, ich find das immer sehr unangenehm, wenn die dann mit den Lehrern reden wollen. "

    " Meistens finde ich übertreiben die auch ein bisschen und wie die dann an die Sache dran gehen: meine Eltern schreiben dann manchmal so Briefe an die Schule und das finde ich dann schon ein bisschen peinlich, wenn ich selber sage: ja, ich hab da gelabert oder Unsinn halt gemacht und dann braucht ihr euch nicht beschweren. "

    " Weil man muss ja auch damit rechnen, dass die Lehrer dann ein Auge auf einen werfen. Da hat man auch keinen Bock drauf. Manchmal ist es auch negativ, dass die Lehrer nur noch schlechter einen behandeln. "

    Selbstkritik will gelernt sein. Ohne geht es nicht, ganz egal wie unangemessen sich Eltern manchmal verhalten mögen, sagt Schulleiter Marco Voigt:

    " Auch Lehrer sind ja dahingehend nicht richtig ausgebildet. Hier werden Leute, die sich ja in der Hochschule einer fachlichen Ausbildung zugewendet haben, lernen, dass in ihrem Berufsalltag ganz andere Dinge einen viel höheren Stellenwert haben. Das ist das Problem des Berufseinsteigers. Der erfahrene Lehrer hat eigentlich ein ganz andres Problem: Er ist es gewöhnt, im Kursraum der zu sein, der bestimmt. Und er muss erst lernen, damit gelassen umgehen, das zuzulassen und auch Kritik zulassen. "

    Teamspieler müssen alle werden, die am Konflikt beteiligt sind. Der Aufbruch zu einer bessern Streitkultur lohnt sich, findet Melanie:

    " Ich finde das gut, dass die darüber reden, wie man das klären kann und wie man damit umgeht, weil sonst, vielleicht kommen dann noch mehr Probleme auf, wenn man das einfach nicht wahrnimmt und so im Raum stehen lässt. "

    Das gesamte abgestufte Deeskalationsmodell ist auf der Homepage des Gymnasiums für alle Beteiligten nachzulesen - nicht irgendwo versteckt, sondern gleich auf der ersten Seite.