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Ströbele: Kein Schwarz-Grün nach bisherigen Sondierungsgesprächen

Die Positionen zwischen den Unionsparteien und den Grünen lägen in vielen Fragen weit auseinander, sagt Christian Ströbele. Nur aus staatspolitischer Verantwortung eine Koalition einzugehen, sei falsch, ergänzt der Grünen-Politiker. Er würde auch mit der Linkspartei Gespräche führen.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Gerd Breker | 15.10.2013
    Gerd Breker: Die Mehrheit der Deutschen möchten, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Eine deutliche Mehrheit spricht sich für eine Große Koalition aus. Das weiß die Physikerin der Macht und ist schon wieder abgehoben von den Niederungen der Koalitionssondierungen. Für die Mehrheit zur Kanzlerinnenwahl braucht sie aber einen Partner. Die Zeichen stehen auf Große Koalition, dafür spricht schon die Länge der gestrigen Sondierungen, auch wenn die einen noch sagen, wir haben gewonnen, und die anderen den Politikwechsel für ihre Parteimitglieder einfordern.
    Wir haben es gehört: Am Nachmittag finden auch Sondierungen der Union mit den Grünen statt. Es sind die Zweiten. Wir sind am Telefon verbunden mit dem direkt gewählten grünen Abgeordneten Christian Ströbele. Die Direktwahl, Herr Ströbele, ein Privileg, das Sie unabhängig macht. Sie sind auch nicht dabei, wenn am Nachmittag sondiert wird. Nur was soll bei diesen Gesprächen herauskommen, außer der Tatsache, dass demokratische Parteien miteinander reden können?

    Hans-Christian Ströbele: Das weiß ich auch nicht genau, was da rauskommen soll. Wir erwarten, dass zu den Themen, die bisher nicht angesprochen worden sind – da gibt es eine ganze Reihe von Punkten, wo es ganz offensichtlich Widersprüche und Differenzen in den Positionen von Union und von Grünen gibt -, dass da Vorschläge der Kanzlerin oder der Union gemacht werden, wie man den Grünen entgegenkommen kann und grüne Vorschläge übernehmen oder zum Teil übernehmen kann.

    Breker: Ist denn Schwarz-Grün, Herr Ströbele, für Sie überhaupt denkbar?

    Ströbele: Nach dem, was ich bisher weiß von den bisherigen Sondierungsgesprächen, ist es für mich nicht vorstellbar. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Punkten, die bisher noch nicht erörtert worden sind. Nehmen wir zum Beispiel die Frage von Rüstungsexporten. Da sind die Positionen diametral entgegengesetzt, wie die Kanzlerin das praktiziert hat und wie die Grünen das wollen und fordern und wie es auch richtig und humanitär wäre. Und nehmen Sie etwa die ganze NSA-Affäre, die ist völlig in Vergessenheit geraten, obwohl jede Woche wieder neue Meldungen kommen. Die Kanzlerin, die Bundesregierung tut, da nichts; es ist zu befürchten, dass das auch in Zukunft so bleibt. Bis heute sind beispielsweise die Fragen, die Fragenkataloge, die die Bundesregierung an die USA gestellt hat, nicht beantwortet. Aber es gibt keine Reaktion der Bundesregierung darauf.

    Breker: Und noch ein weiteres kann man sich vorstellen, Herr Ströbele: Die Grünen im Verbund mit Angela Merkel kämpfen in Brüssel für die deutsche Autoindustrie und gegen eine Verschärfung des CO2-Ausstoßes.

    Ströbele: Nein, das ist völlig unvorstellbar für mich, und Sie haben genau ein Beispiel geliefert, wo ganz aktuell, also in diesen Tagen deutlich wird, dass die Positionen in solchen essenziellen Punkten nicht kompatibel sind, dass sie nicht zusammenpassen. Das, was die Grünen wollen, fordern, im Europäischen Parlament anmahnen, hier im Bundestag anmahnen, und das, was die Kanzlerin oder die Bundesregierung tut und gerade wieder getan hat.

    Breker: Vor der Wahl, Herr Ströbele, wollten Grüne und SPD den Politikwechsel. Können sich das die Grünen, die kleinere Partei, kann sie sich das überhaupt leisten, ohne signifikanten Wechsel in der Politik sich an der Macht zu beteiligen?

    Ströbele: Es darf nicht so sein, dass man jetzt sagt, aus staatspolitischer Verantwortung geben wir uns dafür her, Unionspolitik umzusetzen, so wie das Herr Seehofer fordert, wenn er sagt, wir haben die Wahl gewonnen, wir, die CSU, und die CDU haben die Wahl gewonnen und jetzt muss jede Politik umgesetzt werden, und da erwarten wir etwa von den Grünen, dass die uns dabei helfen. Das kann nicht sein. Das wäre keine staatspolitische Verantwortung, weil wir diese Positionen in wesentlichen Punkten für falsch halten, und das wäre auch für die Grünen wahrscheinlich ein Abgesang, wenn wir so was tun würden.

    Breker: Würde nach diesem verfehlten Wahlkampf der Grünen eine schwarz-grüne Koalition nicht die kleine Partei zerreißen? Würden die Grünen nicht der FDP folgen?

    Ströbele: Das käme natürlich darauf an, was vereinbart wird und was an grünen Positionen sich in einer Koalitionsvereinbarung wiederfindet. Aber noch mal: Ich sehe bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Union da auf die Grünen zukommen will. Ich kenne keinen einzigen Vorschlag, wo die Union sagt, wir übernehmen jetzt zum Teil oder ganz grüne wichtige Positionen und sagen, okay, wenn ihr mit uns eine Koalition macht, geben wir nach.

    Das sehe ich nicht und ich bin dagegen, dass das jetzt allzu lange fortgesetzt wird. Es kann nicht sein, dass die Union die Grünen und die SPD wechselseitig gegeneinander ausspielt und so nach dem Motto handelt, wen kriegen wir billiger, was wir gestern Abend von der SPD nicht gekriegt haben, kriegen wir jetzt vielleicht von den Grünen. Das kann kein Prozedere sein, was jetzt fortgesetzt wird, sodass heute geklärt werden muss, gibt es überhaupt eine Basis und wenn nicht, dann muss dem Parteitag am kommenden Wochenende der Grünen vorgeschlagen werden, dass es damit sein Bewenden hat.

    Breker: …, zumal auf der anderen Seite des Verhandlungstisches ja nicht nur Angela Merkel sitzt, sondern zum Beispiel auch Horst Seehofer.

    Ströbele: Ganz genau! Und der betont ja immer wieder, dass das Unionsprogramm jetzt umgesetzt werden muss. Das sei der Wählerauftrag, dafür hätten sie eine Mehrheit bekommen, und es ist ja unübersehbar, dass sie mit Abstand die stärkste Partei geworden sind im Deutschen Bundestag. Aber das kann nicht heißen, dass sie nun von den kleineren, dass sie jetzt beispielsweise von den Grünen verlangen kann, ihr müsst uns deshalb an die Macht hieven und vier Jahre lang an der Macht bleiben. Das wäre ein Aufgeben zentral wichtiger grüner Positionen, für die wir Wahlkampf gemacht haben, die in unserem Wahlprogramm stehen und für die wir auch in der Öffentlichkeit stehen.

    Breker: Schwarz-Grün als mittelfristige Option, Herr Ströbele, liegt da nicht eigentlich Rot-Rot-Grün viel näher?

    Ströbele: Da mache ich keinen Hehl draus. Ich habe schon vor der Wahl gesagt, ich hätte keine Probleme, auch mit der Linkspartei zu reden. Auch da gibt es gravierende Unterschiede, man muss darüber reden, ob man da zusammenkommen kann. Und man kann nicht sagen, wir reden mit allen, und dann lässt man eine im Bundestag vertretene Partei raus. Ich werde noch diese Woche an einer Podiumsdiskussion teilnehmen, wo auch der Vorsitzende der Linkspartei dabei ist, wo vermutlich auch der Landesvorsitzende der SPD in Berlin dabei ist. Also ich führe solche Gespräche und Diskussionen auch offen und öffentlich und bisher kann man natürlich auch nicht sagen, da passt alles zusammen. Aber da gibt es natürlich eine wesentliche Übereinstimmung in einer ganzen Reihe von Punkten, aber es gibt auch heftige Kontroversen und Divergenzen.

    Breker: Bei all diesen Koalitionsspielen, Herr Ströbele, ist da die Bundesebene nicht vielleicht doch noch eine Spur zu hoch? Wäre nicht die Länderebene ein viel besseres Exerzierfeld?

    Ströbele: Wir wollen ja nicht exerzieren. Wir wollen nicht üben, sondern wir wollen Verantwortung in einer Regierung übernehmen, aber dann auch nur, wenn wir zentrale grüne Forderungen umsetzen können, wenn sie reale Politik werden. Hier wird nicht experimentiert, hier wird nicht exerziert, schon gar nicht, und es wird auch jetzt nicht nur die ganze Zeit immer weiter geprüft, sondern das muss jetzt zu einem Ende kommen. Ich glaube, die Bevölkerung will auch wissen, wo es langgeht.

    Breker: Die Meinung des direkt gewählten grünen Abgeordneten Christian Ströbele im Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.