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Ströbele: Parlament wird an der Nase herumgeführt

Das Ende der Fahnenstange sei in der NSA-Affäre noch nicht erreicht, glaubt der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Er fordert Aufklärung vom BND und Verfassungsschutz, ob das Prism-System nur getestet oder auch angewendet wurde.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Bettina Klein | 23.07.2013
    Tobias Armbrüster: Seit Wochen wird bei uns in Deutschland über den US-Geheimdienst NSA und über die Enthüllungen von Edward Snowden diskutiert, und irgendwie könnte man in dieser ganzen Debatte auf den Gedanken kommen, diese geheime Behörde müsste langsam doch auch den Amerikanern irgendwie unheimlich werden. Zumindest müsste die NSA zurechtgestutzt, kleiner gemacht werden. Aber das Gegenteil ist ganz offensichtlich der Fall: Die NSA wird weiter ausgebaut, und zwar im Rekordtempo.
    In der Kontroverse um die Ausspähmanöver der Amerikaner gerät seit dem Wochenende hier bei uns in Deutschland auch das Kanzleramt immer stärker unter Druck, seitdem nämlich bekannt wurde, dass auch der Bundesnachrichtendienst Software der NSA benutzt haben soll, und seitdem stellen sich viele Kritiker die Frage, ob die Kanzlerin und ihre engsten Mitarbeiter mehr wissen, als sie öffentlich zugeben wollen. Im Visier steht jetzt vor allem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, der Koordinator für die Geheimdienste. Der hat gestern überraschend angekündigt, dass er dem Parlamentarischen Kontrollgremium möglichst bald Rede und Antwort stehen will, wahrscheinlich noch in dieser Woche. – Meine Kollegin Bettina Klein hat darüber gestern Abend mit dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele gesprochen und sie hat ihn zunächst gefragt, was er von Pofalla und von BND-Chef Gerhard Schindler vor allem wissen will.

    Hans-Christian Ströbele: Ich will erstens wissen, ob das stimmt, was der "Spiegel" jetzt schreibt, dass der BND und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz mindestens Teile dieses Prism-Systems nicht nur kennen, sondern auch selber haben, möglicherweise selber anwenden – nicht nur der Verfassungsschutz, vor allen Dingen auch der BND -, warum sie uns das nicht in den letzten Sitzungen erzählt haben, warum wir da genauso ahnungslos rausgegangen sind, wie wir reingegangen sind, und vor allen Dingen, was haben sie eigentlich von diesen, ihren Tätigkeiten, Aktivitäten und Möglichkeiten im Bundeskanzleramt, das ja die Aufsicht führen soll, erzählt, wem haben sie da was erzählt, und dann werden wir der Frage nachgehen, warum hat das Bundeskanzleramt nicht dafür gesorgt, dass das Parlamentsgremium informiert wurde.

    Bettina Klein: Ist das jetzt, Herr Ströbele, der entscheidende Dreh, oder welchen Stellenwert nehmen diese neuesten Informationen ein?

    Ströbele: Ach wissen Sie, nach jeder neuen Meldung denkt man, das war aber jetzt die Krone. Offenbar sind wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Ich erwarte jede Woche neue Überraschungen und bin da bisher auch nicht enttäuscht worden. Wir werden sehen und lange lassen wir uns das nicht mehr gefallen, dass man das Parlament an der Nase herumführt.

    Klein: Da wir heute mit Ihnen sprechen, Herr Ströbele, schauen wir noch auf Ihre Partei, die Bündnis-Grünen. Sie waren von 1998 bis 2005 an der Regierung. Wir dürfen davon ausgehen, dass es in dieser Zeit keinerlei Zusammenarbeit zwischen BND und NSA oder anderen US-Geheimdiensten gegeben hat?

    Ströbele: Natürlich! Das war immer klar. Das haben nicht nur die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewusst, sondern das haben die Spatzen überall von den Dächern gepfiffen. Da haben sie sich ja mit gerühmt, dass der BND über ausgezeichnete enge Kontakte und Zusammenarbeit mit der CIA in den USA, aber auch mit der NSA verfügt hat und dass da wichtige Informationen ausgetauscht worden sind, und das ist dann noch mal gesteigert worden nach dem 11.9, also nach den schlimmen Anschlägen in New York und Washington. Da sind ganze Heerscharen von Agenten nach Deutschland gekommen. Also natürlich war da immer eine ganz, ganz enge Zusammenarbeit.

    Klein: Wie ehrlich ist denn dann die Empörung, die auch aus Ihrer Partei und auch aus der SPD im Augenblick zu hören ist?

    Ströbele: Ja auch da verstehe ich alle, die natürlich jetzt alle mit reinziehen wollen. Aber das …

    Klein: Sie waren an der Regierung, Herr Ströbele!

    Ströbele: Ja, aber das kann ja schon deshalb nicht klappen, weil im Jahre 1998 oder 99 oder auch 2001 einfach die Kapazitäten, diese Möglichkeiten, die jetzt offenbar die NSA hat, möglicherweise auch der BND in Teilen jetzt angeschafft hat, überhaupt nicht existent waren, jedenfalls nach meiner Kenntnis. Damals gab es natürlich auch Datenaustausch, gar keine Frage. Wir haben damals auch das G10-Gesetz noch mal komplettiert, und das ist ein Gesetz, glaube ich, das sich in Europa sehen lassen kann. Das ist sogar schon mal von einem Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments als besonders vorbildlich gelobt worden.

    Klein: Nun gut. Aber es hat ja offenbar nicht verhindert, dass das passiert, was im Augenblick so sehr beklagt wird und auch aus Ihrer Partei sehr scharf attackiert wird. Fragen wir mal allgemein: Wenn zum Beispiel Attentäter für ihre Vernetzung und Verbrechensvorbereitung Wege nutzen wie das Internet, die ihnen vor 15, 20 Jahren – Sie haben es gerade selber angesprochen – nicht zur Verfügung standen, muss man dann auch in Deutschland darüber nachdenken, dass man eben auch die Überwachungswege einfach anpassen muss?

    Ströbele: Das tut man ja auch. Auch der Bundesnachrichtendienst überwacht ja Telekommunikationsverbindungen, gerade den Verkehr aus Deutschland raus, nach Deutschland rein. Nur da gibt es eben Beschränkungen und da gibt es Kontrollen im Interesse des Datenschutzes und der Sicherung der Bürgergrundrechte, und das ist zum Beispiel, dass jede Region, die einbezogen werden soll vom Bundesnachrichtendienst, durch das Parlamentarische Kontrollgremium genehmigt werden muss. Das heißt, es müssen konkrete Gründe vorgetragen werden und auch die Suchbegriffe, die da eingegeben werden, die müssen vom G10-Gremium – und das ist auch ein Parlamentsgremium – jeweils genehmigt werden.

    Klein: Aber das betrifft auch nur die Überwachung von Daten oder von Metadaten, die deutsche Staatsbürger betreffen, und wahrscheinlich wird das Parlamentarische Kontrollgremium nicht angerufen, wenn Amerikaner überwacht werden, oder irre ich mich da?

    Ströbele: Ja Amerikaner, sagen die uns immer – ich sitz ja nicht am Schreibtisch dort und auch nicht am Computer -, dass die Daten von den USA für die deutschen Nachrichtendienste Tabu sind, dass sie Freunde nicht ausspähen. Offenbar halten die US-Amerikaner das andersrum. Für die ist das überhaupt nicht Tabu, die spionieren offenbar auch Deutsche aus, und zwar flächendeckend und bevölkerungsdeckend, also Massendaten von allen.

    Armbrüster: Soweit der grüne Innen- und Rechtspolitiker Hans-Christian Ströbele gestern Abend im Gespräch mit meiner Kollegin Bettina Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.