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Strom aus der Schallschutzwand

Energie.- Bei der sogenannten 'bifazialen Photovoltaik' nutzen die Solarzellen das einfallende Sonnenlicht nicht nur von einer Seite - wie in den meisten Fällen -, sondern von zwei. Forscher hatten nun die Idee, diese Solartechnik in transparente Schallschutzwände einzubauen.

Von Thomas Wagner | 24.04.2012
    Thomas Nordmann ist Photovoltaik-Experte bei der Schweizer TNC-Consulting AG. Seine Vorträge beginnt er stets mit dem Bild des Bahnhofes Münsingen in der Nähe von Bern: Ein durch die Anlage brausender Hochgeschwindigkeits-Zug. Und der macht einen Höllenlärm.

    "Darum werden eben links und rechts der Trasse Lärmschutzwände hochgezogen. Und unsere Idee ist eben: Wenn man schon Lärmschutzwände macht: Wieso benutzt man die nicht zur zusätzlichen Stromproduktion?"

    Warum eigentlich nicht? Im Schweizer Münsingen jedenfalls sind die Lärmschutzwände eine Art 'Mini-Kraftwerk' - im Rahmen eines Modellversuches. Die Lärmschutzwände erscheinen als Plexiglas-Konstruktionen, transparent in beide seitlichen Richtungen. In der Mitte sind die Photovoltaik-Zellen integriert. Sie beziehen aber – und das ist das Besondere – das Sonnenlicht nicht nur von der Vorder-, sondern auch von der Rückseite. Das ist das Konzept der sogenannten bifazialen Photovoltaik: In diesem Fall haben, so Thomas Nordmann, die Solarzellen zwei Gesichter, so ähnlich wie der Januskopf aus der griechischen Mythologie.

    "Sie haben eigentlich zwei Augen, die den Himmel betrachten: Ein Auge schaut nach Osten. Das andere Auge schaut nach Westen. Und die beiden Augen zusammen sammeln mehr Licht ein als ein einziges Auge, das nach Süden schaut."

    Nach Süden sind in der Regel die Solarzellen klassischer Photovoltaik-Anlagen ausgerichtet. Damit erzielen sie den höchsten Wirkungsgrad. Anders dagegen verhält es sich, wenn das Modul sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite mit Solarzellen bestückt ist. In diesem Fall empfehle sich eine Ausrichtung nach Westen und, um 180 Grad gedreht, nach Osten, erklärt Professor Giso Hahn von der Arbeitsgruppe Photovoltaik der Universität Konstanz:

    "Das ist einfach so, weil die Sonne im Osten aufgeht und am Nachmittag im Westen untergeht. Wenn die Solarzelle nach Osten und nach Westen gleichzeitig ausgerichtet ist, hat man in den Morgenstunden, wenn die Sonne aus dem Osten kommt, und in den Nachmittagsstunden, wenn die Sonne aus dem Westen kommt, den höchsten Stromertrag.")

    Kombiniert mit klassischen, 'einäugigen' Solarzellen, die nach Süden weisen und in der Mittagszeit ihr Maximum liefern, ergibt sich ein wesentlicher Vorteil - nämlich....

    ""eine breitere Verteilung, was natürlich auch die Stromnetze entlastet und zu einer besseren Einkoppelung, Einarbeitung des Photovoltaik-Stroms in das Stromnetz führt."

    Auf der Konstanzer Tagung diskutieren die Experten unter anderem darüber, wie groß diese Strommengen durch bifaziale Solarzellen sein können. Der Schweizer Experte Thomas Nordmann sieht hierbei enorme Potenziale - beispielsweise dann, wenn Lärmschutzwände entlang von Verkehrswegen mit bifazialen Solarzellen ausgestattet werden:

    "Wir haben in einer Studie gezeigt, wenn die Möglichkeiten des Lärmschutz genutzt würden, entlang der Straße und der Schiene, dann könnte man in der Größenordnung zu 100 Prozent die Deutsche Bahn mit Solarstrom versorgen." )

    Bei der Frage, wo überall bifaziale Solarzellen integriert werden können, ist allerdings Einfallsreichtum gefragt. Eine Möglichkeit wären ganze Gebäudefassaden, glaubt der Konstanzer Physiker Giso Hahn.

    " "Man kann sich hier diese sogenannte 'Building Integrateted Photovoltaic' vorstellen, wo man eben an Fassadenwände, die eben nach Westen und Osten ausgerichtet sind, Photovoltaik integriert und dadurch die Häuser als zusätzlich produzierende Flächen benutzt, ohne letztlich zusätzlichen Landschaftsverbrauch dadurch zu integrieren."

    In diesem Szenario würde das Gebäude als Ganzes eine gemeinsame bifaziale Zelle bilden - mit voneinander getrennten Solarzellen auf der West- und auf der Ostfassade. Doch die meisten Anwendungen gehen von einem einheitlichen, geschlossenen Zellenmodul aus, das die Sonnenenergie von vorne und von hinten aufnimmt. Dabei müssen bestehende Photovoltaik-Zellen von ihrem Aufbau nur leicht verändert werden - nämlich so, dass sie auch von hinten Licht aufnehmen können, erklärt Kristian Peter, Vorstandsvorsitzender des International Research Centers for Solar Energy in Konstanz:

    "Die einfachste Erklärung ist die, dass der ganzflächige Aluminium-Rückkontakt bei Hocheffizienz-Zellen wegfällt und durch Punkt- oder Linienkontakte, also lokale Kontakte, ersetzt wird. Glücklicherweise werden sie damit automatisch schon bifazial."

    Bislang allerdings werden bifaziale Solarzellen außerhalb von Pilotversuchen selten verwendet. In Zukunft erwartet Physiker Guiso Hahn allerdings einen regelrechten bifazialen Boom. Weil klassische Photovoltaik-Anlagen ihr Strommengen-Maximum zur Mittagsstunde erreichen, wird gerade in dieser Tageszeit der Bedarf nach zusätzlich erzeugten Strommengen sinken, zu den Tagesrandzeiten dagegen wachsen. Und spätestens dann, so Giso Hahn, schlägt die große Stunde der bifazialen Zellen:

    "Und da machen dann diese zusätzlichen Stromgenerationszeiten am Vormittag und am Nachmittag sehr viel Sinn, weil sie die existierenden Systeme sehr gut ergänzen können."