Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Stromaustausch mit Norwegen

Ein Kabel für zwei Milliarden Euro könnte Deutschland und Norwegen in Zukunft miteinander verbinden - zwecks Stromaustausch. Die Idee: Produzieren die erneuerbaren Energiequellen in Deutschland zu viel Strom, fließt der nach Norwegen - und umgekehrt.

Von Jessica Sturmberg | 05.10.2012
    Es ist das Herzstück der norwegischen Energie – eine hochleistungsfähige Turbine in einem der modernsten Wasserkraftwerke des Landes: Jøssang im malerischen Lysefjord, in der Nähe von Stavanger, Südwestküste. 93 Gigawattstunden erzeugt die mittelgroße Anlage pro Jahr, für die Chefingenieur Arve Jakobsen vom Betreiber Lyse zuständig ist:

    "Computer kontrollieren das Kraftwerk. – Wie viele Menschen arbeiten hier, will ich wissen? – Normal niemand. Jedenfalls nicht so, dass täglich jemand da wäre. Wir haben Leute, die zwischen den einzelnen Stationen hin– und herfahren, vielleicht zwei Mal die Woche da sind."

    Zu etwa 95 Prozent bezieht das Land seinen Strom von den vielen Wasserkraftwerken, Stauseen, die sich vom hohen Norden bis Süden überall in der zerklüfteten Fjordlandschaft Norwegens erstrecken. An einen weiteren Kapazitätsausbau ist derzeit nicht zu denken, zumindest nicht in großem Stil. Die Stauseen sind umstritten, schließlich ist mit ihnen auch jedes Mal ein erheblicher Eingriff in die Natur verbunden. Aber einmal gebaut, laufen die Kraftwerke praktisch von allein und liefern Strom nach Bedarf. Innerhalb von Minuten lässt sich eine solche Anlage wie Jøssang ausschalten. Wenn gerade kein Bedarf ist. Diese Flexibilität macht Norwegen zu einem idealen Partner für Deutschland. An Tagen, an denen Deutschland zu viel Sonnen- und Windenergie produziert, wird der überschüssige Strom nach Norwegen geschickt. An windstillen und bewölkten Tagen wiederum umgekehrt, erläutert Stein Vegar Larsen vom staatlichen Netzbetreiber Statnett:
    "Wir können ganz einfach die Produktion von einer Reihe von Wasserkraftwerken stoppen, das Wasser in den Reservoirs sparen und so Energie speichern. Auf diese Weise könnten wir auch unseren eigenen Verbrauch besser regeln. Unterm Strich wäre es eine sinnvolle Nutzung sämtlicher Ressourcen."

    In regenarmen und zugleich sehr kalten Jahren reicht auch in Norwegen die eigene Stromproduktion nicht aus und es muss Energie importiert werden. Stein Vegar Larsen ist bei Statnett Leiter der beiden Projekte Nord.Link und Nor.Ger, zwei geplante Unterwasserkabel, die Norwegen mit Deutschland in Zukunft verbinden sollen.

    Ein Kabel soll nahe Wilhelmshaven anlanden, das andere im schleswig-holsteinischen Büsum. Der Ingenieur hofft, dass eines der beiden Kabel bis 2018 realisiert wird. Die besseren Aussichten hat derzeit Nord.Link. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und Norwegens Energieminister Ola Borten Moe haben dem Projekt bei einem Treffen im Juni von höchster Stelle nochmals neuen Schwung gegeben. Dennoch: der Teufel steckt im Detail. So schnell geht es dann doch nicht, wie er sich das wünschen würde, bedauert Stein Vegar Larsen:

    "Infrastrukturprojekte wie diese brauchen Zeit, weil viele Akteure involviert sind. Grundbesitzer, die betroffenen Gemeinden, Umweltorganisationen. Man muss sehr viele Genehmigungen einholen."

    Die beiden Kabel müssen beispielsweise durch das Wattenmeer, durch Natur- und Vogelschutzgebiete gelegt werden. Um wie geplant 2015 mit dem Bau beginnen zu können, müssten sämtliche Genehmigungen und Lizenzen innerhalb des nächsten Jahres eingeholt werden. Man könnte allerdings schon längst weiter sein: Da sind noch die Erfahrungen von 2002, als ein Kabelprojekt mit deutschen Partnern gescheitert ist: Damals stieg die deutsche Seite nach Jahren der Verhandlungen aus.

    Heute sind die Rahmenbedingungen allerdings ganz andere und Steinar Bysveen, Vorstandsmitglied beim norwegischen Stromkonzern Statkraft wird immer optimistischer, dass es nun bald endlich was wird mit der Standleitung zwischen Deutschland und Norwegen:

    "Ich denke, der Grund optimistisch zu sein, ist, dass die Situation sich mit der europäischen erneuerbaren Energien-Richtlinie stark verändert hat. Von deutscher Seite sind mittlerweile große Investitionen in Wind- und Sonnenenergie getätigt worden. Und das Interesse ist auch insofern sehr viel größer geworden, weil CO2-Emissionen eine Rolle spielen und weil Deutschland dringend eine Lösung in der Back-Up-Frage finden muss. Und wir wiederum eine Lösung finden müssen, was wir mit unseren Überschüssen in guten Jahren machen. Das Kabel kann zwar nicht Europas Energieprobleme lösen, aber es kann dazu beitragen."

    Die Kosten für ein Kabel liegen bei rund zwei Milliarden Euro. Steinar Bysveen geht davon aus, dass sich die Investition in jedem Fall rentieren wird. Die bereits verlegten Kabel nach Dänemark, Niederlande und Schweden hätten sich sogar als profitabler erwiesen als zunächst angenommen.