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Stromkrise
Schwitzen für Gaza

Wegen eines innerpalästinensischen Konfliktes gibt es im Gazastreifen kaum Strom, die humanitäre Lage ist äußerst angespannt. In Israel bekommt man davon trotz unmittelbarer Nachbarschaft aber kaum etwas mit. Eine Gruppe von Israelis will das nun ändern und schaltet aus Solidarität ihre Klimaanlagen aus.

Von Benjamin Hammer | 27.07.2017
    Bild des schwitzenden Israelis Yuval Ben-Ami.
    Der Israeli Yuval Ben-Ami schaltet jeden Tag für eine Stunde seine Klimaanlage aus und möchte an die Situation der Menschen im Gazastreifen erinnern. (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Die Klimaanlage in seiner Wohnung in Tel Aviv hat er vor gerade einmal 30 Minuten ausgeschaltet, aber Yuval Ben-Ami schwitzt bereits heftig. Auf dem Hemd des stämmigen 41-jährigen Israeli haben sich schon zwei große Schweißflecken gebildet. Draußen sind es gerade über 30 Grad. "Das ist unangenehm. Ich leide unter dem Sommer. Ich hasse die Hitze."
    Jeden Tag schaltet Ben Ami seine Klimaanlage aus. Für eine Stunde. Er möchte damit an die Situation der Menschen im Gazastreifen erinnern. Dort gibt es im heißen Sommer aktuell maximal vier Stunden Strom innerhalb von 24 Stunden, in manchen Teilen des Küstenstreifens, so berichten Bewohner, sind es nur 30 Minuten. Yuval Ben-Ami weiß: Im Vergleich zur Lage der Menschen in Gaza ist der Verzicht auf eine Stunde Klimaanlage geradezu lächerlich. Es geht um viel mehr.
    "Hier geht es um Leben und Tod. Die Situation bedroht alte Menschen, sie bedroht die Kranken, frühgeborene Babys. Meine Frau ist gerade schwanger. Ich versuche mir das vorzustellen: Wie ist das, ein Kind zu bekommen in einer Stadt ohne Strom?"
    "Ich trage die Verantwortung als Israeli"
    Die Stromkrise in Gaza geht auf einen innerpalästinensischen Konflikt zurück. Die Fatah-Partei des palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas will ihre Rivalen von der Hamas, die den Gazastreifen kontrollieren, unter Druck setzen. Abbas kürzte kurzerhand die Zahlungen für Strom, den Israel bisher in den Gazastreifen lieferte. Israel drosselte daraufhin die Lieferungen und verweist darauf, man mische sich in diesen internen Konflikt nicht ein.
    "Natürlich ist auch die Hamas verantwortlich für das, was da gerade passiert. Ich kritisiere alle Parteien: Die Hamas, die Fatah und auch Israel. Aber ich zahle nur an eine von ihnen Steuern. Also trage ich Verantwortung als Israeli."
    "Schaa Achad", "eine Stunde" hat Yuval Ben-Ami seine Aktion genannt. Im Netz posten rund 20 Israelis Videos, wie sie ihre Klimaanlage ausschalten. Sie stammen fast alle aus dem eher linken politischen Spektrum. "Ich mache das aus Solidarität mit den Menschen in Gaza", sagt einer von ihnen.
    "Was uns fehlt, ist Empathie"
    Was Ben-Ami besonders umtreibt: In Israel interessiere sich fast niemand für die katastrophale Situation im Gazastreifen. Seine Aktion im Netz wurde bisher kaum geteilt. "Was uns hier fehlt, ist Empathie. Sobald wir mitfühlen, teilen wir die Last der Realität, wir tragen Verantwortung. Die Menschen haben Angst vor dieser Last, also verdrängen sie das Mitgefühl."
    Und noch etwas kommt hinzu, sagt Ben-Ami. Die Menschen in Israel haben so gut wie keinen Kontakt mehr mit den Bewohnern des Gazastreifens. Israelis dürfen den von der islamistischen Hamas kontrollierten Gazastreifen nicht betreten. Viel zu gefährlich wäre das. Umgekehrt lässt die israelische Armee nur die wenigsten Bewohner des Gazastreifens nach Israel, weil sie Terroranschläge befürchtet.
    Wegen der Stromkrise hat sich die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen erheblich verschlechtert. Die Kläranlagen können ohne ausreichend Strom nicht mehr betrieben werden, es besteht Seuchengefahr. Hinter den Kulissen gibt es nun Bemühungen, die Krise zu lösen. So könnte an der Grenze zu Gaza auf ägyptischer Seite ein neues Kraftwerk entstehen.
    "Ich hoffe, dass Gaza in Zukunft ein wundervoller Ort wird. Bis es soweit ist, wird aber viel Zeit vergehen. Und bis dahin müssen wir dranbleiben." Nach dem Interview mit dem Reporter aus Deutschland schaltet Yuval Ben-Ami seine Klimaanlage wieder an. Er ist sich bewusst: Die Menschen im Gazastreifen können das nicht.