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Stromnetz-Ausbau
Zukunft mit Gleichstrom

Solaranlagen müssen eingebunden, Transformationsverluste vermieden und Bremsenergien wieder ins Netz zurückgespeist werden, damit die Energiewende gelingt: Die Lösung sind Gleichstromnetze. Doch die Umstellung von Wechselstrom auf Gleichstrom braucht neue Standards.

Von Peter Welchering | 14.08.2017
    Eine Windkraftanlage in Alsleben in Sachsen-Anhalt
    Auf dem Land könnte es schneller zum direkten Anschluss an Gleichstrom-Netze kommen, weil dort stärkere Versorgung mit alternativen Energiequellen herrscht, sagen Experten. (picture alliance / dpa / Revierfoto)
    Pioniere sind mal wieder die Rechenzentren. Immer mehr der energieintensiven Datenfarmen beziehen ihren Strom aus erneuerbaren Energien und haben deshalb auf Gleichstromnetze umgerüstet. Denn Solaranlagen und Brennstoffzellen liefern Gleichstrom, auch "direct current" und abgekürzt "DC" genannt. Wenn man diesen Gleichstrom direkt nutzen kann, ohne ihn erst in Wechselstrom umwandeln zu müssen, reduziert das den Energieverbrauch um bis zu 25 Prozent, erklärt Professor Holger Borcherding von der Hochschule Ostwestfalen in Lemgo.
    "Also ist es wesentlich schwieriger, zum Beispiel Solarenergie in solche Systeme einzuspeisen, die Wechselspannung haben. Das heißt, man braucht immer Wechselrichter. Der ganze Aufwand ist wesentlich vereinfacht, wenn wir gleich auf Gleichspannung gehen und nur an einer Stelle eine Leistungselektronik, einen Gleichrichter einsetzen."
    "Spannung in der Größenordnung von etwa 600 Volt"
    Weniger Umwandlungsverluste, das klingt attraktiv. Im Forschungskonsortium "DC‐ Industrie" untersuchen Wissenschaftler deshalb seit einem Jahr, wie in Fabrikhallen und Büros vermehrt Gleichstrom genutzt werden kann. Holger Borcherding:
    "Mittlerweile sind die Antriebe, die in Industrie 4.0 eingesetzt werden, alles geregelte Antriebe, und dahinter ist Leistungselektronik. Und die Leistungselektronik hat eine Eigenschaft, die sich in den letzten Jahren ausgeprägt hat, nämlich dass eigentlich immer irgendwo in den Geräten eine Gleichspannung erzeugt wird. Und so ist es auch bei den Antrieben, die zum Beispiel in Robotern oder auch irgendwo in der Produktion in der Automobilproduktion eingesetzt werden. Die haben immer eine Spannung dazwischen. Das heißt, die Wechselspannung wird gleichgerichtet und dann habe ich eine Spannung in der Größenordnung etwa 600 Volt. Und diese Spannung wird dann wieder wechselgerichtet für die Drehstrommotoren. Und damit kann man viele schöne Sachen machen, wie zum Beispiel die Bewegung eines Roboters genau steuern."
    Bessere Übertragung der Energie durch Gleichspannung
    Der Vorteil der Gleichstromversorgung: Erzeugt der Roboter beim Abbremsen einer Bewegung Energie, kann diese ins Fabriknetz zurück gespeist werden.
    "Bisher wurde diese Energie in Bremswiderständen, in Wärme umgesetzt. War dann hinterher nicht mehr nutzbar. Durch die Gleichspannung können wir jetzt aber diese Energie über die gesamte Halle, also sozusagen zu irgendeinem Verbraucher, der Energie benötigt, übertragen. Und dazu kommen noch einige Wandlungsverluste. Wir können die Schaltungstechnik größtenteils vereinfachen, was natürlich im Endeffekt auch wieder Energie einspart."
    Daimler arbeitet mit einer Zelle aus mehreren Robotern
    Innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre soll die Gleichstromversorgung flächendeckend in den Fabriken eingeführt werden. Die Arbeitsgruppe von Holger Borcherding hat auch schon ausprobiert, worauf man dabei achten muss.
    "Wir haben zum Beispiel in Sindelfingen bei der Firma Daimler eine Zelle. Die besteht aus mehreren Robotern, die dort im Rohkarossenbau einen Teil eines Arbeitsprozesses beim Zusammenbauen der Karosserie darstellen. Und in dieser Zelle ist schon alles auf Gleichspannung umgestellt. Das heißt, wir haben dort eine zentrale Versorgung und danach geht es komplett in Gleichspannung zu den Verbrauchern. Das sind vor allem Industrieroboter."
    Empfehlung für Büros: Niedrige Standardspannung
    In den Fabrikhallen wird die Standardspannung für den Gleichstrom bei 600 Volt liegen. Denn das setzen die elektrischen Antriebe voraus. Für Bürogebäude empfehlen die Experten hingegen eine niedrigere Standardspannung.
    "Wir gehen davon aus, dass im Gebäudebereich eher ein Standard um 380 Volt Gleichspannung sich etablieren wird, weil das eher zu den jetzigen einphasigen 230‐Volt‐Gerãten passt. Das sind auch Eigenschaften der Isolation und die Konstruktion der Geräte. Wenn Sie jetzt zum Beispiel an ihren Rechner denken, Ihren PC können Sie prinzipiell jetzt schon an Gleichspannung anschließen."
    Künftig zwei Leitungsnetze in Privathaushalten
    Auch in die Privathaushalte wird nach Meinung von Werner Körner, Entwicklungsleiter bei der Firma Lapp Kabel in Stuttgart, Gleichstrom einziehen, zunächst allerdings ergänzend zum bewährten Wechselstrom.
    "Wir gehen im Moment davon aus: Wir werden tatsächlich zwei unterschiedliche Leitungsnetze haben. Das heißt, es wird ein klassisches Netz geben, was in den Keller und in die Küche geht beispielsweise. Und für die Wohn und Büroräume wird es dann halt ein anderes Netz geben."
    Holger Borcherding sieht hier allerdings noch einige Schwierigkeiten.
    "In einem Privathaushalt also praktisch alles auf Gleichspannung umzustellen, das bedeutet doch einen sehr großen Aufwand. Das muss man sich einmal vorstellen, dass die Leitungen ja in aller Regel unter Putz gelegt sind und das ist ja im Industriebereich deutlich anders. Die legen die Leitungen eigentlich in Kabel Schächten, die zugänglich sind. Das macht man eben so, dass man es erweitern kann."
    "Alternative Energiequellen liefern direkt Gleichstrom"
    Damit sich der Aufwand lohnt, müsste allerdings zunächst eine neue Generation gleichspannungsfähiger Haushaltsgeräte auf den Markt gebracht werden. Zumindest müssten die bisherigen Geräte mit interner Gleichspannung eine neue Steckverbindung erhalten. Weil das alles doch sehr aufwändig ist, rechnen die Experten damit, dass der Siegeszug der Gleichstromtechnik in Privathaushalten noch mindestens 20 Jahre auf sich warten lässt. Allenfalls im ländlichen Bereich könnte es schneller gehen, sagt Werner Körner.
    "Wenn man nach Skandinavien guckt, wo die Menschen sehr viel isolierter wohnen und sehr viel weiträumiger wohnen, ist das elektrische Netz eben nicht überall zur Verfügung. Und dort wird es nach meiner Ansicht sehr viel schneller zu einem direkten Anschluss an DC‐Netze zu kommen, weil dort die Menschen sehr viel mit alternativen Energiequellen dann sich versorgen werden. Und die alternativen Energiequellen liefern direkt DC. Und da liegt es nahe, dass man auch direkt mit DC in das Verbundsystem von kleinen Dörfern oder kleinen Ansiedlungen geht."