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Stromrabatte
Kerber sieht Vorteile für ganz Europa

Im Streit um die umstrittenen Stromrabatte für energieintensive Unternehmen hat sich Markus Kerber dafür ausgesprochen, Unternehmen von der Regelung auszunehmen, die nicht international agieren. Da müsse man "die Spreu vom Weizen trennen". Die europäische Wirtschaft würde insgesamt von den Rabatten profitieren, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Deutschlandfunk.

Markus Kerber im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.02.2014
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Jasper Barenberg: Es ist ein neuer Rekord. Mehr als 2000 Unternehmen bekommen weitgehend erlassen, was alle anderen Stromkunden in Deutschland bezahlen müssen: den Aufschlag auf den Strompreis, die Ökostromumlage nämlich. Das ist nicht nur Umweltschützern ein Dorn im Auge, auch die EU-Kommission attackiert diese umfangreichen Privilegien für die Industrie. Sie glaubt nicht, dass sie sich mit dem Grundsatz des freien Wettbewerbs vertragen. Für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein Riesenproblem, denn im schlimmsten Fall müssten im nächsten Jahr alle Unternehmen die volle Umlage bezahlen, bis zu hundertmal mehr als bisher. Für viele Industriebetriebe wäre das eine Katastrophe. Und so steht Gabriel vor einer großen Herausforderung: Er muss die Privilegien so kappen, dass Brüssel zufrieden ist und die Unternehmen trotzdem noch eine Zukunft in Deutschland sehen. Im Gespräch mit Wettbewerbskommissar Almunia in Berlin hat es gestern offenbar eine erste Annäherung der beiden streitenden Seiten gegeben.
    Am Telefon ist Markus Kerber, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Schönen guten Morgen!
    Markus Kerber: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Herr Kerber, wir haben es gerade gehört: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist zu Kompromissen bereit, will dem Wettbewerbskommissar entgegenkommen. Sehen Sie die Interessen der deutschen Industrie gewahrt?
    Kerber: Ja, ich sehe die Interessen bislang gewahrt. Das liegt auch daran, dass sowohl Kommissar Almunia als auch Wirtschaftsminister Gabriel in den letzten Wochen ganz klar einen Pfad definiert haben, auf dem wir zu einer Lösung kommen, die sachgerecht sein muss und die die technischen und wirtschaftlichen Randbedingungen der deutschen Industrie würdigt.
    "Wenn es der deutschen energieintensiven Industrie gut geht, profitiert der Rest Europas"
    Barenberg: Und da sind die beiden Seiten auf gutem Wege?
    Kerber: Ja, ich denke schon. Auch wenn es vereinzelt noch Kritik am Eckpunktepapier zur Novellierung des EEG-Gesetzes aus dem Hause Gabriel auch von unserer Seite gegeben hat, zeigen die Gespräche, die auch wir mit Almunia geführt haben, dass sich die Kommission in Brüssel sehr bewusst ist, dass sie mit einer Neuregelung die deutsche Industrie nicht schädigen darf, die deutsche energieintensive Industrie.
    Das macht und weiß die Kommission übrigens auch deswegen, weil es ihr klar ist, dass beispielsweise die Summe der Vorleistungen zwischen den deutschen energieintensiven Unternehmen und den Industrieunternehmen in anderen Mitgliedsstaaten der EU bei über 200 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wenn es der deutschen energieintensiven Industrie gut geht, profitiert der Rest Europas und der Euro-Zone ganz genau davon.
    Barenberg: Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat es ja bisher abgelehnt, auch nur einen Teil der Pfründe abzugeben, darauf zu verzichten. Hat sich das jetzt geändert?
    "Einheitliche Wettbewerbsbedingungen sind notwendig"
    Kerber: Nein! Ich würde auch nicht von Pfründen sprechen, sondern von dem, was dieser Mechanismus ist, nämlich ein Nachteilsausgleich. Deutschland hat ja eine ganz eigene nationale Energiepolitik, die sehr geprägt ist, was wir ja auch teilen, von einer Förderung der erneuerbaren Energien. Dafür werden aber die Verbraucher, sowohl die industriellen wie die privaten, in Deutschland mit der EEG-Umlage belastet. Weil aber Industrien international im Wettbewerb sind, müssen wir von dieser nationalen Belastung im internationalen Wettbewerb entlastet werden. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie im Mannschafts-Teamspringen die Goldmedaille gewinnen wollen, wie gestern bei der Schanze, aber auf Ihren Skiern eine nationale Bleizulage haben. Das geht natürlich nicht. Wir brauchen hier einheitliche Wettbewerbsbedingungen und die schafft diese Ausgleichsregelung.
    Barenberg: Es gibt ja inzwischen 2000 Unternehmen. Sagen Sie, dass alle Unternehmen gerechtfertigterweise von dieser Umlage weitestgehend befreit sind, also auch Golfplätze, Nahverkehrsunternehmen, Schlachtbetriebe?
    Kerber: Nein! Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an, den der BDI, mein Verband, schon seit mehreren Jahren auch in der politischen Diskussion bereits gemacht hat. Wir müssen uns genau darauf fokussieren, dass die energieintensiven Industriebranchen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von dieser Ausgleichsregelung profitieren können. Es hat durch die Novellierung des EEG im Jahre 2011 leider Entwicklungen gegeben, dass auch Unternehmen hier mit reingekommen sind, die nicht einer engeren Untersuchung standhalten, und genau diese Abgrenzung vorzunehmen, ist für uns wichtig.
    "Engere Definition der energieintensiven Industrieunternehmen anwenden"
    Barenberg: Das heißt, Firmen tricksen auch? Das würden Sie schon einräumen?
    Kerber: Nein! Ich würde nicht sagen, dass sie tricksen, sondern sie nehmen von einer Vorteilsgewährung Gebrauch oder machen Gebrauch davon, kommen aber nicht in die engere Definition der energieintensiven Industrieunternehmen mit internationalem Bezug. Beispielsweise Schienenverkehrsunternehmen: Wenn Sie in Wuppertal in die befreite Schwebebahn einsteigen, dann steigen Sie ja nicht in die Dienstleistung eines Betriebes ein, der mit der Straßenbahn in Thessaloniki oder San Remo konkurriert. Hier, glaube ich, müssen wir schon ganz genau hinschauen.
    Barenberg: Sie haben das Eckpunktepapier, die Vorschläge von Sigmar Gabriel angesprochen zur Novellierung des Energiegesetzes. Da steht ja auch der Satz drin, dass die jetzt im Moment noch privilegierten Unternehmen einen angemessenen Kostenbeitrag übernehmen sollen. Im Moment beläuft sich das ganze ja auf etwa fünf Milliarden Euro. Auf wie viel können Sie denn verzichten, wollen Sie verzichten?
    Kerber: Das zu quantifizieren, wird im Moment schwer sein. Wichtiger ist mir, dass wir mit dem Kommissar in Brüssel und aber auch mit dem deutschen Wirtschaftsminister die Abgrenzung so hinbekommen, dass die energieintensiven Betriebe, die Entlastung brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, um Millionen von Jobs in Deutschland halten zu können, dass die weiterhin in den Genuss kommen und dass wir die aus dieser Regelung ausscheiden lassen, die eben genau diese Bedürfnisse nicht haben.
    Barenberg: Wie ist das zu bewerkstelligen?
    Kerber: Indem wir beispielsweise schauen, dass es Branchen gibt – der Kommissar hat gestern schon mal drei genannt -, die aufgrund ihrer technischen Voraussetzungen gezwungen sind, mit einem hohen Maß an Strom beispielsweise in der Aluminium-Elektrolyse, beispielsweise in der chemischen Industrie, beispielsweise in der Papierindustrie ihre Produkte nur herstellen zu können, und dass wir dann die davon ausnehmen, die zwar viel Strom brauchen, aber nicht im internationalen Wettbewerb stehen.
    Ich hatte eine Branche gerade genannt, aber ich würde mich freuen, wenn Kommissar und Wirtschaftsministerium noch erkennen können, dass es Branchen wie Kunststoff gibt, Zement, Glas und Textil, die ebenfalls in einzelnen Bereichen darauf angewiesen sind, Produkte herzustellen unter Verwendung von sehr viel Strom.
    Barenberg: Die Bereiche Aluminium und Papierindustrie, die Sie genannt haben, die sind ja unstrittig. Jetzt wollen Sie aber, dass weitere Bereiche noch mit aufgenommen werden, generell sozusagen?
    Kerber: Nein! Wir haben ja die Befreiung heute schon für diese Industrien. Das soll nur aufrecht erhalten werden. Ich glaube, es geht in der Diskussion, die vor uns liegt, darum, dass wir von denjenigen, die heute per 2014 befreit sind, diejenigen bitten auszuscheiden, die nicht den harten Kriterien, die die Politik uns auferlegt und die wir dann zum Teil auch teilen werden, entsprechen. Da muss man die Spreu vom Weizen trennen.
    Barenberg: Sigmar Gabriel hat ja eine Größenordnung von etwa einer Milliarde in den Raum gestellt von insgesamt fünf Milliarden. Die habe ich ja schon erwähnt. Ist das für Sie eine Schmerzgrenze, mit der Sie leben können?
    Klarheit über den Trend der Strompreise notwendig
    Markus Kerber
    geboren 1963 in Ulm. Studierte Wirtschaftswissenschaften an der Uni Hohenheim, im Anschluss promovierte er im Fach Sozialwissenschaften. Mehr als zehn Jahre arbeitete er für international tätige Unternehmen.
    Nach seinem Wechsel in die Politik leitete er im Bundesministerium des Innern von 2006 bis 2009 die Abteilung Grundsatzfragen und internationale Analysen. In diesem Zusammenhang organisierte er auch die ersten Islamkonferenzen. 2009 wurde er Abteilungsleiter für finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen im Bundesministerium der Finanzen in Berlin. Seit Juli 2011 ist Kerber BDI-Hauptgeschäftsführer.
    Kerber: Wissen Sie, die heutigen Probleme in der Industrie kommen daher, dass viele nicht wissen, wo die Strompreise hingehen. Wir haben eine deutliche Investitionszurückhaltung und im Bereich der energieintensiven Branchen leider sogar eine fallende Nettoinvestition. Das heißt, diese so wichtigen zentralen Industriebereiche schrumpfen. Mir wäre es wichtig, dass Kommissar und Wirtschaftsminister erkennen, dass wir eine Klarheit brauchen über den Trend der Strompreise in den nächsten zehn Jahren. Wenn wir die haben, wenn wir wissen, wo die Strompreise hingehen, wenn wir das kalkulieren können, dann, glaube ich, werden wir wieder verstärkt in Deutschland investieren und dann wird sich dieses Problem auch auflösen.
    Barenberg: Markus Kerber, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, heute Morgen live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Kerber: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag noch.
    Barenberg: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.