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Stromtrasse SuedLink
Protest auch gegen unterirdischen Leitungsbau

Entlang des geplanten Trassenverlaufs der Stromautobahn SuedLink gibt es in Niedersachsen etliche Verbände und Bürgerinitiativen, die das geplante Vorhaben verhindern wollen. Wegen des Widerstandes gegen die Freileitungen hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel der Verlegung von Erdkabeln zugestimmt. Doch der Protest bricht nicht ab. Für viele Gegner ist das ein fauler Kompromiss.

Von Alexander Budde | 03.08.2016
    Starkstrommasten in Bayern
    Massiv wurde in Niedersachsen gegen den Ausbau von Leitungen über der Erde protestiert. (Karl-Josef Hildenbrand, dpa picture-alliance)
    "Zwischen unserem Haus und Schulenburg sollte die Stromtrasse nach den Vorstellungen von der Firma TenneT entlang ziehen - als Freileitungstrasse. Der Gesichtspunkt ist ja der: Wenn ich weiß, es gibt zwei verschiedene Techniken für eine Maßnahme und die andere ist nicht sichtbar, dann bin ich dafür, dass diese Maßnahme auch ergriffen wird - und nicht diejenige, die den Blick stark beeinträchtigt!"
    In Jeinsen bei Hannover führt Gert Bindernagel erst einmal in den Garten. Der Blick schweift über weites Land - und bleibt an einer Reihe von Stahlmasten hängen. Der pensionierte Lehrer, Jahrgang 1949, lebt in Sichtweite einer 380-KV-Leitung, die sich über Äcker, Wiesen und Hügel spannt. Auch die Stromautobahn SuedLink hatte der zuständige Netzbetreiber TenneT ursprünglich als Freileitung mit hohen Masten geplant – jedenfalls bis zum Frühsommer letzten Jahres.
    "Ich war wo das Erdkabel vorgestellt wurde von der Firma ABB. Wir sind schon viel rumgekommen."
    Kein Zweifel am Netzausbau, aber an den hohen Masten
    Bindernagel und die allermeisten seiner Mitstreiter vom Netzwerk "Erdkabel Offensive SuedLink" outen sich als überzeugte Gegner der Kernkraft. Auch am Sinn des Netzausbaus zweifeln sie nicht. Sie stören sich nur an hohen Masten. Die "Pulsader der Energiewende" soll möglichst tief unter der Erde verlaufen, um die Belastung für die Anwohner möglichst gering zu halten:
    "Wir haben die Position dazu, dass wir die Energiewende in der Form unterstützen, dass wir sagen: Wenn so eine Leitung benötigt wird, damit weiterhin im Süden die Menschen mit Strom versorgt werden, dann wird das nötig sein."
    Tatsächlich entschied die Bundesregierung Ende Juni 2015: Der Vorrang für die Erdkabel soll in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden. Der Bundestag beschloss die Gesetzesänderung im Dezember vorigen Jahres – daraufhin hieß es für alle Beteiligten: "Die Planungen beginnen von vorn!"
    Gert Bindernagel spricht von einem Zeitgewinn, der auf allen Seiten das Nachdenken ermöglicht – darüber, was die beste aller Lösungen ist.
    "Wir haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass ein Umdenken hier stattgefunden hat im Wirtschaftsministerium, weil sie gesehen haben, was für ein Protestpotenzial auf der anderen Seite steht."
    Alles auf Anfang, alle im Gespräch. Droht dem bürgerlichen Protest gegen die Stromautobahn jetzt der Absturz in die Bedeutungslosigkeit?
    Mitnichten, hält Mechthild Teuber-Hilbert dagegen. Die Psychologin spricht für die SuedLink-Gegner in Garbsen. Das Plakat am Ortseingang weist auch diese Stadt bei Hannover als Hochburg des Widerstands aus: ein schwarzer Strommast – mit roten Balken durchgestrichen.
    Erdverkabelung - ein fauler Kompromiss?
    Teuber-Hilbert nennt die Erdverkabelung einen faulen Kompromiss, eine Kehrtwende, die mehr Fragen aufwerfe als sie Antworten gibt. Aktive wie Teuber-Hilbert bezweifeln nämlich grundsätzlich, dass die teuren Leitungen überhaupt gebraucht werden. Aus ihrer Sicht dreht sich die aktuelle Stromnetzplanung in erster Linie um den Stromhandel: Energieunternehmen und Übertragungsnetzbetreiber brauchen Projekte wie SuedLink, um ihre Energie durch deutsche Netze in ganz Europa zu verteilen:
    "Es geht nicht um die Energiewende in Deutschland, sondern es geht um europäischen Stromhandel. Und es geht darum, das Geld verdient wird, es geht nicht um die Verbraucher!"
    Auch Guntram Ziepel, der Sprecher des Bundesverbandes der SuedLink-Initiativen, ruft die Politik zum Umdenken auf. Ähnlich wie die Umweltorganisation BUND plädiert der Elektroingenieur für eine konsequente dezentrale Energieerzeugung, etwa durch kluge regionale Vernetzung verschiedener regenerativer Stromquellen wie Windräder, Fotovoltaik oder Wasserkraft.
    "Es ist toll, ein Kernkraftwerk abzuschalten. Wir alle stehen da voll dahinter, weil wir sagen, das ist eine Technik, die hat über Jahrmillionen Jahre hinweg einen Problemfall für all unsere Nachkommen darstellen wird. Aber es ist falsch zu glauben, man könne mit einer langen Verlängerungsstrippe den Windstrom von oben genau an die Stelle transportieren, wo früher mal die Kernkraftwerke waren. Das macht überhaupt keinen Sinn!"
    Der Protest gegen die Kabelleitungen wird weitergehen, prophezeit Ziepel – auch wenn man sie unter die Erde bringt. Die allermeisten SuedLink-Gegner verstehen sich nicht als Verhinderer eines Vorhabens, sondern als Gestalter der Energiewende.