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Stromversorgung
Ein Netz aus Zellen

Im Supermarkt sind regionale Produkte ein Verkaufsschlager - warum nicht auch in der Stromversorgung? Damit kleinere Anlagen nah am Verbraucher auch wirtschaftlich sind, müssen die Stromverteilnetze mitspielen. Was dafür nötig ist, haben VDE-Ingenieure untersucht.

Von Sönke Gäthke | 16.06.2015
    Eine Solarzelle in Form eines Puzzleteils
    Viele kleine Stromerzeuger führen zu dezentralen Netzen (imago/Science Photo Library)
    Die meisten Windräder und Photovoltaikanlagen speisen ihren Strom in die sogenannten Verteilnetze. Das sind die Teile des Stromnetzes, die gebaut wurden, um Strom von den Höchstspannungsleitungen zu den Kunden zu verteilen. Für die Aufnahme des erneuerbaren Stroms sind sie eigentlich nicht ausgelegt: Das Verteilnetz funktionierte bisher vereinfacht gesagt wie eine Einbahnstraße: Der Strom floss immer nur zu den Kunden hin. Wenn die jetzt selbst Strom erzeugen, steigt die Belastung im Verteilnetz. Das bedeutet: Sie müssten massiv ausgebaut werden, sagt zum Beispiel Torsten Hammerschmidt, beim Verteilnetzbetreiber Westnetz zuständig für die strategische Netzplanung: "Wir müssen das Netz ja immer für die maximale Belastung auslegen."
    Sonst könnten Kabel zum Beispiel zu heiß werden. Doch Netzausbau ist teuer und unbeliebt. Da liegt die Idee nahe, die Belastung der Netze zu reduzieren - zum Beispiel, in dem möglichst viel des regenerativ erzeugten Stroms gleich vor Ort verbraucht wird.
    Doch das ist leichter gesagt als getan: Strom wählt im Netz den Weg des geringsten Widerstandes. Der lässt sich nicht immer vorausberechnen und beeinflussen. Die Techniker um Torsten Hammerschmidt testen daher in der Eifel verschiedene Wege, die Belastung der Verteilnetze zu senken:
    "Das ist einmal Informations- und Kommunikationstechnik, haben wir dort eingebaut, das sind Speicher, das sind Spannungsregler, das ist so ein bisschen was wie ein Bügeleisen für die Spannung, und das sind auch innovative Netzstrukturen, also Kabellegung gehört für uns zu einem intelligenten Netz auch immer mit dazu."
    Der Weg des geringsten Widerstandes
    Um die Belastung zu reduzieren, wollen die Techniker zunächst die Leistung beeinflussen, die auf dem alten Weg aus dem übrigen Stromnetz in diesen Teil hineindrängt. Dafür installierten sie sieben Spannungsmesser, nach deren Messdaten der Leistungszufluss aus dem Netz automatisch beeinflusst wird. Hammerschmidt:
    "Das führt dazu, dass man auch da mehr dezentrale Erzeugung anschließen kann, an das bestehende Netz, wenn das diese Kommunikation hat. Da haben unsere Untersuchungen ergeben, das sind rund 30 Prozent, die man mehr regenerative Erzeugung anschließen könnte."
    Dann fanden sie noch einen Weg, um eine Biomasseanlage nur dann Strom erzeugen zu lassen, wenn Windräder und Photovoltaikanlagen wenig oder gar keinen erzeugen. Auch das senkt die Belastung. Und erst danach berechneten sie, wo wirklich neue Kabel verlegt werden müssen.
    Strom für die Nachbarn
    Dank dieser Technik kann ein kleiner Netzteil in der Eifel heute deutlich mehr Wind- und Solarstromeinspeisung verkraften, als noch vor wenigen Jahren. Er ist damit auf dem Weg zu dem, was der Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE) in seiner heute vorgestellten Studie eine "Energiezelle" nennt. Wobei der VDE darunter noch deutlich kleinere Netzteile verstehen - eventuell sogar autonome Einfamilienhäuser. Die würden ihren Strom in Zukunft selbst erzeugen, speichern oder ihn an ihre Nachbarn weiterreichen. Strom aus dem Netz würden sie nur dann ziehen, wenn es nicht anders geht.
    Allerdings zeigt dieses Konzept auch: Städte, Industrie- und Gewerbegebiete werden es nicht schaffen, sich allein zu versorgen. Sie bleiben auf erneuerbaren Strom aus Überschussregionen angewiesen - der im Höchstspannungsnetz zu ihnen geleitet werden muss.