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"Strukturaufbau für die Menschen in dieser Region"

Jürgen Klimke schlägt eine geregelte Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Maghreb vor. Gleichzeitig sollte die EU jedoch eine wirtschaftliche Perspektive für die Menschen in ihren Heimatländern schaffen helfen und die Grenzpolizei Frontex mit mehr Personal ausstatten.

Jürgen Klimke im Gespräch mit Christian Bremkamp | 15.02.2011
    Christian Bremkamp: Erst kam die Revolution, jetzt kommen die Flüchtlinge. Tausende Tunesier sind in den vergangenen Tagen auf die kleine italienische Insel Lampedusa geflüchtet. Die dortigen Lager sind so überfüllt, dass der humanitäre Notstand ausgerufen werden musste. Das Flüchtlingsdrama auf Lampedusa ist heute auch Thema in Berlin, auf dem 14. Europäischen Polizeikongress, der dort am Morgen begonnen hat. Insgesamt wurden rund 1400 Teilnehmer aus 60 Ländern erwartet, mit dabei der Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Am Telefon begrüße ich jetzt Jürgen Klimke, Obmann der Union im Entwicklungsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Klimke.

    Jürgen Klimke: Guten Tag, Herr Bremkamp.

    Bremkamp: Erst die Revolution, jetzt die Flucht. Wir haben gerade verschiedene Stimmen gehört. Stünde es Deutschland nicht gut zu Gesicht, einige der Flüchtlinge aufzunehmen?

    Klimke: Ich glaube, wir müssen eine ganze Reihe von Maßnahmen unternehmen. Dazu gehört möglicherweise auch eine Aufnahme von Flüchtlingen unter dem Gesichtspunkt einer europäischen Quotenregelung. Aber das kann nicht die einzige Maßnahme sein. Ich glaube, es ist zunächst notwendig, dass wir die Grenzpolizei Frontex mit einer größeren Zuständigkeit und mit mehr Personal ausstatten. Darüber hinaus, glaube ich, ist es notwendig, dass wir auch mit den EU-Staaten ganz dringend sprechen, die Flüchtlinge unkontrolliert weiter lassen, und auch über Sanktionen sprechen müssen, die bis hin zu einem Ausschluss aus dem Schengenverbund reichen könnten, wenn dann nicht in diesen Ländern gehandelt wird. Und ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir vor allen Dingen mit den arabischen Staaten darüber sprechen müssen, wie wir in den Ländern investieren können, um die Menschen dort zu einer vernünftigen Zukunft zu bringen und nicht über Flüchtlingssituationen bei uns die Chance zu suchen. Dazu gehört zum Beispiel die EU-Mittelmeerunion, die ausgebaut werden muss und wo auch der Bereich der Sicherheit und der Demokratie eine Rolle spielt. Und ich glaube auch, ein ganz anderer Punkt, aber der wichtig ist im Rahmen der verschiedenen Maßnahmen: Wir müssen den Ländern, die bisher ruhig sind, in denen bisher nichts Entsprechendes läuft – ich denke zum Beispiel an Marokko -, auch Signale geben, dass wir an ihrer Seite sind, dass wir uns jetzt nicht einseitig in Tunesien, in Ägypten engagieren und diese Länder, die eine vergleichbare Situation haben, vergessen. Auch hier müssen wir uns deutlich engagieren.

    Bremkamp: Sie sagen, an der Seite sein. Aber, Herr Klimke, wie glaubwürdig ist denn Deutschland? Einerseits Freude über den Wechsel in Tunesien, andererseits möchte man mit den Konsequenzen nichts zu tun haben. Das geht doch nicht miteinander.

    Klimke: Nein. Wir sind ganz eindeutig dabei, durch eine Maßnahmenkohärenz sicherzustellen, dass wir in den Ländern versuchen, die Zukunft der Menschen zu erreichen. Wir haben zum Beispiel 540 Millionen für Tunesien aus dem EU-Topf zur Verfügung gestellt, der sogenannten EU-Nachbarschaftspolitik – 14 Milliarden sind in diesem Topf insgesamt drin -, und dieses Geld muss abgestimmt mit den EU-Nationalstaaten im Rahmen einer arabischen Strategie dort eingesetzt werden.

    Bremkamp: Aber trotzdem höre ich bei Ihnen heraus, lieber sollen die Menschen da bleiben wo sie wohnen?

    Klimke: Ja. In erster Linie müssen wir das erreichen, was wir auch in der Vergangenheit nicht richtig angegangen sind. Wir haben mit den arabischen Staaten eine Politik betrieben, die die Abwehr der Flüchtlingsproblematik zum Ziel hat, aber nicht eine Politik, die eine wirtschaftliche und eine demokratische Perspektive dieser Menschen in den Heimatländern hat.

    Bremkamp: Und warum hat man das nicht gemacht? Das hätte man doch schon früher beginnen können.

    Klimke: Ja! Das ist eindeutig ein Defizit und da müssen wir auch wirklich sagen, dass wir eher eben diese Frage der Flüchtlingsabwehr zum Ziel hatten als dem konkreten Strukturaufbau für die Menschen in dieser Region. – Noch mal zu der Frage Aufnahme von Flüchtlingen. Ich glaube, es kann und muss auch eine Maßnahme sein. Es kann nicht sein, dass Lampedusa oder auch, wenn wir jetzt nach Sizilien gucken oder in andere Bereiche Italiens gucken, dies die Orte sind, die nur die Flüchtlinge aufnehmen. Da muss es zu Quotenregelungen kommen. Aber das kann nicht die einzige Möglichkeit sein und das kann auch nicht eine Möglichkeit sein, die auf Dauer die Lösung ist. Hier müssen wir im Übrigen auch gucken, wer hat bisher aufgenommen, und die südeuropäischen Staaten sind nicht gerade diejenigen, die in erster Reihe stehen in diesem Zusammenhang, und an welche Länder können wir noch weiter verteilen im Rahmen einer von mir angesprochenen Quotenregelung.

    Bremkamp: Eine Lösung auf Dauer haben Sie gerade gesagt. Kann die denn darin bestehen, dass Europa sich immer mehr einmauert, also immer mehr auf Abwehr der Menschen setzt?

    Klimke: Nein. Die Mittelmeerunion ist ja genau das Gegenteil. Die EU-Mittelmeerunion versucht, den Norden Afrikas stärker auch einzubeziehen in die Entwicklung Europas, um auch zu signalisieren, dass in einer Kooperation mit Europa eine wirtschaftliche, eine finanzielle und eine strukturelle, eine gesellschaftspolitische, eine demokratische Zukunft möglich ist, und das machen wir deutlich, das wollen wir deutlich machen, sodass sich dann auch Flüchtlingswellen aus den nordafrikanischen Staaten nach Europa erübrigen. Dass es möglicherweise aus anderen afrikanischen Regionen über Nordafrika irgendwann wieder Ströme geben kann, aus der Subsahara, ist eine andere Frage, aber hier geht es zunächst einmal um einen strukturellen Aufbau der Anrainerstaaten des Mittelmeers.

    Bremkamp: Ich nenne mal zwei Stichworte: demografischer Wandel, Fachkräftemangel. Könnte Europa nicht eigentlich auch davon profitieren, dass es Menschen ins Land lässt aus anderen Ländern, eben auch aus Afrika?

    Klimke: Ja, aber dann sozusagen gezielt und auch nicht in Form einer Flüchtlingsinvasion, sondern indem wir zum Beispiel die Defizite, die wir haben, aufarbeiten und mit den Menschen, auch mit den betroffenen Ländern sprechen und fragen, inwieweit wir aus ihrem Bereich Menschen ausbilden können und dann ihnen auch hier bei uns eine Zukunft geben, die nicht zunächst einmal aus der Flüchtlingssituation heraus beginnt.

    Bremkamp: Herr Klimke, kurz zum Schluss. Die Menschen, die jungen Menschen auf Lampedusa werden uns wahrscheinlich nicht hören können. Trotzdem: Wenn einer von denen Sie jetzt fragen würde, was soll mit mir passieren, was würden Sie ihm antworten?

    Klimke: Dass er bei uns in Europa eine Zukunft haben kann und wir alles tun werden, um dieses auch sicherzustellen. Wir werden nicht einfach eine Rote Karte verteilen und den Finger sozusagen auf den Rückweg zeigen, sondern wir werden konstruktiv mit den Menschen hier umgehen.

    Bremkamp: Jürgen Klimke war das, Obmann der Union im Entwicklungsausschuss des Deutschen Bundestages. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Klimke.

    Klimke: Danke auch. Auf Wiederhören.