Frauenbewegung in der Türkei

Letzte Bastion der Hoffnung für Opposition

Protest am Weltfrauentag in Istanbul.
Protest am Weltfrauentag in Istanbul. © dpa / AP / Emrah Gurel
Von Seyran Ates · 13.04.2017
Erdogan geht brutal gegen Andersdenkende vor. Unzählige Journalisten, Oppositionspolitiker und Aktivisten sitzen hinter Gittern. Es stellt sich die Frage: Wer kann Erdogan noch etwas entgegensetzen? Seyran Ates setzt ihre Hoffnung in die Frauen.
Die Türkei war, nach europäischen Standards und gemessen an der Menschrechtserklärung von 1948, noch nie ein demokratischer Rechtsstaat.
Atatürk hat zwar die Frauen vom Schleier befreit und Wert auf Bildung, auch für Mädchen, gelegt, aber die Türkei war dennoch nie ein Paradies für Frauen. Warum? Weil das Volk noch nicht soweit war und nicht mitgenommen wurde in die Moderne, in die offene, demokratische Zivilgesellschaft. Weil nicht wirklich an den Traditionen der Frauenunterdrückung und Diskriminierung von Frauen gearbeitet wurde.
Die Mehrheit der Menschen in der Türkei halten an konservativen und traditionellen Rollenbildern fest, egal wie hoch der Bildungsgrad ist.

Herrschaft durch Spaltung

Nur eine privilegierte Elite kam in den Genuss frei, modern und selbstbestimmt zu leben. So auch nur ein kleiner Teil der Frauen. Und das ist heute noch so.
Die Republik Türkei ist seit ihrer Gründung eine gespaltene Gesellschaft, es existiert eine Art Kastensystem, in dem kaum Emphatie füreinander herrscht; untergliedert in die intellektuelle Elite, den Geldadel, die Religiösen, die Kemalisten, das Militär, die Armen, zusätzlich aufgeteilt in Provinzen und nach Volkszugehörigkeiten: Türken, Kurden, aber auch Griechen, Bulgaren, Roma, um nur die wichtigsten Schubladen aufzuzählen.
Diese Spaltung optimiert Erdoğan durch seine Politik. Nach dem Motto: Teile und herrsche!

Emanzipation war gestern

Die Politik der AKP teilt und spaltet auch Männer und Frauen voneinander. Je nachdem in welche Kaste eine Frau hineingeboren wurde, bestimmt das ihr Schicksal, mehr denn je.
Seit Erdoğan mit seiner AKP 2003 an die Macht gelangte, muss man leider sagen: Nicht nur beendet er den beschrittenen Weg der Demokratisierung, er bremst auch die Emanzipation der Frauen aus. Die alltägliche Gewalt und Aggressionen gegen Frauen wachsen täglich.
Den Frauen wird zum Bespiel seit 2003 gesagt, wie sie sich besser, züchtiger, am besten mit Kopftuch zu kleiden und in der Öffentlichkeit zu verhalten haben. Nicht auffallen, nicht lachen, keinen schwangeren Bauch durch die Gegend tragen. Der beste Ort für die Frauen sei das Haus bei den Kindern.

Emine Erdogan preist Harem

Die Karriere als Mutter sei besser als die berufliche Karriere. Sie sollen nicht mit Männern um einen Arbeitsplatz konkurrieren. Jede Frau sollte für das Land mindesten drei Kinder bekommen.
Frauen mit Kopftuch halten im Staatsfernsehen flammende Reden für die Polygamie. Emine Erdoğan erklärt in dem Zusammenhang, der Harem wäre nicht schlecht gewesen, er sei eine Art Bildungsstätte für die Frauen gewesen.

Frauen dürfen (noch) demonstrieren

Am 08. März 2017 sind zehntausende Frauen in der Türkei auf die Straßen gegangen. Sie sagten, dass sie mit ihren Themen nicht zu Terroristen erklärt werden konnten, deshalb habe man sie laufen und demonstrieren lassen.
Das stimmt und darin liegt eine Hoffnung. Die Frauen könnten als letzte Bastion der Opposition und Freiheitsbewegung einen Druck gegen den Staat aufbauen.
Dazu gehört aber großer Mut, denn leider kann man sicher sein, dass die AKP-Regierung nicht davor zurückschrecken würde, Wasserwerfer und Tränengas auch gegen Frauen einzusetzen, wenn sie sie als ernsthafte Gefahr betrachten würden.
Die Frauenrechtlerinnen, Feministinnen in der Türkei waren aber immer mutig genug, um nicht aufzugeben.

Seyran Ates, geboren am 1963 in Istanbul, lebt seit 1969 in Berlin. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin und arbeitet seit 1997 als selbständige Rechtsanwältin. Als Buch-Autorin erschienen zuletzt von ihr: "Verfassung, Patriotismus, Leitkultur, Was unsere Gesellschaft zusammenhält", und "Zwangsverheiratung in Deutschland". 2014 wurde sie mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.

© picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Mehr zum Thema