Dienstag, 16. April 2024

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Studie des DGB
"Mittlere Reife und Abitur sind die Leitwährung auf dem Ausbildungsmarkt"

Fast zwei von drei Ausbildungsplätzen sind Jugendlichen mit Hauptschulabschluss von vornherein verschlossen. Das belegt eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ausbildungsbetriebe müssten sich diesen Jugendlichen wieder mehr öffnen, appellierte Studien-Autor Matthias Anbuhl im DLF an die Arbeitgeber.

Matthias Anbuhl im Gespräch mit Jennifer Rieger | 13.04.2015
    Mehrere Kochlehrlinge mit hohen weißen Kochmützen stehen bei einem Wettbewerb in einer Großküche.
    Gerade im Gastronomie-Bereich blieben Hauptschülern von vorneherein Ausbildungsplätze verschlossen, kritisiert Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter für Bildungspolitik beim DGB. (Jens Büttner / dpa)
    Jennifer Rieger: Hier findest du deinen Ausbildungsplatz. So heißt es vielversprechend auf der Webseite der Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammer. Aber viele Jugendliche finden hier nicht so ohne Weiteres den Einstieg in ihren Traumberuf, vor allem dann, wenn sie nicht den richtigen Schulabschluss haben.
    Viele Betriebe verlangen die Mittlere Reife als Mindestvoraussetzung für eine Ausbildung. Jugendliche mit Hauptschulabschluss haben da schlechte Karten. Zu diesem Schluss kommt der Deutsche Gewerkschaftsbund in einer neuen Studie. Matthias Anbuhl ist Abteilungsleiter für Bildungspolitik beim DGB und Autor der Studie, und ich habe vor der Sendung mit ihm telefoniert und ihn nach den Ergebnissen der Studie gefragt.
    Matthias Anbuhl: Wir haben uns insgesamt die bundesweite Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammern angeschaut und dabei 44.000 Ausbildungsplatzangebote gesichtet. Und das Ergebnis ist aus unserer Sicht sehr frappierend: Fast zwei von drei Ausbildungsplätzen sind Jugendlichen mit Hauptschulabschluss von vornherein verschlossen.
    Das heißt, sie brauchen dort nicht einmal ihre Bewerbungsunterlagen hinzuschicken. Und das ist für uns in der Tat ein sehr eklatantes Ergebnis, weil die Unternehmen doch vielfach über unbesetzte Ausbildungsplätze, über den Fachkräftemangel klagen und andererseits Jugendlichen mit Hauptschulabschluss nicht einmal die Chance zu einem Bewerbungsgespräch geben. Und das passt für uns nicht zusammen in diesem Bereich.
    Besonders auffällig für uns ist, dass insbesondere die Hotel- und Gastronomiebranche, die seit Jahren über unbesetzte Ausbildungsplätze klagt, noch immer vielfach Jugendliche mit Hauptschulabschluss bei der Auswahl ihrer Azubis außen vor lässt. Das heißt, wenn man sich einmal die Hotelfachkräfte zum Beispiel anguckt, das sind junge Menschen, die machen die Zimmer, schenken Getränke aus und Ähnliches, dort sind auch 60 Prozent der Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Hauptschulabschluss von vornherein verschlossen, obwohl dies Tätigkeiten sind, die Hauptschüler sehr, sehr gut machen können.
    Insofern hat uns das überrascht. Auch bei den Kellnern sind immer noch 40 Prozent der Ausbildungsplätze – stehen für Jugendliche mit Hauptschulabschluss nicht offen. Das passt auch nicht zu einer Branche, die eigentlich auch einfache Tätigkeiten hat, und die über den Mangel an Auszubildenden klagt. Und wir denken, dass hier sich die Betriebe in den letzten Jahren doch sehr stark an eine Art Bestenauslese gewöhnt haben. Das heißt, die Mittlere Reife und das Abitur sind die Leitwährung auf dem Ausbildungsmarkt, und die Betriebe nehmen zu wenig junge Menschen mit Hauptschulabschluss in den Blick.
    "Vielfach fehlt das Bewusstsein für Ausbildung bei den Betrieben"
    Rieger: Warum ist das denn so? Warum wollen die Betriebe keine Jugendlichen mit Hauptschulabschluss?
    Anbuhl: Ich denke, dass sich die Betriebe schon dran gewöhnt haben, die besten Jugendlichen zu nehmen, eben mit Studienberechtigung und mit Mittlerer Reife. Es gab mal eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung, die die Betriebe befragt hat nach ihren Anforderungen an den Jugendlichen, und diese Studie kam zum Schluss, dass viele Betriebe eher einen Mitarbeiter des Monats als einen Auszubildenden suchen.
    Das heißt, ich glaube, vielfach fehlt auch das Bewusstsein für Ausbildung bei den Betrieben, und hier muss man sich wieder stärker dieser Zielgruppe öffnen, weil nur mit Abiturienten und Jugendlichen mit Mittlerer Reife wird man auch aufgrund der sinkenden Bewerberzahlen die Ausbildungsplätze in Zukunft nicht mehr besetzen können. Natürlich ist die Zahl auch der Hauptschulabsolventen in den vergangenen Jahren gesunken. Doch ich denke, das kann jetzt nicht als Begründung des Auswahlverfahrens der Betriebe jetzt herhalten.
    Und zwar muss man schon sagen, dass wir 2014 insgesamt 37.000 unbesetzte Ausbildungsplätze hatten, auf der anderen Seite aber auch 260.000 junge Menschen, die im Übergang von der Schule in die Ausbildung in Maßnahmen gelandet sind, keinen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen haben. Und diese jungen Menschen haben vorwiegend einen Hauptschulabschluss, das heißt, hier ist ein riesiges Potenzial für verschiedene Branchen, auch ihren Fachkräftebedarf zu decken, und deswegen kann man nicht sich einfach zurückziehen und sagen, wir haben wenige Hauptschulabsolventen, sondern es gibt genügend jugendliche Hauptschüler, die eine Ausbildung machen wollen, die eine Ausbildung machen können, aber keinen Platz finden.
    "Betriebe müssen sich Hauptschulabsolventen mehr öffnen"
    Rieger: Aber wie kann das denn eigentlich sein? Haben denn die Betriebe ihren eigenen Fachkräftemangel gar nicht im Blick?
    Anbuhl: Ich glaube, der Fachkräftemangel wird im Moment eher beklagt, ist bei den Betrieben aber noch nicht ganz so angekommen an der Stelle. Und der Druck auf die Betriebe wird sicherlich noch größer werden in dem Bereich.
    Wir können aber schon feststellen, was auch wieder eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung sagt, dass eigentlich Betriebe, die Hauptschüler ausbilden, mit diesen ganz zufrieden sind. Dort wurden die Unternehmen befragt – die sind nicht schlechter im Prinzip als Jugendliche mit Mittlerer Reife in der Ausbildung. Es wird aber Zeit, dass eben auch sich mehr Betriebe diesen Jugendlichen öffnen. Und solange sie das nicht machen, muss ich feststellen, ist der Fachkräftemangel bei ihnen offenbar noch nicht angekommen.
    "Mehr Hilfestellungen für Ausbildungsbetriebe erforderlich"
    Rieger: Wie könnte man diese Betriebe denn dazu bewegen, dass sie sich der Hauptschüler annehmen?
    Anbuhl: Ich denke, dass vielleicht die Betriebe auch – es sind ja häufig kleine und Kleinstunternehmen –, dass die mehr Unterstützung brauchen bei der Ausbildung. Und da sind in der Tat die Unterstützungsangebote aber auch in diesem Jahr sehr stark ausgebaut worden. Wir haben ja in der Allianz für Aus- und Weiterbildung, die die Bundesregierung gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden geschlossen hat, gerade gesagt, dass wir Hilfsangebote stärken wollen, und das heißt ausbildungsbegleitende Hilfen, das heißt, Förderunterricht für Jugendliche ist leichter zu erreichen für die Betriebe.
    Und wir haben neu eingeführt bundesweit das Instrument der assistierten Ausbildung mit 10.000 Plätzen. Da wird im Prinzip den Betrieben und den Jugendlichen ein Träger zur Seite gestellt, der den Betrieben hilft bei der Auswahl der Jugendlichen, aber auch bei der Gestaltung der betrieblichen Ausbildung, der aber auch den Jugendlichen hilft, wenn Schwierigkeiten auftauchen, wenn Förderbedarf da ist, und auch im Konfliktfall zwischen Unternehmen und Jugendlichen moderiert und schlichtet in dem Bereich. Und ich glaube, solche Instrumente sind wichtig, damit Betriebe auch stärker in die Ausbildung auch von Hauptschülern wieder einsteigen.
    Rieger: Matthias Anbuhl war das, Abteilungsleiter für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB. Und ich habe mit ihm darüber gesprochen, wie die Chancen von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss auf dem Ausbildungsmarkt stehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.