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Studie zu Ganztagsschulen
Bayern als Tabellenletzter

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung besuchen bundesweit fast 40 Prozent der Schüler eine Ganztagesschule. Beim Spitzenreiter Hamburg sind es sogar fast 90 Prozent. Schlusslicht Bayern bringt es dagegen nur auf 16 Prozent. Der Grund: Es fehlt an Personal.

Von Michael Watzke | 17.10.2017
    Korel, Alessandro und Sarah schreiben in der Ganztagsschule in der Helsinkistraße in der Messestadt in München in ihren Heften.
    Unterricht in der Ganztagsschule (picture alliance / Frank Leonhardt)
    16.00 Uhr am Münchner Wilhelms-Gymnasium: Die stellvertretende Schulleiterin Brigitte Waltenberger öffnet vorsichtig eine Klassentür:
    "Wir sehen hier eine Gruppe von Fünftklässlern, die in ihrer Arbeitsphase sehr intensiv und konzentriert mit Latein, Mathematik und Deutsch beschäftigt sind."
    Von den 600 Schülern des Wilhelms-Gymnasiums nutzen 100 den offenen Ganztag. Das heißt, eine pädagogische Fachkraft betreut die Kinder vier Tage die Woche bis 16.15 Uhr in der Schule. Im Gegensatz zum gebundenen Ganztag ist der offene Ganztag freiwillig. In Bayern ist er die am weitesten verbreitete Form der Nachmittagsbetreuung.
    "Das kann ich aus unserer Sicht bestätigen: Wir bieten das Modell seit vielen Jahren an und haben großen Zuspruch. Die Eltern schätzen das offensichtlich, dass sie am Nachmittag zumindest das Angebot einer verlässlichen Betreuung haben."
    Aber dieses Angebot haben längst nicht alle bayerischen Schulkinder. Kein deutsches Bundesland bietet weniger Ganztags-Schulplätze an als Bayern. Zwar verspricht Ministerpräsident Horst Seehofer:
    "Bis 2018 gibt es in allen Schularten für jede Schülerin und jeden Schüler bis 14 Jahre ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot."
    Aber "bedarfsgerecht" kann laut Definition der bayerischen Staatsregierung auch ein Hort oder eine Mittagsbetreuung sein. Eine Garantie für qualitativ hochwertigen Ganztag wolle der Freistaat den Eltern nicht geben, kritisiert Michael Piazolo, Bildungs-Experte der Freien Wähler in Bayern:
    "Den Rechtsanspruch, den wir gefordert haben, den hat die CSU-Fraktion abgelehnt. Komischerweise fordert es die Frauen-Union! Da sollte die CSU mal auf die Frauen in ihrer Partei hören "
    Das Ganztagesangebot für bayerische Schülerinnen und Schüler sei lückenhaft und unübersichtlich, klagt Simone Fleischmann, Präsidentin des bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV).
    "Da sieht man vor lauter Wald die Bäume nicht! Es gibt so viele verschiedene Angebote, das ist mir fast zu viel!"
    Lehrerverband: "Am Geld liegt es nicht"
    Fleischmann plädiert für den gebundenen Ganztag, also ein für alle Schüler verpflichtendes Nachmittags-Schulprogramm. Das garantiere die höchste Bildungsqualität. Der gebundene Ganztag ist in Bayern aber bisher die seltenste Form der Nachmittagsbetreuung. Das liege nicht an fehlendem Geld, sagt die BLLV-Präsidentin:
    "Wir sind, glaube ich, auch im Ganztag so aufgestellt, dass die Programme der Staatsregierung mit ausreichend Geld unterfüttert sind. Ich könnte jetzt sagen: "Wunderbar, Geld ist genug da!" Aber Geld macht keinen Unterricht und macht auch keinen guten Ganztag. Wir brauchen Personal. Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer, wir brauchen multiprofessionelle Teams, um die gestiegenen Bedarfe abzudecken."
    Fachpersonal allerdings ist in Bayern derzeit so knapp, dass ein Ganztagsangebot, wie es die Studie der Bertelsmann-Stiftung empfiehlt, nicht umsetzbar wäre. 16 Prozent der bayerischen Schulen sind derzeit gebundene Ganztagsschulen. Die Empfehlung lautet: 80 Prozent gebundener Ganztag bis 2025, so Simone Fleischmann
    15.000 mehr Lehrer allein in Bayern
    "Und wenn wir die Zahl jetzt auf Bayern runterbrechen – was die Studie leider nicht tut, aber wir haben das mal gemacht – dann wären das allein fürs Personal, also für Lehrerstellen, 15.000 mehr Lehrer als jetzt. Nur in Bayern!"
    Hinzu kommt noch das Platz-Problem. Das Münchner Wilhelms-Gymnasium beispielsweise renoviert und erweitert zwar gerade seine Schulgebäude. Aber gebundener Ganztag wäre dort nicht machbar, sagt die stellvertretende Schulleiterin Brigitte Waltenberger:
    "Bei uns als Innenstadt-Schule ohnehin. Wir sind nicht auf freiem Feld und können nicht beliebig anbauen. Das ist sicherlich bei vielen Schulen ein Problem."
    Deshalb wird in Bayern auch zukünftig vor allem der offene Ganztag ausgebaut - quantitativ. Und qualitativ?
    "Qualitäts-Entwicklung ist ein großes Thema im Ganztags-Angebot. Und muss auch eines sein. Es reicht nicht, die Kinder einfach nur zu verwahren."