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Studie zum Suchtverhalten
Wenn Computerspiele nicht mehr loslassen

Knapp sechs Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland sind von Computerspielsucht betroffen - das ist das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag der DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen. Viele Eltern sind mit dem Medienkonsum ihrer Kinder überfordert. Experten raten, Online- und Spielzeiten mit einem Wochenplan zu begrenzen.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 06.12.2016
    Ein Mitarbeiter des Spielesoftwareunternehmens Wooga GmbH arbeitet an dem Spiel Diamond Dash
    Kinder sollten eine Balance zwischen realer und virtueller Welt finden. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Mehr als acht Prozent der Jungen und jungen Männer sind von der Sucht nach Action- und Rollenspielen sowie Abenteuer- und Strategiespielen betroffen – und damit deutlich häufiger als Mädchen und junge Frauen mit knapp drei Prozent.
    Wann jemand von Computerspielen abhängig ist, lässt sich seit wenigen Jahren mit international anerkannten Kriterien feststellen, sagt Professor Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
    "Da geht es um gedankliche Vereinnahmung der Spieler und Spielerinnen, um Entzugserscheinungen, die bei Begrenzungsversuchen beispielsweise durch die Eltern auftreten. Toleranzentwicklung bedeutet, der Spieler verwendet immer mehr Zeit mit diesen Spielen. Kontrollverlust: Es gelingt dem Spieler nicht, die Häufigkeit und Dauer des Spiels zu begrenzen."
    Schüchterne Kinder sind besonders gefährdet
    Die Jugendlichen belügen ihre Eltern über den Umfang und die Art der Nutzung. Sie vernachlässigen die Kontakte zur Familie und zu Freunden und nehmen beispielsweise nicht mehr regelmäßig an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Ihre schulischen Leistungen lassen nach. Von neun Kriterien müssen mehr als fünf erfüllt sein, um von einer Sucht sprechen zu können.
    Die Befragung zeigt, dass die Betroffenen täglich fast drei Stunden und am Wochenende länger spielen. Manche halten sich zwischen acht und 14 Stunden im Netz auf, ihre Tag- und Nachtstruktur kehrt sich um. Im Durchschnitt sind sie 16 Jahre alt, Jugendliche also laut Studie stärker gefährdet, süchtig zu werden als junge Erwachsene. Wer ängstlich, schüchtern und sozial isoliert ist, lässt sich besonders von den Rollenspielen vereinnahmen, berichtet der Mediziner Rainer Thomasius:
    "League of legends, World of warcraft sind die am häufigsten genutzten Spiele dieser Betroffenen. Hier wird mit Avataren gearbeitet, die Macht und Stärke und kriegerische Auseinandersetzungen, also Kampfszenen symbolisieren, mit denen die Spieler sich sehr stark identifizieren. Sie geraten durch die Identifikation in eine ausgesprochen machtvolle Position hinein, können Nähe und Distanz per Mausklick regulieren."
    Keine anerkannte Krankheit
    Noch ist die Computerspiel- und Internetsucht wenig erforscht. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler kritisierte zudem, dass sie in Deutschland noch nicht als Krankheit anerkannt ist:
    "Man kann die Sucht fördernden Elemente zumindest bei Spielen klar benennen. Die eingebauten Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen sind das eine. Wichtig ist, die Anerkennung als eigenständiges Krankheitsbild dürfte uns aus meiner Sicht einen großen Schritt voranbringen, flächendeckend spezifische Behandlungsangebote zu entwickeln."
    Auch das Verhalten der Eltern steht zur Debatte. Wie eine frühere DAK-Studie belegt, zeigen sich 70 Prozent von ihnen orientierungslos, wie sie den Medienkonsum ihrer Kinder regeln sollen. Ihnen gibt Rainer Thomasius vier Ratschläge:
    "Nämlich einmal sollten Eltern informiert sein über das, was ihre Kinder im Internet machen. Sie sollten auch hinreichend Interesse zeigen und immer wieder die Frage ergründen, ob die Kinder im Internet möglicherweise etwas finden, was die realen Lebensbedingungen nicht hergeben. Sie sollten Grenzen setzen und natürlich Alternativen anbieten."
    Kinder unter acht Jahren sollten keinen eigenständigen Zugang zum Internet haben, so der Professor. Ein PC im eigenen Zimmer ist für unter Zwölfjährige tabu. Zur besseren Kontrolle soll der Computer in der Küche oder im Wohnzimmer stehen. Außerdem hilft ein Wochenplan, die Online- und Spielzeiten zu begrenzen – und eine Balance zwischen realer und virtueller Welt zu finden.