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Studie zur Energiewende
Klimaneutrales Deutschland geht schon 2045

Ein Konsortium aus Thinktank und Klimastiftung hat eine Studie vorgelegt, die aufzeigt, wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden könnte. Die Autoren fordern, dass unkompliziert über womöglich unliebsame Wege nachgedacht wird – wie das unterirdische Verschließen von CO2 aus der Luft.

Von Anja Nehls | 26.04.2021
Eine Wärmebildkamera wird bei der Thermografiemessung eines Hauses eingesetzt.
Probleme auf dem Weg zur Klimaneutralität bereitet - neben dem schleppenden Ausbau der Windenergie - auch der derzeitige Handwerkermangel bei der Wärmedämmung von Gebäuden. (picture alliance / Franz Neumayr)
Die Klimaschutzziele der Bundesrepublik könnten schneller erreicht werden als ursprünglich geplant, sagen Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und die Stiftung Klimaneutralität. Und das ist wichtig, denn der Klimawandel schreitet schneller voran als gedacht, das zeigen die immer häufigeren Extremwetterlagen. Man könne also schon bis 2045 klimaneutral sein, wenn man ganz einfach die Geschwindigkeit des Umbaus gegenüber dem 2050er-Szenario erhöhe. Man müsse zum Beispiel mehr Energie beim Heizen von Gebäuden einsparen und mehr umweltfreundlichen Strom erzeugen, sagt Patrick Graichen von Agora Energiewende
"Wir bauen mehr Erneuerbare, wir erhöhen die Sanierungsrate weiter, wir gehen auch schneller in die Wasserstoffwirtschaft, wir müssen aber auch solche unangenehmen Dinge wie CCS schneller diskutieren."
Baerbock über Klimaneutralität - "Eine Umstellung des Produktionssystems gehört dazu"
Mobilität, Konsum und Produktion müssen auf Klimaneutralität ausgerichtet werden, fordert die Kanzlerkandidatin und Parteichefin der Grünen Annalena Baerbock.
CCS bedeutet Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung und heißt, dass man klimaschädliches Kohlendioxid aus der Luft wieder herausholt und dann tief in der Erde lagert, so dass es eben nicht in die Atmosphäre gelangt.

Klimaschutz als Motor für Beschäftigung

Klimaneutralität bis 2045 sei also möglich, schon allein aufgrund einer immensen technologischen Weiterentwicklung. Und Klimaneutralität ist gut fürs Klima und für die Wirtschaft, sagt Rainer Baake von der Stiftung Klimaneutralität. Wenn man nämlich 2045 statt 2050 klimaneutral werde, spare das nochmal ein Milliarde Tonnen CO2 - und es habe ökonomische Vorteile:
"Nur diejenigen Volkswirtschaften, die mit Klimatechnologien an der Spitze der Bewegung sich bewegen, werden auf den Märkten von morgen sich behaupten können. Klimaschutz ist derzeit dabei, sich zu einem Motor für Investitionen und Beschäftigung zu entwickeln."
Außerdem komme die deutsche Wirtschaft als Technologielieferant für den Rest der Welt in einen Wettbewerbsvorteil – und das sei gerade jetzt mit Blick auf die USA wichtig, mein Patrick Graichen:
"Joe Biden hat ja jetzt mit seinem großen Klimagipfel letzte Woche im Prinzip das Wettrennen um Klimaneutralität eröffnet und wir als Technologienation sollten "ahead of the curve" sein, also immer ein Stück weiter als die anderen und deshalb ist 2045 das richtige Ziel."
CO2-Speicherung - Wie wir das Klima reparieren könnten - vielleicht
Ein Ausweg aus der Klimaerwärmung könnte es sein, CO2 nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen und dann zu speichern. Doch das ist bislang wenig erforscht.
65 Prozent Emissionsminderung bis 2030 sei das richtige Zwischenziel. Sorgenkind bei der Energiewende war bisher der Verkehrssektor, wo es seit 1990 gar keine Senkung der Emissionen gegeben hat.
Aber hier sehe man jetzt eine positive Entwicklung, die großen Autohersteller hätten die Zeichen der Zeit mittlerweile verstanden, so dass auch der Verkehrssektor schon bald seinen Beitrag zur Energiewende leisten könne, meint Christian Hochfeld von Agora Energiewende:
"Durch erstens 14 Millionen e-Pkw im Markt, ein Drittel der Fahrleistung auch im Straßengüterverkehr elektrisch und über eine Mobilitätswende, die eine starke Verlagerung auf die öffentlichen Verkehre vorsieht, sowohl für den Personen-, als auch für den Güterverkehr eine Verdoppelung des Volumens bis 2035."

Szenario: Anwachsender Stromverbrauch um knapp 60 Prozent

Probleme mache der derzeitige Handwerkermangel bei der Wärmedämmung von Gebäuden und der zu schleppende Ausbau bei der Windenergie. Denn der Stromverbrauch wird laut Szenario von 2030 bis 2045 um knapp 60 Prozent auf etwa 1.000 Terawattstunden anwachsen.
Die Bundesregierung müsse jetzt die Weichen stellen und Klimaschutz und Wirtschaft zusammendenken. Man brauche ein großes Investitionsprogramm, bei dem die Menschen auch finanzielle Anreize bekommen, in Klimafreundlichkeit zu investieren, so Graichen:
"Das heißt konkret: in die Wärmepumpe statt den Ölheizkessel, das Elektroauto statt dem nächsten Diesel. Und die entsprechenden Zuschüsse dafür sind genauso wichtig wie ein Ausgleich bei den Kosten. Manche Sachen werden teurer, Kohle, Öl und Gas, Heizöl, Diesel, Benzin, dafür muss man alles, wo Strom reingeht - und erneuerbarer Strom insbesondere - billiger werden."
Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 sei für das Gelingen der Energiewende deshalb von zentraler Bedeutung.