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Studie zur ständigen Erreichbarkeit
Immer online und nie entspannt

Tag und Nacht ans Handy gehen, ununterbrochen seine E-Mails checken oder nach Feierabend auf eine SMS oder WhatsApp reagieren: Wann ist flexible Erreichbarkeit im Berufsleben von Vorteil, wann problematisch? Damit beschäftigt sich eine Studie der Universität Freiburg.

Von Thomas Wagner | 07.06.2017
    Ständige Erreichbarkeit kann Stress verursachen. (Symbolfoto)
    Die Freiburger Wirtschaftspsychologin Nina Pauls hält die Einführung klarer Kommunikations-Richtlinien für unabdingbar. (imago / Westend61)
    "Dass ich eine E-Mail verschicke am Wochenende und erwarte, dass die ohne Rücksprache vorher bearbeitet wird am Wochenende - das gibt's nicht!"
    "Das ist wirklich unsere Art, zu kommunizieren: Ohne Absprache wird das nicht kommen"
    Der Boss im Gespräch mit der Betriebsratsvorsitzenden: Matthias Abel ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Freiburger Software-Unternehmen Kühn und Weyh. Corinna Heist vertritt dort die über 100 Arbeitnehmer. Und die sind, wie das in einem IT-Unternehmen üblich ist, alle miteinander vernetzt.
    Jeder Dritte im Privatleben kontaktiert
    "Ich denke, auf den ersten Blick hört sich das vielleicht attraktiv an, das jeder jederzeit erreichbar ist." Auf den zweiten Blick, zeigt sich Geschäftsführer Matthias Abel überzeugt, aber ganz sicher nicht: "Weil ich der festen Überzeugung bin, dass es Erholungszeiten braucht, wenn man einfach Ruhe vor dem Job hat. Hier ist schon klar, dass jeder sich seine Auszeiten gönnen soll – und dass abends Feierabend ist."
    Wohl wahr – und die Mehrzahl aller IT-Unternehmen hält sich auch an diesen Grundsatz. Nina Pauls ist Wirtschaftspsychologin an der Universität Freiburg. "Wir wissen aus repräsentativen Studien, zum Beispiel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dass circa ein Drittel der Leute tatsächlich kontaktiert wird im Privatleben."
    Schielen aufs Smartphone nach Feierabend
    Zwei Drittel, so der Umkehrschluss, aber nicht. Umso erstaunlicher ist allerdings das, was die Wirtschaftspsychologin in einer gemeinsamen Untersuchung mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München herausbekommen hat: Obwohl die meisten Chefs das gar nicht einfordern, schielt die große Mehrheit aller IT-Mitarbeiter trotzdem auch nach Feierabend ständig aufs Smartphone.
    "Mitarbeiter berichten uns, dass sie einfach nicht wissen, wie die Erwartungen an sie aussehen. Und um nicht abgehängt zu werden, stellt man das dann zur Verfügung und antwortet auch mal auf unwichtige Sachen."
    Wichtiges Karriere-Kriterium
    Dabei gilt die Faustregel: Je größer der Stress im Job, desto ausgeprägter die Neigung, nach Feierabend zuhause weiterzuarbeiten, Erreichbarkeit inklusive. Manche glauben zudem, das Bearbeiten von Dienstmails nach Feierabend sei ein wichtiges Karriere-Kriterium: "Das heißt: Da gibt es schon so ein bisschen die Idee: Wenn ich nicht erreichbar bin, kann ich hier nichts werden."
    Die Freiburger Wirtschaftspsychologin Nina Pauls hält deshalb die Einführung klarer Kommunikations-Richtlinien für unabdingbar – und nicht nur sie. "Wir haben das ungeschriebene Gesetz oder das Agreement, dass wir alle miteinander versuchen, nur im allergrößten Notfall jemanden außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, die bei uns bis 17.30 Uhr bis 18 Uhr dauern, jemanden zu erreichen."
    Klare Kommunikations-Richtlinien
    Und diese Spielregel, so Unternehmenschef Matthias Abel, sei auch jedem in seiner Firma bekannt. Eine weitere Spielregel: "Dann wird auch keine WhatsApp-Nachricht oder irgend so etwas geschrieben, dann wird direkt angerufen. Und dann ist wirklich auch das Kind in den Brunnen gefallen, und es muss agiert werden."
    Solche Fälle ereigneten sich aber sehr selten. Zwar werden die Mitarbeiter nach Feierabend nur im Notfall angerufen, ein Kommunikations-Verbot gibt es aber gleichwohl nicht. Und das hat Gründe: "Wir haben Software-Entwickler mit kleinen Kindern. Die gehen dann nachmittags um drei oder vier nachhause, setzen sich aber abends um 10 nochmals hin, da sind die Kinder im Bett und können dann nochmals eine Stunde programmieren. Da ist es sehr gewünscht, dass wir's so flexibel handhaben."
    Flexible Kommunikationskultur von Vorteil
    Dem stimmt auch Betriebsratsvorsitzende Claudia Heist zu: Diese Form der flexiblen Kommunikationskultur sei für die Mitarbeiter eher von Vorteil: "Wenn wir heutzutage die Möglichkeit haben, die Arbeit zu erledigen, wenn sie dann machbar ist, also sprich so bestimmte Lebenssituationen abzubilden, ist das natürlich ein großer Vorteil. Man muss natürlich selbstbewusst umgehen und wissen, wie man das für sich handhabt, also dass das kein Rund-um-die-Uhr-Modell wird."
    Flexible Arbeits- und Kommunikationszeiten ja, Rund-um-die-Uhr-Modell nein: Wo aber verläuft die Grenze? Hier sei jeder einzelne Mitarbeiter gefragt, glaubt die Freiburger Wirtschaftspsychologin Nina Pauls: "Dann können die Beschäftigten an ihren Umgangsweisen arbeiten, also beispielsweise Zeiten definieren, in denen sie ihr Smartphone abschalten. E-Mails auf einen anderen Hintergrund legen als private und arbeitsbezogene Geräte nicht in den Urlaub mitzunehmen."
    Das funktioniert aber nur, wenn der Arbeitsdruck nicht eine kritische Schwelle überschreitet. "Wir sehen an unseren Daten ganz klar: Wenn die Notwendigkeit der Erreichbarkeit zu hoch ist, sind alle diese persönlichen Strategien wirkungslos."