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Studienobjekt Büdchen

Ein Büdchen am Markt in Köln-Nippes, über die Tür prangt der eher unspektakuläre Name "Kiosk". Seit drei Jahren verkauft David Arslan hier Lebensmittel, Getränke, Schreibwaren und Zigaretten. Neben dem Kühlschrank, gefüllt mit etlichen Biersorten, läuft stumm der Fernseher. Und der, sagt David Arslan, sei für viele Kunden ein guter Grund, bei ihm hereinzuschauen.

Von Armin Himmelrath | 29.12.2004
    Wir haben ziemlich viele Stammkunden, die auch wegen dem Fernseher kommen, zwischendurch für Fußball-Live-Übertragungen, haben wir ziemlich viele Leute da. Die setzen sich hin, trinken was Kaltes oder auch Warmes, und unterhalten sich auch sehr gerne hier und sind öfters schon mal da.

    Das Büdchen als Ort der Kommunikation und Begegnung - das hat Oliver Kirst fasziniert. Der Absolvent des Studiengangs Sozialarbeit an der Fachhochschule Frankfurt hat deshalb seine Diplomarbeit über die gesellschaftliche Funktion von Trinkhallen geschrieben. Die Idee dazu war ihm eher zufällig gekommen.

    Ein Mitbewohner hat mir ein Erlebnis erzählt von der Trinkhalle in Bockenheim, wo ein offensichtlich armer Schlucker seine zwei Bier bezahlen wollte mit nem 20-Mark-Schein, und die Betreiberin hat halt gefragt: Soll ich Ihnen das Restgeld rausgeben, oder soll ich es behalten, damit Sie sich heute abend was Warmes zu Essen kaufen können?


    Der angehende Sozialarbeiter wollte mehr darüber erfahren, was in den Trinkhallen tatsächlich passiert. Monatelang wälzte er Akten und Geschäftsbücher, um sich mit der Geschichte der Kioske in Frankfurt vertraut zu machen. Dabei fand er heraus, dass es vor allem die Arbeiter der großen Industrieunternehmen waren, die hier Einkauf und Kommunikation verbanden. Der Niedergang großer Industrieunternehmen seit den 80er Jahren bedeutete deshalb auch immer das Ende der umliegenden Trinkhallen. Doch es gibt weitere Gründe für das Verschwinden der Büdchen.

    Der entscheidende Punkt für den Rückgang der Trinkhallen ist eben die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten 1992. Das war sozusagen der entscheidende Knock-Out für die Trinkhallen, seitdem hat sich ihre Zahl bis heute halbiert, während sie vorher nur langsam zurückgegangen ist. Obwohl halt die Stadt aktiv gegen die Trinkhallen vorgegangen ist teilweise, mit Kündigungen von Pachtverträgen oder mit Nicht-Verlängern von Pachtverträgen.

    Für die Kunden bedeutet das häufig auch den Verlust eines gewissen Heimatgefühls. Dass ein Büdchen mehr ist als nur eine Einkaufsgelegenheit, bestätigen auch die Besucher im Kölner Kiosk.

    Mann: Ist halt vollgestellt, ist schön, und hat alles, was man braucht. Und hier kann man auch Samstags nachmittags Fußball gucken, wenn man nebenbei reingucken will.
    Frau: Nett, guter Preis, und von den Öffnungszeiten her ist halt super. Weil, alles andere hat um acht Uhr schon zu, das ist halt ganz gut.
    Mann: Ich bin des öfteren hier, am Tag zwei Mal. Erstens Zigarettenbedarf, Kaffee, wird halt besprochen, was halt abgelaufen ist bei ihm oder bei mir. Ich komm selber aus Nippes, und wohn auch hier um die Ecke, und da kennt man die meisten: Hey, wie geht’s, wie steht’s, und was machst du momentan? Man sieht ja nicht jeden Tag jeden, aber hier drin sieht man doch viele Leute.


    Irgendwo zwischen Kneipe und Tante-Emma-Laden verortet auch David Arslan seine Trinkhalle. Tagsüber studiert der 21jährige Wirtschaftsmathematik und Betriebswirtschaft, danach ist er Gesprächspartner, Seelentröster und Zuhörer. Gerade in dieser Jahreszeit, wenn mancher seiner Kunden dem Alleinsein an den Feiertagen entfliehen will, oder einfach ein paar Momente Ruhe abseits des familiären Trubels braucht. Und manchmal wird David Arslan auch zum Wünsche-Erfüller.

    Ich sag mal, solche Leute hat man auch, die einfach reinkommen; man weiß, was derjenige haben will, ohne große Worte legt man es dahin oder die gucken einen nur an und man weiß genau, was derjenige haben will. Und die haben es dann meistens auch sehr eilig, weil entweder sind die auf dem Weg zur Arbeit oder kommen gerade von der Arbeit, wollen schnell in den Feierabend. Und ich denke, das mögen die Leute auch an einem, dass man da mitdenkt, dass man direkt weiß, was derjenige haben will, und den auch nicht zwei Stunden aufhält: Ja, bitteschön, was wollten sie denn gerne, oder: Was darf’s denn heute sein? Sondern einfach denen das gibt, was sie haben wollen.