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Studieren im Alter

Studienvoraussetzung: Mindestens 45 Jahre alt – das hört man selten. Nicht so an der Technischen Universität in Berlin. Dort wird seit über 20 Jahren ein Studium angeboten, für Menschen, die nicht mehr berufstätig sind oder nach den Kindern wieder Zeit für sich haben. Die älteren Studierenden bleiben keineswegs passiv: Sie halten Referate, schreiben Projektarbeiten und drehen sogar Filme.

Von Tina Hüttl | 14.04.2009
    "Wenn man noch arbeitet, denkt man: Das höchste der Gefühle ist, gar nichts mehr zu tun. Und wenn man drei Monate gar nichts mehr tut, denkt man: Um Gottes Willen, die Decke fällt einem auf dem Kopf. Und dann sucht man, was man tun will. Ich habe kein Abitur, und ich hätte gar keine Möglichkeit in einer anderen Stadt zu studieren, auch nicht als Gasthörer. Und hier in Berlin habe ich die Möglichkeit - und das finde ich ganz toll."

    So wie Bärbel Stadler geht es vielen älteren Menschen. Sie sind gesund, fühlen sich fit - und zu jung im Kopf, um einfach nur zu Hause zu sitzen. Jahrzehnte hat Bärbel Stadler für eine Münchner Versicherung gearbeitet, als Gruppenleiterin war sie immer sehr eingespannt. Kaum in Rente, zog sie nach Berlin und schrieb sich an der Technischen Uni ein - nicht als Gasthörerin, sondern als richtige Studentin bei BANA – der Berliner Ausbildung für nachberufliche Aktivitäten.

    "Das eigentlich herkömmliche Gasthörerstudium heißt, geht hin, hört zu und geht eigentlich wieder weg, ohne sich aktiv zu beteiligen. BANA ist eben ein wirklich viersemestriges Studium mit einem eigenen Pflichtprogramm, einem Rahmenprogramm und einem Programm, was wir die Fachinformationen nennen. Darum ist es auch so, dass die Studierenden sich nach den vier Semestern entscheiden können, will ich jetzt aufhören oder einen Abschluss machen. Dann bekommen sie ein Zertifikat, was kein Hochschulabschluss ist, sondern ein Zertifikat, was wir selber entwickeln, aber immerhin."

    Sabine Gieschler ist fast von Anfang an dabei, zuerst als Dozentin, seit nunmehr sieben Jahren leitet sie BANA. Über 4000 Teilnehmer haben seit der Gründung 1985 das Studium durchlaufen. Etwa ein Drittel der Absolventen nutzte die praxisbezogene Abschlussarbeit, um danach in Bürgerbüros, Stiftungen und kulturellen Einrichtungen aktiv zu werden.
    Auch Bärbel Stadler will sich nach dem Studium ehrenamtlich für Kinder mit Migrationshintergrund engagieren. Daher hat sie den Studienschwerpunkt "Stadt und Kommunikation" gewählt. Sie belegt Kurse zu Stadtentwicklung, sozialen Bewegungen und interkultureller Kompetenz.

    "Da habe ich eben festgestellt, dass man mit Menschen aus anderen Ländern nur wirklich dann gut harmonieren kann, wenn man etwas mehr über ihren Hintergrund weiß. Wenn man ihre Reaktionen auf uns verstehen will, muss man mehr über ihre Kultur wissen."

    60 Euro Gebühren kostet Bärbel Stadler das Semester. Dafür kann sie aus dem daumendicken BANA-Vorlesungsverzeichnis jede Menge speziell entwickelter Seminare und Projekte auswählen - aber auch Angebote aus dem regulären Vorlesungsverzeichnis der TU. Nur in den seltensten Fällen haben Professoren etwas dagegen, so die Leiterin Sabine Gieschler:

    "Es hat auch das Umgekehrte sogar gegeben, einfach aus irgendwelchen Platzgründen haben wir bestimmte Dinge nicht aufgenommen und kriegten Anrufe: Wieso stehen wir in dem BANA-Verzeichnis nicht mehr drin? Also auch das gibt es."

    Sicherlich besonders ist auch das offene Konzept: denn des Öfteren werden aus ehemaligen BANA-Studenten auch Dozenten. Wie die 69-jährige Rita Scharf. Vor vier Jahren hat sie hier das Studium beendet. Nun leitet sie die Filmgruppe und sitzt vor einem PC, auf dem sie erste Szenen aus dem Unialltag schneidet.

    "Im Wesentlichen sind das Ereignisse, die sich bei BANA abgespielt haben, die alle im Zusammenhang mit BANA stehen."

    Der Dokumentarfilm über BANA soll auf dem Offenen Kanal Berlin laufen.

    "Einmal Bilder der Technischen Uni, drüber aus dem Hauptgebäude, das sind Bilder von einer Infoveranstaltung, das ist natürlich jetzt sehr laut, aber so sind sie, die Oldies.."

    Die Kamera stellte die TU, ebenso einen Kurs für erste Film-Grundkenntnisse. Das Schnittprogramm hat sich Rita Scharf autodidaktisch angeeignet. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit ehemaligen und aktuellen BANA-Studenten Dokumentarfilme aus dem Kiez zu drehen.

    "Ich hätte nicht gewagt, einen Film zu drehen. Ich hätte sicher mal im Urlaub draufgehalten, aber einen richtigen Film mit Inhalt und Kurzgeschichte auf diese Idee wäre ich vorher nicht gekommen."

    Ein Studium kann eben nicht nur das Leben von jungen Menschen entscheidend verändern – auch das von Älteren, wie Sabine Gieschler immer wieder beobachtet:

    "Ich finde, dass wirklich die Leute, die das machen, auffallend jünger werden - je mehr sie mit den jungen Studierenden zusammen sind, fallen die Röcke weg und die Jeans sind da. Es ist ein anderes Klima, eine andere Lockerheit plötzlich da - eben auch mehr in die Richtung, selber einen Beitrag zu leisten zur kulturellen Entwicklung der Stadt, und nicht nur konsumieren."


    BANA im Netz: http://www2.tu-berlin.de/zek/bana/