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Studieren im Iran
Ein liberaler Wind in Seminar-Räumen und Hörsälen

Nach der Islamischen Revolution im Iran wurden die Universitäten dicht gemacht. Zu westlich, zu wenig mit dem Islam verbunden – so die Begründung von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini. Und heute? Wer sich unter den Studierenden und Lehrenden umhört, stößt einerseits auf viel Offenheit, aber auch auf unausgesprochene rote Linien.

Von Thomas Wagner | 09.12.2017
    Die Soore Universität der Künste in Teheran (Soore Art University): Studierende und Lehrende treffen sich im Innenhof
    Studentenleben: Der Innenhof der Soore-Universität in Teheran (Foto: Jörg-Christian Schillmöller)
    18. April 1980 – die sogenannte "Islamische Revolution" ist im Iran in vollem Gange. Revolutionsführer Ayatollah Khomeini veröffentlicht ein Dekret:
    "Wofür wir uns fürchten, sind westlich orientierte Universitäten, die unsere Jugend mit falschen Werten für ihre eigenen westlichen Interessen manipulieren wollen!"
    Drei Tage später werden alle iranischen Unis geschlossen – im Rahmen der so genannten "Kulturrevolution". Soweit zur Geschichte. Und heute?
    "Das Studentenleben ist genauso lebendig wie in Deutschland"
    "Ich würde sagen, das studentische Leben ist genauso lebendig wie in Deutschland."
    Ahmad Kesawasi muss es wissen: Der junge Mann, Anfang 30, studierte Deutsch mit dem Schwerpunkt Übersetzungswissenschaft erst in der iranischen Stadt Shiraz, später in Teheran – und wechselte dann zur Promotion an die Universität Bayreuth. Auch die Organisation der Studiengänge sei vergleichbar mit internationalen Maßstäben.
    "Wir haben dieses System schon seit 30 Jahren, also dass wir Bachelor und Master haben. Also ich würde sagen, dass das akademische System im Iran sowieso unter dem Einfluss des britischen und des amerikanischen Systems steht. Und deswegen hatten wir von Anfang an dieses System: vier Jahre Bachelor, zwei Jahre Master und vier Jahre Promotion. So ist das System."
    Forschen über Exil-Schriftstellerinnen heute möglich
    Wer in Teheran mit iranischen Studierenden spricht, der gewinnt unweigerlich den Eindruck: Derzeit weht ein liberaler Wind durch Hörsäle und Seminar-Räume. Das schlägt sich manchmal auch in den Inhalten nieder. Anita Khademi, Anfang 30, beschäftigt sich in ihrer literaturwissenschaftlichen Abschlussarbeit mit einem Thema, das so vor einiger Zeit kaum denkbar gewesen wäre:
    "Im Moment beschäftige ich mich gerade mit Schriftstellerinnen im Iran, die zum Schreiben ins Exil gegangen sind, manche nach Amerika, manche nach Europa."
    "Nach der Revolution sind viele Schriftstellerinnen geflohen, häufig nach Europa. Weil in den USA ja eher so eine Art 'imperialistische Denkweise' verbreitet war, wählten die meisten Europa als Ort ihres Exils aus."
    Klima für Forschung hat sich gebessert, sagen viele
    Viele sagen: Seit dem Amtsantritt des als gemäßigt geltenden iranischen Staatspräsidenten Ruhani vor über vier Jahren gehe es längst nicht mehr so streng zu wie unter Vorgänger Ahmadinedschad, der eher als 'Bildungs-Hardliner' galt. Hinzu kommt die international bestätigte hohe Qualität der wissenschaftlichen Arbeit an den iranischen Unis:
    "Da haben wir auf dem Feld der Ingenieurwissenschaften Bereiche, da ist Iran auf Platz 16. Wir haben eine sehr starke Informations- und Kommunikationstechnologie, auch unter den Top 20. Weltweit rangiert der Iran unter dem Forschungsoutput unter den 20 Besten", erklärt Frens Stoeckel, Leiter des Büros Teheran des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
    Über die Hälfte eines Jahrgangs geht auf die Uni, ein im internationalen Vergleich sehr hoher Wert. Gefragt sind vor allem Ingenieurstudiengänge, Naturwissenschaften und Medizin. Allerdings:
    "Die Geisteswissenschaften haben noch nicht die Stellung erreicht, die wir in Europa zum Beispiel sehen."
    Qualität etwa der Bibliotheken nicht vergleichbar
    Daneben sei die Ausstattung der iranischen Unis ausbaufähig, so der junge Germanist Ahmed Kewassi:
    "Die Qualität der Lehre und der Forschung ist natürlich nicht so vergleichbar. Wenn wir jetzt zum Beispiel die Bibliotheken nehmen und das mit den Bibliotheken in Deutschland vergleichen, ist der Unterschied manchmal überraschend."
    Doch abgesehen von der Art der Ausstattung und Lehre, gibt es im Uni-Leben nach wie vor einige politisch bedingte Hürden und Einschränkungen.
    Es gibt auch Tabus in Gesprächen
    Die werden zum Beispiel dann spürbar, wenn man als Journalist versucht sich mit Professoren zu verabreden. Das ist manchmal schwierig, denn Kontakte mit westlichen Journalisten könnten ein Karrierehindernis darstellen, heißt es. Darüber hinaus sind manche Themen wie die Kopftuch-Pflicht für Frauen oder das politische System des Iran in Gesprächen tabu.