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Studieren im Jahr 2030
Ein Zukunftsszenario

Vorlesungen online verfolgen, E-Books statt dicke Wälzer lesen: Die Digitalisierung hat bereits für einige Veränderungen im Hochschulalltag gesorgt. Doch wie könnte das Ganze im Jahr 2030 aussehen? Eine Umfrage aus der Gegenwart an der Uni Köln.

Von Michael Böddeker | 07.09.2015
    Eine Studentin sucht am 07.11.2012 ein Buch in der Bibliothek der Universität Hildesheim.
    Ein Student: "Ich frag' mich, ob in 15 Jahren überhaupt noch Bücher da sein werden, oder ob das eher digital ablaufen wird ... " (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    "Ich glaub, im Jahr 2030 lernt jeder nur noch von Zuhause und geht gar nicht mehr in die Uni."
    "Ich hab jetzt gerade so an das Naheliegendste für uns gedacht, an Prüfungen. Was ja zum Teil schon der Fall ist, dass man nicht mehr per Hand schreibt, sondern auf dem Computer."
    "Ich glaube, dass Digitalisierung genutzt wird, um Präsenz abzubauen – also auf beiden Seiten, Studenten und Lehrende ... "
    "Also wir sind Lehramtsstudenten, und das ist zum Teil schon ein Thema, dass die Schüler gar nicht mehr per Hand schreiben, weil sie schon früh Handys und Laptops und so weiter haben .."
    "Ich frag mich, ob in 15 Jahren überhaupt noch Bücher da sein werden, oder ob das eher digital ablaufen wird, könnte mir vorstellen, dass sich da einiges tut."
    "Vermutlich wird der ein oder andere Bedienstete bis dahin von Robotern abgelöst sein."
    Wir schreiben das Jahr 2030. Es ist Montagmorgen. Die Biologie-Studentin Sophie Kessler ist gerade aufgewacht. In knapp einer halben Stunde fängt ihre erste Vorlesung an. Allerdings braucht sie sich mit dem Duschen und Anziehen überhaupt nicht zu beeilen. Denn in die Uni muss sie heute nicht gehen: Das Seminar findet virtuell statt.
    "Ich hab im Netz Videos davon gesehen, wie die Leute früher studiert haben, in so riesigen Hörsälen, eng nebeneinander auf Holzbänken. Also, ich bin echt froh, dass das heute nicht mehr so ist!"
    Sophie setzt sich an ihren Schreibtisch. Die Grundvorlesung zum Thema Genetik hatte sie sich schon letzte Woche angesehen – als Video. Anschließend hat sie mit einem Multimedia-E-Book gelernt – und über Social Media auch zusammen mit den anderen Studierenden. Das reine Faktenwissen wurde danach in einer Online-Prüfung abgefragt. Heute soll der Bio-Grundkurs über ethische Fragen zum Thema diskutieren. Sophie setzt sich ihre Virtual-Reality-Brille auf den Kopf.
    Lernleistungen werden zunächst komplett digital erfasst und ausgewertet
    Ihr Arbeitszimmer verschwindet vor Sophies Augen, und sie befindet sich scheinbar in einem Seminarraum. Neben ihr erscheinen nach und nach die Avatare ihrer Kommilitonen, und vorne der des Dozenten.
    "Klar, irgendwie wär' es schon ganz nett, die anderen auch mal öfter persönlich zu treffen. Aber das geht ja nicht, wir wohnen ja gar nicht alle in derselben Stadt. Und ein paar von uns sind im Ausland und besuchen die Vorlesungen von da aus."
    Im Jahr 2030 lernt man deutlich anders als früher. In den 2010er-Jahren wurden dafür neue Konzepte entwickelt. Das Schlagwort lautete damals: "Gamification". Zunächst haben einzelne Schulen den Unterricht nach dem Vorbild von Computerspielen gestaltet: Die Schüler sammeln beim Lernen Punkte und entwickeln dadurch viel Eigenmotivation, denn sie sehen ständig ihren Lernfortschritt, und sie versuchen, vor ihren Mitschülern das nächste Level zu erreichen.
    Zugleich werden die Lernleistungen komplett digital erfasst und ausgewertet. Prüfungsergebnisse liegen dadurch viel schneller vor. Und: Die Karriere kann durch Big-Data-Analysen viel besser geplant werden. Bei Sophie hat der Computer nach der Auswertung all ihrer schulischen Leistungen eine Karriere als Forscherin empfohlen.
    "Das fand ich ganz gut. Ich war mir erst unsicher, was ich später machen soll. Aber ich hab dann wie die meisten einfach das gemacht, was mir das Programm empfohlen hat."
    An der Uni geht es anschließend ganz ähnlich weiter. Auch hier werden die Leistungen jedes einzelnen Studierenden und Lehrenden komplett erfasst. Mittlerweile wird sogar darüber diskutiert, Unternehmen vollen Zugriff auf die Daten zu geben. So könnten sich Arbeitgeber genau die neuen Mitarbeiter aussuchen, die gut zu ihnen passen.
    "Ich find' es zwar nicht so toll, wenn mein späterer Chef so komplett über mich Bescheid weiß. Aber andererseits: Wenn ich dadurch in einer guten Firma lande, die zu mir passt, warum nicht?"