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Studieren in der Ukraine
Die geteilte Universität

Die Nationale Universität von Donezk gibt es mittlerweile an zwei verschiedenen Orten: Als die Separatisten die Macht im Osten der Ukraine übernahmen, hatte die ukrainische Regierung die Hochschule offiziell nach Winnyzja verlegt, in die Westukraine. Doch nur die Hälfte der Studenten zogen mit.

Von Florian Kellermann | 11.05.2015
    Einwohner gehen durch die Innenstadt von Donezk
    Viele Studenten sind in Donezk geblieben. ( picture alliance / dpa / Natalia Seliverstova)
    Artjom ist auf eine Rauchpause vor die Universität gekommen. Es ist Feiertag in Donezk, und trotzdem ist er hier, für eine Probe der Theatergruppe. Dabei sollte der 20-Jährige eigentlich längst 800 Kilometer weiter westlich wohnen, wenn es nach dem Willen der ukrainischen Regierung geht. Denn als die Separatisten die Macht in Donezk übernommen hatten, hat sie die Universität offiziell nach Winnyzja verlegt - in die Westukraine.
    Doch Artjom kümmerte sich nicht darum:
    "Mein Gewissen hätte es gar nicht zugelassen, dass ich irgendwo weit weg bin und Schokolade esse, während es meinen Freunden hier schlecht geht. Außerdem kann es die Donezker Universität eben nur in Donezk geben, sonst ist das eben nicht mehr die Nationale Donezker Universität."
    "Keine Verbindung zwischen beiden Teilen"
    Viele Studenten sind geblieben. Bei der Nationalen Universität ist es etwa die Hälfte, noch etwas mehr bei den Hochschulen für Management und für Bauwesen. Auch längst nicht alle Angestellten haben den Umzug auf sich genommen - schon wegen der Kosten. Ein Assistent verdient an einer ukrainischen Universität derzeit weniger als 100 Euro im Monat. Das reicht kaum für eine Wohnung in Winnyzja. Denn seit es dort viele Flüchtlinge gibt und auch noch die Studenten aus Donezk kommen, steigen dort die Mieten.
    De facto seien die Universitäten geteilt, sagt Wladimir Nikolajewitsch, ein Professor in Donezk, der wegen der Ereignisse gerade seine Frühpensionierung eingereicht hat:
    "Es gibt überhaupt keine Verbindungen mehr zwischen den beiden Teilen. Denn diejenigen, die gegangen sind, sind im Streit gegangen. Die Machthaber der Donezker Volksrepublik versuchten, sie zu halten. Die Wissenschaftler durften ihre Forschungsergebnisse nicht mitnehmen, noch nicht einmal kopieren."
    Vladimir Nikolajewitsch sieht so eine jahrzehntelange Donezker Forschungstradition zerstört, vor allem in technischen Fachrichtungen. Zumal, so meint er, gerade die besten und aktivsten Dozenten und Studenten die Stadt verlassen hätten.
    Separatisten wollen auch Lehrinhalte anpassen
    Das sehen die Verantwortlichen der Donezker Volksrepublik anders. Der Minister für Bildung und Wissenschaft Igor Kostenjuk erklärt, dass die Separatisten ein besseres, weil sozial ausgewogeneres Bildungssystem schaffen würden. In den Geisteswissenschaften werden sich auch die Inhalte unterscheiden. Das betrifft vor allem die ukrainische Geschichte, so die Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933. In der Ukraine gilt sie als absichtlich herbeigeführt. Stalin habe so den Widerstand der antikommunistischen ukrainischen Landbevölkerung brechen wollen. In Donezk werde das künftig anders gelehrt, sagt Igor Kostenjuk:
    "Die Hungersnot war ein systemimmanentes Phänomen. Dabei starben vor allem Russen, Ukrainer und Weißrussen, aber auch Vertreter aller anderen Nationen der ehemaligen Sowjetunion. Die Hungersnot wurde aber nicht herbeiführt, sondern in Kauf genommen - für höhere Ziele. Ob das richtig war, soll jeder selbst entscheiden."
    Für Kostenjuk gelten ohnehin die Mathematik und die Naturwissenschaften als grundlegende Wissenschaften. Und die seien ja auf der ganzen Welt gleich, erklärt er. Artjom, der Philologiestudent, hat seine Zigarettenpause beendet, er geht zurück in den Theatersaal der Uni. Auch sein Studium wird sich etwas verändern. Denn die Ukraine wird den Studenten, die in Donezk geblieben sind, keine Diplome ausstellen. Aber das sei nicht schlimm, meint Artjom:
    Studierende hoffen auf international anerkannten russischen Abschluss
    "Die Universitätsleitung führt Gespräche mit russischen Behörden. Wir sollen jetzt einen russischen Abschluss bekommen, über eine Zusammenarbeit mit der Universität in Rostow. Deshalb führen wir jetzt nach und nach russische Standards ein. Das Studium wird ein bisschen härter, aber ich denke, so ein Diplom aus Rostow ist angesehener als ein ukrainischer Abschluss. Das motiviert und beflügelt uns."
    Dafür nimmt Artjom auch gerne in Kauf, dass sein Studium nun ein Jahr länger dauern wird. Ob die beiden Donezker Universitäten - diejenige in Winnyzja und die in Donezk - jemals wieder vereint werden? Artjom ist skeptisch. Er wünscht sich ohnehin, dass Donezk und die anderen Separatistengebiete künftig einmal zu Russland gehören werden.