Dienstag, 19. März 2024

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Studierende über Stress
Gehetzt in die Zukunft

Prüfungsangst, Zukunftsangst, Leistungs- oder Erwartungsdruck - zumindest einer dieser psychischen Belastungen sieht sich laut einer Krankenkassen-Studie jeder sechste Studierende ausgesetzt. Immer mehr suchen deswegen therapeutische Hilfe.

Von Afanasia Zwick | 17.03.2018
    Gestresster Student in einem Hörsaal in Freiburg im Breisgau.
    Nicht nur Mediziner, sondern auch Geisteswissenschaftler stehen unter Stress (imago / MITO)
    Zigarettenpause. Ein Zug noch, dann muss der 26-Jährige Medizinstudent, der seinen Namen nicht nennen möchte, wieder rein in die Bibliothek. In vier Wochen steht sein Physikum an: Die erste entscheidende Prüfung- nur wer sie besteht, kann weiter Medizin studieren:
    "Der Stresslevel, auf dem ich mich befinde, kann eigentlich nicht höher sein. Es ist omnipräsent, was jetzt vor einem steht und de facto merke ich es an meinem körperlichen Dasein: ich bin Raucher und gerade in den Prüfungsphasen ist das extrem. Ich hab jetzt innerhalb der letzten zwei Wochen fünf Kilo abgenommen. Ich fühle mich auch einfach matt. Ich trinke zum Beispiel viel Kaffee und hab mir jetzt auch schon im Internet Guarana-Tabletten bestellt, das ist ein Koffein-Derivat."
    Keine Zeit für Therapie
    Hauptsache wach und aufnahmefähig bleiben, sagt er. Damit er mit dem Stress besser klar kommt, würde er gerne therapeutische Hilfe annehmen. Aber:
    "Die Zeit ist dafür nicht da. Also ich bin nicht abgeneigt, wenn ich die Zeit dafür hätte."
    "Das Gefühl, ich bin überhaupt nicht vorbereitet aufs Berufsleben"
    So gehetzt und atemlos wie er sind viele. Nicht nur Mediziner, sondern auch Geisteswissenschaftler. Bei ihnen drehen sich die Ängste aber vor allem um die Zukunft. Auch bei dieser Studentin, die ebenfalls anonym bleiben möchte: Sie schließt zum Sommersemester ihr Masterstudium ab, voraussichtlich mit einem 1er-Schnitt. Trotzdem graut es ihr vor den Bewerbungen:
    "Wenn man sich Berufsprofile durchliest, hat man den Eindruck: kann ich nicht, kann ich nicht, kann ich nicht, habe ich nicht gelernt. Da steht halt nie, gerade was Geisteswissenschaftler am häufigsten machen: Hausarbeit schreiben, Referate vorbereiten, lesen, zusammenfassen, Theorien lernen. Und das ist das, was mir am meisten Angst macht, weil man nach der Uni das Gefühl hat, ich bin überhaupt nicht vorbereitet aufs Berufsleben. Das ist schon sehr belastend und das kenn ich auch von anderen."
    Tipps für Strukturen vom Profi
    Außerdem hat sie durch ihre Elternzeit die Regelstudienzeit überschritten - so wie insgesamt 60 Prozent aller Studierenden in Deutschland. Ein Vorteil, sagt sie, dass sie therapeutische Unterstützung hat- die suchte sie sich zwar nicht explizit ihres Studiums wegen; sie hilft ihr aber immer wieder durch anstrengende Unizeiten:
    "Das Beste, was ich in der Therapie zu meinem Studium jetzt gerade in der Endphase besprechen konnte: dass mir ein Profi sagt, dass es nicht schlimm ist, wenn mein Studium länger dauert. Es hat sich doch gegen Ende jetzt einfach gezogen und das lag nicht an Faulheit, sondern weil ich einfach mit Kind begrenzt war. Und dann hab ich mit meiner Therapeutin besprochen, dass es in Ordnung ist, wenn ich noch zwei, drei Monate länger brauche. Das ist einfach viel mehr wert als wenn einem eine Freundin sagt, ist schon okay."
    Hilfe in Form eines Workshops
    Wie sie sich durch die schwierige Abschlussphase kämpft: mit einem strikten Zeitplan, wann sie lernt und das und wann sie Pause macht. "Zeitmanagement", "Stressreduktion", "Mut zur Unvollkommenheit" - so heißen beispielhaft die Workshops, die die psychotherapeutische Beratungsstelle der Frankfurter Goethe-Universität anbietet. Ein Erstsemester der Wirtschaftswissenschaften erzählt:
    "Ich hab ja vor einem Jahr Abitur gemacht und bei mir war das so, dass ich schon Probleme hatte mit Stressbewältigung und dann hab ich mir gedacht: wenn du jetzt studierst, hast du ja nochmal eine Chance, also hol ich mir jetzt Hilfe in Form von diesem Workshop eben. Da geht es auch viel um soft skills oder um einen Ernährungsplan. Wenn man jetzt zehn Stunden in der Bib' sitzt, muss halt auch mal an die Luft gehen, über den Campus laufen. Was ich am meisten gelernt habe, dass man sich nur auf sich selbst fokussieren sollte. Man muss sich auch von den Erwartungen der Gesellschaft oder auch von Erwartungen von anderen Personen, Eltern lösen. Man merkt es eigentlich auch, wenn man ins Gespräch kommt mit anderen Studenten, dass es einfach so ist, dass das Stresslevel einfach hoch ist."
    Anastasia finanziert ihr Studium selbst
    Anna steht unter einem ganz anderen Druck: sie finanziert sich ihr Studium selbst, kellnert dafür in einem Café. Was die Romanistikstudentin dabei am meisten belastet: ihr Nebenjob habe nichts mit ihrer beruflichen Karriere zu tun. Dadurch könne sie mit ihren Kommilitonen wenig konkurrieren:
    "Alle Praktika in meinem Bereich, die sind unbezahlt. Es gibt tolle Volontariatsstellen am Theater zum Beispiel. Ich kann faktisch nicht 45 Stunden die Woche arbeiten, nicht bezahlt werden und mich dann am Wochenende noch hinstellen und einen anderen Job machen, damit ich meine Miete zahlen kann und nebenher noch studieren."
    Stress durch Selbstdarstellung in sozialen Medien
    Ohne psychologische Unterstützung bei der Uniberatung würde sie dem Druck nicht Stand halten, sagt sie. Beruhigend sei vor allem: Durch die Therapie erfährt sie, dass viele andere ganz ähnliche Probleme haben. Zum Beispiel empfinden viele als deprimierend die Selbstdarstellung ihrer Kommilitonen in den sozialen Medien- so auch der Maschinenbaustudent Andreas:
    "Wir haben auf Facebook so Gruppen, zum Beispiel empirische Wirtschaftsforschung Prüfungsvorbereitung. Dann fragen Leute irgendwelche Fragen über eine Aufgabe, dann häufen sich die Kommentare, wie man diese Aufgabe löst und was man nicht alles zu beachten hat und jeder tut so als wäre er der größte Experte. Und das baut einen ungeheuren Stress auf."
    Seine Magenschmerzen vor den Prüfungen seien kaum zu ertragen, sagt Andreas. Mittlerweile ist er im 13. Semester, ohne Bachelorabschluss, und ohne greifbares Ende in Sicht. Sein Fazit:
    "Ich bereue echt, dass ich damals nicht einfach gesagt hab: Nee sorry, ist nicht mein Ding. Auch dieses Semester hab ich wieder überlegt: vielleicht mit einem Therapeuten darüber zu reden. Dieses Wort Depression ist schnell gesagt, aber ich merke, dass ich antriebslos bin, energielos, bleib dann lieber im Bett liegen oder leg mich wieder ins Bett. Da kriegt man einfach keinen klaren Kopf mehr und man braucht halt zum Lernen vor allem einen klaren Kopf."