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Studium für Gesundheitsberufe
Akademisierung mit Hindernissen

Die Anforderungen an Hebammen, Logopäden und Physiotherapeuten steigen. Seit 2009 bieten viele Hochschulen deshalb Studiengänge in Gesundheitsberufen an. Eine entsprechende Modellphase haben Bundestag und Bundesrat Ende letzten Jahres verlängert. Der Hochschulverbund für Gesundheitsfachberufe hält diese Entscheidung jedoch für falsch.

Von Claudia van Laak | 09.01.2017
    Eine Hebamme untersucht eine Schwangere
    Eine Hebamme untersucht eine Schwangere (dpa-Zentralbild / Matthias Hiekel)
    Paul Stiegler studiert im dritten Semester Physiotherapie an einer privaten Hochschule in Berlin. In seinen Praktika stellt er immer wieder fest: kaum jemand weiß, dass dieses Fach auch studiert werden kann. Das verunsichert uns, sagt Paul Stiegler:
    "Dass der studierte Therapeut noch gar nicht in der Realität der Praxen und Krankenhäuser angekommen ist, überhaupt nicht. Was lernen wir, warum lernen wir das, und in welcher Form sollten wir Platz finden in so einer Arbeitswelt. Dementsprechend ist das etwas, was mich demotiviert."
    Studierende sind demotiviert
    Diese Demotivation der Studierenden werde jetzt noch verstärkt – kritisieren Hochschulpräsidenten und Professorinnen, die sich im Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe zusammengeschlossen haben. Denn: anstatt aus dem Modellversuch dauerhafte Studiengänge zu machen, wurde erst mal nur die Modellphase für diese Studiengänge um weitere vier Jahre verlängert. Jutta Räbiger vom Hochschulverbund:
    "Wir müssen den Studierenden auch eine Verlässlichkeit bieten. Die gehen ja das Risiko ein, in ein Studium zu gehen, von dem man im Moment nicht 100-prozentig weiß, dass es am Arbeitsmarkt Bestand hat."
    Dass die Modellphase für die Studiengänge noch einmal verlängert wurde, führe nicht nur zur Verunsicherung der Studierenden, kritisiert Heidi Höppner, Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Eine verlässliche Akademisierung der Therapeutenberufe sei kein Selbstzweck, sagt sie:
    "Wir brauchen keine studierten Therapeuten, damit sie sich Bachelor und Master an den Kittel heften können, sondern wir brauchen andere Therapeuten, die in der Lage sind, mitzugestalten, wie denn eigentlich Menschen in Deutschland versorgt werden, in Kooperation mit den Medizinern, in Kooperation mit den Sozialarbeitern, interdisziplinär."
    Späte Kritik des Hochschulverbands
    Der Wissenschaftsrat hat vor einiger Zeit empfohlen, Hebammen oder Ergotherapeuten weiter an Fachschulen auszubilden, zur Ergänzung aber auch Bachelor- und Masterstudiengänge anzubieten. Deren Absolventen könnten anschließend in leitenden Tätigkeiten in Kliniken oder Praxen arbeiten. 10 bis 20 Prozent eines Jahrgangs, so der Wissenschaftsrat, sollten über einen akademischen Abschluss verfügen. Von dieser Zahl sei man weit entfernt, kritisiert Höppner.
    "Wir sind Entwicklungsland. Und wenn man sich nur mal um die Ecke anguckt, was Österreich und die Schweiz in den letzten 10, 12 Jahren aus dieser Chance gemacht haben, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Hebammen auch an den Hochschulen auszubilden, dann wird deutlich, warum letztendlich auch unsere Empörung so groß war, als wir merkten, wie marginal dieses Thema in Deutschland gehandelt wird. Wir können hier wirklich von einem Innovationsstau in der Gesundheitsbildungspolitik sprechen."
    Der Beschluss von Bundestag und Bundesrat vom Dezember letzten Jahres lässt sich nicht mehr zurückdrehen – deshalb kommt der Hochschulverband für die Gesundheitsfachberufe zu spät mit seiner heutigen Kritik. Die nächsten Jahre müssten nun genutzt werden, um die Berufsgesetze zu überarbeiten, die Prüfungen sollten an die Hochschulen verlagert werden – denn momentan müssen die Studierenden sowohl ihre Bachelorprüfungen ablegen als auch das Staatsexamen machen – eine Doppelbelastung also.