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Keine Planungssicherheit für Historiker

Beim 50. Deutschen Historikertag ist nur wenigen Teilnehmern zum Feiern zumute. Denn Perspektiven nach dem Studium gibt es kaum. Wer früher in Geschichte promovierte, dem war anschließend eine Karriere in der Wissenschaft sicher. Ein Umstand, von dem heutige Studierende nur träumen können.

Von Benedikt Schulz | 26.09.2014
    Ole Meiners steht noch ganz am Beginn seiner Promotion in Geschichte. Sein Thema: moralische Ökonomie im hansischen Handel. Was nach dem Doktor kommen soll – das weiß er noch nicht.
    "Klar, man kann natürlich ne wissenschaftliche Karriere anstreben, man kann natürlich sagen, ich bleib danach an der Uni, das versuchen hier am Historikertag wahrscheinlich mit die Meisten, deswegen darf man sich auch nicht so laut dagegen äußern, dass das vielleicht im deutschen Wissenschaftssystem nicht so ne wahnsinnig gute Idee ist.
    Gerade jetzt die Exzellenzinitiative hat ja jetzt ne große Menge an Doktoranden sozusagen rausgespült, was ja erst mal auch super ist. Man fragt sich, wo die alle hinsollen. Ich frag mich immer n bisschen, wie die das mit sich selbst in ihren vielleicht nicht ganz so selbstbewussten Momenten vereinbaren, daran zu glauben, dass sie zu den "chosen few" gehören, die dann das Glück haben, Professor zu werden."
    Meiners sitzt auf einem Hocker im Zentralen Hörsaalgebäude der Uni Göttingen – es sind viele Doktoranden zum Historikertag gekommen - um sich zu vernetzen - das ist wichtig für die Karriere. Doch mit der Karriere in der Geschichtswissenschaft ist das nicht so leicht.
    "Problematisch ist, dass wir eine Menge neuer Forschungsumgebungen geschaffen haben, Sonderforschungsbereiche, Exzellenzcluster und so weiter, die neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Qualifizierung boten, die einen zahlenmäßig sehr, sehr großen Nachwuchs geschaffen haben, der hoch qualifiziert ist. Und denen jetzt eine wirkliche Perspektive zu zeigen, das ist das Grundproblem, vor dem wir stehen."
    Ungelöste Aufgaben
    Peter Funke ist Vize-Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Außerdem ist er Althistoriker an der Uni Münster und dort einer der Wissenschaftler gewesen, die sich erfolgreich um einen Exzellenzcluster beworben haben.
    Die Exzellenzinitiative habe viele positive Wirkungen auf die deutsche Forschung gehabt, sagt er, sie habe aber vor allem ein Ziel gehabt: neue Strukturen zu schaffen und genau das sei bisher nicht passiert.
    "Wenn wir uns dem wirklich stellen wollen, und meinen, wir brauchen eine größere Zahl an Wissenschaftlern als wir sie früher hatten, um ausgezeichnete Forschung zu machen, dann müssen wir überlegen, ob wir nicht grundlegend die personellen Strukturen auch verändern müssen, etwa, die Hierarchisierung im Stellenkegel abbrechen und abflachen, das ist ne Aufgabe, der sich die Universitäten, der Bund und die Länder stellen müssen."
    Auch Martin Schulze Wessel sieht das Problem, das längst nicht nur die Geschichtswissenschaft betrifft. Der Präsident des deutschen Historikerverbands kritisiert vor allem, dass es derzeit für junge Wissenschaftler keinerlei Planungssicherheit gebe.
    "Wir haben zu viele Projektstellen und zu wenig Dauerstellen, und da kann etwas gemacht werden, auch ohne großen Mitteleinsatz. Ich halte einen Vorschlag für sehr plausibel, dass man solche Stellen, die an Lehrstühlen zeitlich befristet sind, dass man die verwandelt in Tenure-Track-Professuren und das heißt in Professuren, die eine langfristige Perspektive haben."
    Doch auch dann würde nicht für jeden Historiker nach der Promotion eine Karriere in der Wissenschaft offenstehen. Aber was dann? Viele Doktoranden auf dem Historikertag lachen leicht verzweifelt, wenn sie diese Frage hören - außer Archiv, Museum und Verlagsarbeit fällt den meisten nichts ein.
    Es gebe keinerlei berufliche Orientierung an den Hochschulen, sagt eine von ihnen. Und auch wenn man dort inzwischen dazu gelernt hätte - Stichwort: Career Center - niemand habe ihr bislang befriedigend erklären können, wozu ein Doktortitel in Geschichte sie eigentlich beruflich qualifiziere - außerhalb des Wissenschaftsbetriebs.
    Die Chance, sich auf dem Historikertag zu vernetzen, würden nur die Wenigsten nutzen, sagt sie. Die meisten kämen in Grüppchen und blieben in Grüppchen. Auch weil Social Skills wie etwa Selbstmarketing an den Hochschulen keine Rolle spielen würden.
    Ungewisse Zukunft
    Ole Meiners ist optimistisch - meistens zumindest. Aber die Unsicherheit in der Geschichtswissenschaft beschäftigt auch ihn:
    "Es ist ja auch immer die Tanten-und-Onkel-Frage: Was machst du da für einen Quatsch. Warum denn jetzt nicht Jura, mein Junge oder Medizin.Natürlich gibt es Tage, wo man sich mehr Sorgen macht und es gibt Tage, wo man das Ganze n bisschen gelassener sieht. Und seien wir ehrlich, die wesentliche Kompetenz besteht darin, diese Frage an den meisten Tagen einfach nach hinten zu stellen."