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Studnitz: Dieser Prozess hat letztlich einen politischen Hintergrund

Die russische Justiz sei nicht unabhängig, sagt Ernst-Jörg von Studnitz. Der frühere deutsche Botschafter in Moskau sagt, dass der Rummel um den Prozess von Pussy Riot Ausdruck frustrierter Menschen in Russland sei.

17.08.2012
    Heckmann: So weit Informationen aus Moskau von Heide Rasch, und am Telefon ist jetzt Ernst-Jörg von Studnitz, er ist früher deutscher Botschafter in Moskau gewesen, jetzt Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Schönen guten Tag!

    Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Tag, Herr Heckmann!

    Dirk-Oliver Heckmann: Herr von Studnitz, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning hat hier im Deutschlandfunk die Freilassung der Aktivistinnen gefordert. Halten Sie einen solchen Freispruch überhaupt für möglich?

    Studnitz: Ich würde sagen, leider eher nein. Nach meiner Einschätzung des russischen Justizwesens und der russischen Justiz muss man sagen: Wenn die Staatsanwaltschaft drei Jahre beantragt hat, dann wird das Gericht nach allen bisherigen Erfahrungen, die man gemacht hat, diesem Antrag folgen.

    Heckmann: Der inhaftierte Kreml-Kritiker und frühere Ölmilliardär Michail Chodorkowski hat Putin vorgeworfen, den Prozess zur Einschüchterung der Opposition zu missbrauchen, das Ziel sei es, den Kritikern des Regimes eine Mission zu erteilen. Sehen Sie das auch so?

    Studnitz: Dass hier dieser Prozess letztlich einen politischen Hintergrund hat, ist gar nicht zu bezweifeln. Das ist ja aus der Frustration der Menschen, die irgendwo einen politischen Wandel in Russland herbeisehnten, entstanden, dass man, weil eben die Wahlen so verlaufen sind, wie sie verlaufen sind und die Ergebnisse im Grunde genommen von vornherein feststanden, dass man in dieser Situation einfach mit einer gewissen Verzweiflungshaltung irgendwo versucht, da seiner Stimme noch Gehör zu verschaffen. Und insofern hat dieses Verfahren einen zweifellos politischen Hintergrund.

    Heckmann: Herr Löning hat bei uns im Deutschlandfunk gesagt, der internationale Druck, der jetzt ausgeübt wurde, die Stellungnahmen, die aus dem Westen kommen, der helfe den Aktivistinnen. Sehen Sie das auch so? Ist das tatsächlich so? Oder könnte das eher dazu führen, dass die Neigung abnimmt, die Pussy-Riot-Mitglieder freizulassen?

    Studnitz: Ich bin nicht sicher, dass dieser internationale Druck, so, wie er jetzt aufgebaut wird und wie er sich artikuliert, dass der kurzfristig, sprich also jetzt bei dieser Urteilsverkündung oder bei der Inhaftierung und Fortdauerung der Haft, dass da wirklich eine Wirkung entstehen wird. Langfristig würde ich nicht ausschließen, dass ein Bewussthalten der Tatsache, dass diese drei Frauen im Gefängnis sitzen, eine Wirkung entfalten kann. Man hat das ja in der Sowjet-Zeit, erlebt, dass zum Beispiel die ständige Aufmerksamkeit, die im Westen für politische Inhaftierte - und dazu zählen diese Damen letztlich dann doch auch -, dass die ständige Aufmerksamkeit im Westen für politische Inhaftierte für die von ganz entscheidender Bedeutung gewesen ist. Im Falle Sacharow zum Beispiel war es lebenserhaltend. Wenn es das nicht gegeben hätte, wäre er wahrscheinlich zugrunde gegangen.

    Heckmann: Gehen wir mal davon aus, Herr van Studnitz, dass die drei Frauen verurteilt werden und dann möglicherweise über Jahre im Gefängnis sitzen. Was würde das bedeuten für die Opposition im Land? Würde das wieder einen neuen Auftrieb geben?

    Studnitz: Ich fürchte eher nein. Die Opposition ist eigentlich schwach und sie hat wenig Möglichkeiten, sich wirklich zu artikulieren und sich zur Geltung zu bringen.

    Heckmann: Sie kann demonstrieren.

    Studnitz: Ja, aber die Demonstrationen haben ja im Grunde eher abgenommen, und die Regierung zeigt Entschlossenheit, den Demonstrationen härter entgegenzutreten. Es könnte sein, dass es da noch Demonstrationen gibt, aber ich muss leider sagen, ich befürchte, dass das wenig Wirkung entfalten wird.

    Heckmann: Der Präsident Putin hat ja in diesen Tagen ein mildes Urteil gefordert, was immer das heißen mag, das heißt allerdings auch wiederum, dass er ja wohl offenbar auch, wie Sie auch, eine Verurteilung erwartet. Kann man in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Ansatz von unabhängiger Justiz in Russland überhaupt sprechen?

    Studnitz: In Ansätzen ist natürlich eine unabhängige Justiz in den Büchern und in den Gesetzen vorhanden. Es wird nur nicht praktiziert, und das ist das Problem in Russland.

    Heckmann: Woran liegt das?

    Studnitz: Es liegt einfach an dem Rechtsverständnis Russlands, auch an dem Staatsverständnis Russlands. Man muss ja sehen, dass über die jahrhundertelange Geschichte Russlands aus der Zarenzeit her durch die Sowjet-Zeit hin bis in die heutige Zeit hin dieses ein Staat ist, der im Grunde genommen von oben regiert wird und demokratische Ansätze erst ganz langsam sich entwickelt haben. Das ist in 20 Jahren sind da erste Versuche gemacht worden. In den Formen sieht das schon demokratisch aus, in dem Inhalt ist es das im großen Umfange noch nicht.

    Heckmann: Wie weit geht es, kann man sagen? Würden Sie sagen, dass von Demokratie dann also insofern gar keine Rede sein kann in dem Land?

    Studnitz: Ich würde nicht sagen, es kann gar keine Rede davon sein, denn wie gesagt, eben formal gibt es manche Dinge, die durchaus demokratisch abgewickelt werden. Nur: Wir verfallen selbst ja immer dem Irrtum, dass wir meinen, wenn in einem Land gewählt wird, dann ist das schon Demokratie. Zur Demokratie gehört eigentlich das Verständnis der Menschen, dass sie wirklich zum Beispiel in einer Gesellschaft leben wollen, wo es eine Gewaltenteilung gibt. Mit der Gewaltenteilung ist es in Russland noch nicht so sehr weit her. Und das beantwortet auch Ihre Frage zur Frage der Unabhängigkeit der Justiz: Dass die Gerichtsurteile in aller Regel mehr oder weniger wortwörtlich dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft folgen, ist eigentlich für mich ein Zeugnis dafür, dass eben die Justiz nicht wirklich unabhängig ist.

    Heckmann: Die Justiz ist die eine Seite, die ganze Aktion, die hat sich ja aber auch gewendet gegen die Einheit von Staat und von orthodoxer Kirche. Wie stark ist diese Verbindung in Russland?

    Studnitz: Die ist beiderseits gewollt. Die Kirche will die Unterstützung des Staates, auch um wieder eine maßgebliche Rolle in der russischen Gesellschaft spielen zu können, und der Staat will seinerseits auch sich das Wohlwollen der Kirche sichern für seine Maßnahmen, für seine Darstellung in der Öffentlichkeit. Die Kirche hat durchaus in Russland eine positive Rolle in der Einschätzung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Bevölkerung spielt. Und insofern - man muss eben ... Die russisch-orthodoxe Kirche ist ja praktisch 70 Jahre verboten gewesen. Sie hat zwar irgendwo formal doch noch existiert, aber sie hat eigentlich keine Rolle spielen können. Und sie hat dann angeknüpft an das Verständnis, was sie bis 1917 entwickelt hatte, und deshalb ist sie auch heute noch eigentlich eine im Wesentlichen auf den Staat hin ausgerichtete Institution.

    Heckmann: Und würden Sie sagen, dass sie eine positive Rolle mittlerweile spielt, oder muss man eigentlich eher sagen, das ist eine unheilige Allianz, die da geschlossen wurde?

    Studnitz: Ich würde den Ausdruck unheilige Allianz nicht verwenden. Eine positive Rolle spielt die Kirche insofern, als sie eben doch den Gläubigen in Russland wieder einen Raum gibt. Und es gibt durchaus gläubige Menschen in Russland, die diesen Raum auch suchen und den die Kirche bietet. Nur: Was davon sich unterscheidet, ist die nicht unbeträchtliche auch politische Rolle, die die Kirche spielt und die dann eigentlich eher verstärkend auf die Maßnahmen des Staates sich auswirkt.

    Heckmann: Und unter der dann der eine oder andere dann leiden muss, wie wir ja offenbar jetzt ja beobachten können. Letzte Frage:

    Studnitz: Wissen Sie, ich würde mir sehr wünschen, wenn zum Beispiel seitens der Kirchenführung in Russland ein wirklich christliches Wort ergangen wäre - Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. So ein Wort hätte ich gerne vernommen.

    Heckmann: Ganz kurze Frage zum Abschluss: Der Beauftragte für die deutsch-russische Zusammenarbeit Andreas Schockenhoff, der hat die hat die Zukunft des Petersburger Dialogs infrage gestellt. Welchen Sinn macht dieses Forum eigentlich, wenn man sich anschaut, dass auf der russischen Seite nur handverlesene Leute mit Kreml-Nähe vertreten sind?

    Studnitz: Dieses Forum hat eine ungeheure Bedeutung in der langfristigen Entwicklung der Beziehung zwischen Deutschen und Russen. Wir haben die Chance, mit den Russen im Gespräch Dinge in dem Sinne fortzuentwickeln, wie wir sie hier in diesem Gespräch erörtert haben. Nur: Wenn wir die Russen angreifen, wenn wir sie in die Ecke stellen, wenn wir sie gar beschimpfen, dann sagen sie: Das haben wir nötig, uns darüber belehren zu lassen. Wenn wir aber einen wirklichen Dialog anstreben, in dem miteinander gesprochen wird, wo auch Dinge hinterfragt werden, und das nicht an die Öffentlichkeit getragen wird, sondern eben im Versuch sich darstellt, miteinander zu Ergebnissen zu gelangen, dann hat das eine sehr große langfristige Bedeutung.

    Heckmann: Der frühere deutsche Botschafter in Moskau Ernst-Jörg von Studnitz war das, jetzt Chef des Deutsch-Russischen Forums. Ich denke Ihnen für das Gespräch!

    Studnitz: Danke, meinerseits auch herzlichen Dank!

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