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Stünker: Patientenverfügung noch ohne Rechtsgrundlage

Joachim Stünker, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält ein Gesetz zur Patientenverfügung für dringend notwendig. In einer solchen existenziellen Frage müssten die Menschen Rechtssicherheit haben, dass ihr letzter Wille auch befolgt werde.

Joachim Stünker im Gespräch mit Friedbert Meurer | 28.05.2009
    Friedbert Meurer: Acht Millionen Menschen haben in Deutschland eine Patientenverfügung hinterlegt. Das ist mathematisch betrachtet jeder zehnte Deutsche. Aber man kann wohl annehmen, dass unter den Älteren die Patientenverfügung mittlerweile sehr verbreitet ist. In ihr legt man fest, was der Arzt tun oder lassen soll, wenn man zum Beispiel im Koma liegt. Was viele wohl nicht wissen: Es gibt für Patientenverfügungen keine gesetzliche Grundlage, zumindest kein Gesetz. Die Patientenverfügung muss nicht unbedingt das letzte Wort sein, wenn schmerzhafte Entscheidungen über Leben und Tod anstehen. Im Bundestag sollte heute endlich über ein solches Gesetz abgestimmt werden, aber das Thema wurde um drei Wochen verschoben und der Ausgang ist ungewiss. - Am Telefon der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Stünker, der federführend einen der konkurrierenden Anträge ausgearbeitet hat. Guten Morgen, Herr Stünker.

    Joachim Stünker: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Zunächst eine persönliche Frage. Haben Sie eine Patientenverfügung?

    Stünker: Nein, ich habe noch keine Patientenverfügung - genau aus dem Grund, den Sie eben gesagt haben, weil die Rechtslage absolut diffus ist.

    Meurer: Bringt denn eine Patientenverfügung gar nichts im Moment?

    Stünker: Na ja, sie ist Indiz für den Patientenwillen und es ist in vielen Fällen auch Praxis, dass Patientenverfügungen von Ärzten oder von Krankenhäusern, von Einrichtungen akzeptiert werden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber es gibt eben auch die Fälle, die es teilweise dem Zufall überlassen, wo eben genau das Gegenteilige geschieht. Von daher: komme ich ins richtige Krankenhaus, habe ich den richtigen Arzt, der meine Patientenverfügung akzeptiert, gibt es keine Probleme, aber es kann eben auch genau umgekehrt sein.

    Meurer: Wann setzt sich ein Arzt in der Praxis über die Patientenverfügung hinweg?

    Stünker: Na ja, wenn er dort den vorweg bestimmten Willen des Patienten, der eine bestimmte medizinische Behandlung einer bestimmten Krankheitssituation ausgeschlossen hat, nicht akzeptiert und trotzdem diese medizinische Behandlung vornimmt - zum Beispiel die künstliche Ernährung im Wege der Magensonde oder Ähnliches.

    Meurer: Nun standen wir ja kurz davor, dass es eine Abstimmung im Bundestag geben sollte, aber es ist eine ziemlich komplizierte Situation entstanden. Es geht um die Frage, in welcher Reihenfolge über welche Anträge abgestimmt wird, und jetzt gibt es noch einen vierten Antrag, der besagt, wir brauchen überhaupt kein Gesetz. Was meinen Sie?

    Stünker: Dass wir überhaupt kein Gesetz brauchen, wie man so einen Antrag nur stellen kann, erschließt sich mir nun gar nicht mehr, denn die Diskussion der letzten Jahre hat eines zumindest ganz deutlich gezeigt: Wir brauchen eine Regelung, damit Rechtssicherheit besteht. Es kann nicht angehen, dass man in einem Rechtsstaat bei solch einer existenziellen Frage wirklich keine Rechtssicherheit hat, dass die Menschen, die darauf vertrauen, dass ihr Wille dann auch befolgt wird, eine Patientenverfügung gemacht haben, nicht davon ausgehen können, dass es tatsächlich auch so ist.

    Meurer: Die Gruppe dieser Abgeordneten sagt, jeder Fall ist einfach zu anders, das kann man nicht gesetzlich regeln.

    Stünker: Ja. Jeder Fall ist anders, das ist vollkommen klar. Aber sie können mit einem Gesetz ja auch nicht jeden Einzelfall regeln. Das machen wir in anderen Lebensbereichen ja auch nicht. Natürlich hat man da immer eine abstrakt generelle Regelung, das ist nun mal die Aufgabe des Gesetzgebers. Aber man kann dort die bestimmten Grenzen deutlich machen, in denen dann dieser Prozess sich bewegt, wie eine Patientenverfügung auszulegen ist, welche Personen dort zu handeln haben und so weiter. Diesen Rahmen kann man vorgeben.

    Meurer: Es geht, Herr Stünker, um den Widerstreit zwischen Lebensschutz auf der einen Seite und Patientenautonomie auf der anderen Seite. Legt Ihr Antrag zu viel Gewicht auf die Patientenautonomie?

    Stünker: Mein Antrag oder unser Antrag, muss ich ja sagen, der von über 200 Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag unterstützt wird, stellt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes in den Mittelpunkt, wo nämlich steht, jeder hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn in meinen Körper gegen meinen Willen eingegriffen wird, ist das genau dies, dass dieser Grundrechtsschutz unterlaufen wird.

    Meurer: Wenn jemand eine Verfügung hinterlegt hat, die 10, 15 Jahre alt ist, ist es dann nicht möglich, dass er heute, 15 Jahre später, darüber anders denkt?

    Stünker: Ja, sicher ist das möglich und darum gibt es ja auch diese Eins-zu-eins-Auslegung, sage ich mal, diesen Automatismus nicht in unserem Entwurf, sondern es steht ja ausdrücklich darin, dass der Arzt zusammen mit dem Betreuer oder Bevollmächtigten, wenn eine Vorsorgevollmacht gemacht worden ist, dass die beiden zu prüfen haben, ob die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation jetzt identisch ist mit dem, was dort in Zeiten aufgeschrieben worden ist.

    Meurer: Was ist Vorsorgevollmacht? Können Sie das kurz erklären?

    Stünker: Vorsorgevollmacht heißt, dass ich vorab jemanden bestimme, eine Person meines Vertrauens bestimme, die für mich dann handeln soll, wenn ich eben selber nicht mehr handeln kann, denn sie machen ja eine Patientenverfügung für eine Situation, wo sie selber nicht mehr in der Lage sind, dem Arzt zu sagen, was er nun tun soll und was nicht, denn solange ich das selber sagen kann, solange ich selber sagen kann, nein, ich möchte nicht die Magensonde haben, oder ich möchte nicht diese OP haben, oder ich möchte nicht die Chemo haben, wird kein Arzt das vornehmen. Es geht ja immer um die Situation, dass ich selber mich nicht mehr äußern kann.

    Meurer: Sie raten dazu, beides zu machen, Patientenverfügung plus Vorsorgevollmacht?

    Stünker: Natürlich! Ich rate immer jedem. In den vielen, vielen Veranstaltungen, die ich nun seit Jahren dazu gemacht habe, sage ich immer, liebe Leute, wenn ihr eine Patientenverfügung macht, macht gleichzeitig mit der Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht. Viele machen das auch schon, dass man in dem gleichen Papier sozusagen oben die Patientenverfügung niederlegt und darunter schreibt, ich bevollmächtige die und die Person, die für mich dann und so weiter. Das ist in den meisten Fällen auch schon die Praxis, wenn es eine gute Patientenverfügung ist, dass das zusammen gemacht wird.

    Meurer: Warum, Herr Stünker, sind Sie gegen eine Beratungspflicht, bevor man seine Verfügung aufsetzt?

    Stünker: Weil ich keinem Menschen vorschreiben kann - das gehört also auch zum Selbstbestimmungsrecht -, dass er sich beraten lassen muss. Ich kann vor allen Dingen auch nicht vorschreiben, von wem er sich beraten lassen muss. Der Staat kann ja den Menschen nicht vorschreiben, du darfst dich nur von einem Arzt beraten lassen. Warum kann er sich bei solch einer existenziellen Frage nicht von seinem Seelsorger beraten lassen? Warum kann er sich nicht von einem Psychologen beraten lassen? Es gibt so viele Selbsthilfegruppen im Land, die gerade in diesem Bereich sehr gute Arbeit machen, Hospizstiftungen und so weiter oder andere. Warum können diese also nicht die Beratung vornehmen? So dass diese Einengung, zu sagen, es muss eine ärztliche Beratung vorausgehen, also auch der Praxis absolut nicht gerecht wird.

    Meurer: Wird es in drei Wochen einen Durchbruch geben?

    Stünker: Es wird in zwei Wochen auf jeden Fall eine Entscheidung geben.

    Meurer: In zwei Wochen schon? - Okay.

    Stünker: In drei Wochen, Sie haben Recht. Entschuldigung, wir haben jetzt erst mal zwei Wochen Pause, sind in drei Wochen wieder da. Entschuldigung. - Es wird dann auf jeden Fall eine Entscheidung geben und ich hoffe, dass es dann eine Entscheidung gibt im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes der Menschen.

    Meurer: Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema Patientenverfügung. Das Thema ist erst einmal von der Tagesordnung des Bundestages heute abgesetzt worden. Danke schön, Herr Stünker, und auf Wiederhören.

    Stünker: Ja, danke. Auf Wiederhören!