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Stürmische Seelenwetterlagen

Jenns Wonnebergers Roman "Sture Hunde" dreht sich um Einsamkeit, Verrat und um alte Geheimsnisse. Für die Beerdigung seines Vaters kehrt Martin Rohrbach in sein Heimatdorf in Sachsen zurück - und trifft dort seine Jugendliebe Linda.

Von Ulrich Rüdenauer | 11.01.2012
    "Wenn Nordostwind weht, sagen die Leute, werde das schon seinen Grund haben. Wenn Westwind weht, sagen die Leute das Gleiche."

    Es ist eine fast schon beängstigende Nüchternheit, mit der das Leben in diesem östlichen Nachwende-Landstrich hingenommen wird. Der Wind weht mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung. Es wird viel über ihn geredet, aber es liegt in seiner Natur, dass er gegen Argumente immun ist – er tut, was er will. Fast jedes Kapitel in Jens Wonnebergers neuem Roman "Sture Hunde" wird von einem Wetterbericht eingeleitet, der zugleich die stürmischen oder gleichmütigen Seelenwetterlagen der Figuren verstehen hilft.

    Inmitten dieser Windachsen liegt ein verwunschenes Haus. Es findet sich auf einer kleinen Anhöhe, aus der Ferne ist es kaum zu erkennen, weil eine Mauer aus Büschen und Obstbäumen den Blick verwehrt. Zwei alte Buchen bilden an der Gartentür ein Spalier, überspannen den Eingang wie ein lebender Torbogen. "Eine seltsame Trägheit" gehe von diesem Fleck aus, erklärt uns der Erzähler. Die Einsamkeit, noch so ein Begriff, der häufig fällt in diesem Buch, zieht sich hier zusammen, verdichtet sich zu einer unnahbaren Trutzburg. Mit dem Rest des Dorfes Ahornstein verbindet dieses Grundstück nicht allzu viel – "es ist ein Ort für Aussätzige geblieben und hat dennoch etwas Märchenhaftes". Und es gibt Begehrlichkeiten. Denn um das Haus ist auch etwas Rätselhaftes, das weit in die Geschichte der DDR zurückreicht und sich tief im Gedächtnis mancher Figuren eingenistet hat.

    Jens Wonneberger lässt dieses verborgene Haus auf dem Hügel, um den der Wind in immer neuen Anläufen pfeift, zum Zentrum einer Lebensabrechnung werden. Allerdings einer sehr stillen, sehr behutsamen, fast schon gemächlichen. Martin Rohrbach, der bei einem Forschungsinstitut in der Stadt arbeitet, kehrt an seinen Kindheitsort zurück, um den Vater zu beerdigen und dessen Haushalt aufzulösen. Da aber auch sein eigener Gefühlshaushalt durch diese Rückkehr durcheinandergewirbelt wird, zieht sich der Aufenthalt in die Länge.

    "Wie oft hatte er sich in den letzten Monaten diese Einsamkeit ersehnt, hatte sich, in der Stadt, wenn die Freunde nach einer zerredeten Nacht gegangen waren und nur noch Qualm ihrer Zigaretten in dem kleinen Zimmer hing, immer wieder ausgemalt, morgens allein durch den taufeuchten verwilderten Garten des Vaterhauses zu gehen oder an heißen Sommertagen im fragilen Schatten der Bäume zu liegen, deren Kronen der Wind bewegt, sodass das Licht flimmert wie auf der spiegelnden Fläche eines kühlen Sees. Er hatte geglaubt, die Einsamkeit könne seine Probleme lösen, und ist in Gedanken den Hügel herab über die Weite des abgeernteten Feldes gelaufen, das bis an die Müllkippe reicht (...)"

    Es ist nicht nur die Unzufriedenheit mit seinem Job und seinem eher trostlosen Dasein in der Stadt, die ihn verweilen lässt. Nach etlichen Jahren bricht in ihm eine Wunde auf, die noch immer schmerzt: Seine Jugendliebe Linda hatte sich damals für den besten Freund Gregor entschieden, ihn geheiratet und Martin damit aus dem Dorf vertrieben.

    Und die Sehnsüchte veränderten sich. Linda beneidete Martin darum, zum Studium dem Mief des heimischen Nestes entkommen zu sein. Martin neidete Gregor die Frau. Inzwischen sind die beiden allerdings geschieden, und Linda sucht die Nähe des zurückgekehrten Jugendfreundes. Zwischen den verschiedenen Figuren, diesen sturen Hunden, gären Konflikte – es geht um Verrat und um alte Geheimnisse, und es dürfte kaum verwundern, dass die Jahre das Unausgesprochene aufgebläht haben.

    Am Ende bleibt von den Illusionen und Verletzungen kaum etwas übrig. Das ist das Besondere an diesem stillen Buch: Wie es in einem fast schon grausam langsamen Rhythmus die Einsamkeit und Verlorenheit in der Sprache sichtbar macht; wie hier ein paar Menschen ihre Zeit verspielen und sich doch nicht in eine Verzweiflung stürzen, sondern wie Überlebende ihrer eigenen Existenz immerzu weitermachen. Auf fast traurig-trotzige Weise wollen sie sich zufriedengeben mit dem, was nach ihren Träumereien übrig geblieben ist.

    "Früher hat er geglaubt, man müsse immer neue Ideen haben, um das Leben interessant zu machen, jetzt sucht auch er nach Aufgaben, die seine Tage ausfüllen und Zeichen setzen gegen die Vergeblichkeit."

    Wie es am Ende mit Martin, der wieder abreist, mit Linda und Gregor weitergeht – das weiß in diesem Buch nicht einmal der Wind. Zumindest verrät er es nicht.

    Jens Wonneberger: Sture Hunde.
    Roman. Steidl Verlag
    Göttingen 2011
    233 Seiten. 19,90 Euro.