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Stufenplan für Syrien
Ischinger: "Kröte Assad" vorerst schlucken

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hält eine Verständigung auf eine gemeinsame, internationale Syrien-Politik für möglich. Nötig sei eine große Konferenz mit allen Beteiligten, darunter auch Russland und Iran, sagte er im DLF. Auch zum Umgang mit Syriens Machthaber Assad macht Ischinger einen Vorschlag.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Bettina Klein | 29.09.2015
    Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz (06.02.2015)
    Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. (dpa / picture-alliance / Timm Schamberger)
    Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sprach sich für einen Stufenplan aus. Die Meinungen seien noch sehr unterschiedlich. Es sei aber möglich, eine Brücke zu bauen, sagte er im Deutschlandfunk. Wenn es zwei unterschiedliche Auffassungen gebe, schlage man in der Diplomatie einen Stufenplan vor. Im ersten Schritt werde das Anliegen der einen Seite akzeptiert, in einem zweiten das der anderen Seite. Auf Syrien bezogen bedeutet das für Ischinger: "Wir schlucken die Kröte des Duldens von Staatschef Assad." Gleichzeitig müsse Russland aber akzeptieren, dass man langfristig ein neuen Anfang ohne Assad anstrebe.
    Alle Beteiligten müssten an einer großen Konferenz teilnehmen und eingebunden werden. Dazu zählte er Russland, den Iran, die Golfstaaten und die Anrainerstaaten Syriens. "Man kann sich Russland nicht wegwünschen." Auch seitens der EU sei ein Vorschlag notwendig. "Was fehlt, ist eine gemeinsame Haltung der EU."
    Das Interview können Sie hier in voller Länge nachlesen:
    Bettina Klein: 90 Minuten haben Wladimir Putin und Barack Obama in New York am Rande der UNO-Vollversammlung miteinander gesprochen. Es war das erste Mal, dass sie sich persönlich begegnet sind, das erste Mal seit zwei Jahren, und seitdem herrschte bekanntlich so etwas wie eine kleine Eiszeit zwischen Washington und Moskau.
    Am Telefon ist nun Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Schönen guten Morgen, Herr Ischinger.
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Wir wollten Ihnen eigentlich noch mal die Eindrücke unseres Korrespondenten zur Kenntnis geben, der sich nicht sehr zuversichtlich gezeigt hat angesichts dessen, was nach dem Gespräch offenbar herausgekommen ist. Es gab frostige Mienen und es bleibt ja bei gravierenden Meinungsverschiedenheiten, was den Umgang mit Machthaber Assad angeht. Sind wir jetzt einen Schritt weiter, Ihrer Meinung nach?
    Ischinger: Ich denke schon. Worum geht es denn eigentlich? Es geht um etwas ganz Grundsätzliches. Putin hat sich in den letzten Jahren immer stärker dargestellt als der Verteidiger, der Held des Status quo. Er war dagegen, dass Gaddafi geht, er war dagegen, dass Mubarak geht, er war dagegen, dass Saddam geht, er war gegen den Abgang von Janukowitsch geht und jetzt ist er gegen den Abgang von Assad. Es ist ja erstaunlich, dass der Erbe der kommunistischen Weltrevolution jetzt den Status quo so verteidigt.
    Auf der anderen Seite sind diejenigen wie der ganze Westen, die der Meinung sind, ohne Wandel geht es nicht. Hier einen Kompromiss zu finden, ist in der Diplomatie nichts ganz Neues. Ich halte das für möglich. Was wir jetzt gestern erlebt haben, war aus meiner Sicht in einem längeren Schachspiel der Eröffnungszug. Die Meinungen sind noch sehr unterschiedlich, wie man mit Assad nun im Einzelnen umzugehen hat. Hier eine Brücke zu bauen, eine gemeinsame Schnittlinie zu finden, ist aber durchaus möglich, schwierig, aber möglich, genauso wie Steinmeier das im Fernsehen geschildert hat.
    Kröte des Kooperierens schlucken
    Klein: Geben Sie uns doch vielleicht mal einen Eindruck. Wie könnte denn ein solcher Kompromiss, eine solche Brücke aussehen, wenn auf der einen Seite der eine, nämlich Wladimir Putin, Assad weiter auch militärisch unterstützt und der andere, nämlich Obama, Assad für die Ursache des Übels hält?
    Ischinger: Ich nenne Ihnen mal ein probates klassisches Mittel der Diplomatie. Wenn es zwei solche unterschiedliche Meinungen gibt, dann legt man mal als erstes einen Stufenplan vor und sagt, wir machen mal im ersten Zug das, was die eine Seite will, und im zweiten Zug erklärt sich dann diese Seite bereit, mit der anderen Seite gemeinsam das andere Thema anzugreifen. In diesem Sinne - und in diese Richtung deuten ja manche der Gespräche und der Verlautbarungen der letzten Tage - könnte man sagen, gut, wir schlucken die Kröte des Kooperierens oder des Duldens des Assad-Regimes fort he time being, nicht wahr, um den Islamic State effektiv bekämpfen zu können, aber gleichzeitig - und das ist dann das, worüber jetzt verhandelt werden muss - müsste sich natürlich Russland und müssten sich die anderen bereit erklären, das Ziel zu indossieren, das Ziel zu akzeptieren, dass man langfristig einen politischen Neuanfang in Syrien anstrebt, der aber nicht mit Assad möglich wäre. Gibt es da eine Möglichkeit, sich zu einigen? Ich halte das nicht für ausgeschlossen.
    Gemeinsame Strategie der EU ist nötig
    Klein: Und bis dahin wären wir dann oder wäre der Westen gezwungen zuzuschauen, wie Assad, wie man so sagt, das eigene Volk bombardiert, oder wir zumindest nicht in der Lage sind, ihn zu stoppen?
    Ischinger: Na ja. Eine Überlegung, die ich ja schon seit etlichen Tagen versuche, auch in unserer deutschen Debatte ins Gespräch zu bringen, ist die Frage, was könnte denn in der Zwischenzeit nicht nur diplomatisch, sondern möglicherweise auch militärisch geschehen. In Frankreich, genauso wie in den USA, wird munter über mögliche Flugverbotszonen, über Sicherheitszonen diskutiert. Das könnte ein Ausweg sein, um die leidende Bevölkerung vor den Massaker-Angriffen des Regimes zu schützen.
    Wir dürfen natürlich jetzt nicht einfach die Putinsche These, mit Assad zusammenarbeiten, so akzeptieren, sondern wir können ja auch Gegenforderungen stellen. Frau Klein, was mir im Augenblick besonders fehlt ist eine gemeinsame Haltung der 500 Millionen repressierenden Europäischen Union. Wir erdulden die Flüchtlingsströme, wir müssen das alles hier verdauen. Wo ist denn die gemeinsame Strategie der Europäischen Union, um das Problem an der Wurzel zu packen? Ich glaube, hier ist noch viel Manövrierraum und es ist wirklich zu hoffen, dass die Hauptakteure Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Europäische Union selbst sich mit den anderen Partnern auf eine gemeinsame Linie einigen. Wenn wir mit einer Stimme sprechen würden, können die anderen das nicht ignorieren.
    Klein: Das ist ja bei manchen Themen innerhalb der Europäischen Union nicht der Fall. Aber bleiben wir mal bei Deutschland und der Bundesregierung. Wo müsste denn da Bewegung stattfinden, gerade mit Blick auf Syrien? Wir sagen ja zum Beispiel, wir wollen uns da auf gar keinen Fall auch irgendwie militärisch engagieren. Ist das ein Punkt, wo Sie sagen würden, auch da muss ein Umdenken passieren in Deutschland?
    Ischinger: Ich halte es nicht nur für vertretbar, sondern für notwendig, dass man sich auch in der Bundesregierung an Überlegungen von Flugverbotszonen, Sicherheitszonen und so weiter beteiligt. Das heißt ja nicht - und man wird dann immer sofort gerne missverstanden -, das heißt ja nicht, Bundeswehr nach Syrien. Davon redet ja kein Mensch. Sondern es heißt, Pläne zu entwickeln, über Optionen zu diskutieren, die dazu beitragen könnten, dass das Morden vor Ort, was diesen Exodus von Millionen zur Folge hat, peu á peu eingedämmt wird.
    Klein: Wenn nicht Bundeswehr nach Syrien, was wäre der Zwischenschritt für Sie?
    Ischinger: Der Zwischenschritt ist, zunächst einmal alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Daran arbeitet ja erfreulicherweise die Bundesregierung. Außenminister Steinmeier macht seit Tagen ja kaum etwas anderes, als den Versuch zu machen, ein Konzept für eine größere Konferenz, für ein solches Konzept zu werben. Das ist der erste Schritt. Und dann könnte man natürlich mit den regionalen Anrainern, mit der Türkei, mit Iran, mit den Golf-Staaten, mit der arabischen Welt darüber reden, wer könnte, wenn man sich was trauen möchte, wer könnte zum Beispiel militärisch aus der Luft eine solche Sicherheitszone absichern, wer könnte auf dem Boden an der Grenze zur Türkei, zum Beispiel die Türkei, für Sicherheit sorgen, welche Beiträge auch finanzieller Art könnten die reichen Golf-Staaten leisten, die im Wesentlichen zurzeit wegschauen, während ihre armen Brüder in Syrien darben. Das ist ja auch nicht in Ordnung.
    Wir müssen in der Tat alle an einen Tisch und sich in der einen oder anderen Weise, politisch, finanziell, eventuell auch militärisch, an der Lösung beteiligen. Die große Konferenz ist das, was wir jetzt brauchen, und darauf arbeitet die Bundesregierung hin. Aber wie gesagt, mir fehlt hier der große Vorschlag der EU. Das hätte dann noch viel größere Durchschlagskraft.
    Klein: Von wem könnte da die Initiative kommen?
    Ischinger: Das muss von der Beauftragten für Außenpolitik, von Federica Mogherini oder von Präsident Tusk kommen. Aber die können sich natürlich nur rühren, wenn sie dazu ermuntert werden von den wesentlichen Trägern der europäischen Außenpolitik, also von London, Paris, Berlin und vielleicht auch Rom und einigen wenigen anderen.
    Iran ist wichtigste Regionalmacht
    Klein: Aber Sie unterstützen, Herr Ischinger, schon das, was von immer mehr deutschen Politikern geäußert wird, nämlich die These, wir müssen Moskau einbeziehen, wir müssen Putin einbeziehen und dann auch möglicherweise zuschauen, wie Putin Assad unterstützt? Das sollte schon auch die Linie in Berlin sein, oder wie?
    Ischinger: Es geht nicht anders! Es geht nicht anders! Das ist schon lange klar, dass es nicht anders geht. Jetzt haben wir vier Jahre lang sozusagen händeringend zugeschaut und Dogmen verkündet, wie "wir reden nicht mit Assad", "wir reden auch nicht mit Putin". Inzwischen sind 250.000 Menschen tot, fünf, sechs, sieben Millionen auf der Flucht. Natürlich muss man mit allen reden. Wenn wir nicht den Iran einbeziehen, die wichtigste Regionalmacht, dann ist ein nachhaltiger Friedensprozess oder gar eine Friedenslösung überhaupt nicht vorstellbar. Und jetzt weiß man ja nicht erst seit gestern, wie groß das russische Interesse an eigener Präsenz im Nahen Osten ist, Militärbasis in Syrien.
    Also man kann Russland hier auch nicht wegwünschen und wegträumen. Also muss man, so ist das nun mal in der Außenpolitik, man muss das Machbare machen und das Wünschbare im Blick behalten. Im Augenblick ist das Machbare, mit allen, mit Russland, mit Teheran, mit allen Anrainern zu versuchen, weiterzukommen, damit das Morden endlich eingedämmt wird.
    Russland steht auf tönernen Beinen
    Klein: Die Kritiker Russlands, Herr Ischinger, sagen, Russland diktiert im Augenblick die Weltpolitik und diktiert allen anderen durch die militärische Unterstützung in Syrien das weitere Vorgehen. Sehen Sie das auch als eine Art Beleg des Scheiterns der US-Außenpolitik und Obamas in dieser Frage?
    Ischinger: Ich würde das nicht so sagen. Ich finde, das wäre eine Übertreibung. Die russische Außenpolitik kann sich im Augenblick im Lichte der Medienöffentlichkeit sonnen. Aber wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass dieser Riese Russland ja auf sehr tönernen Füßen steht. Die russische Wirtschaft gleitet ins Abgrundtiefe. Die russische Kraft, gleichzeitig das Debakel in der Ukraine, die anderen Schwierigkeiten am eigenen Südrand und jetzt auch noch das Engagement im Nahen Osten aufrecht zu erhalten, das wird nicht so lange durchhaltbar sein. Also Russland übernimmt sich selber unter Umständen auch. Ich glaube, dass das russische Interesse, hier mit anderen zusammenzuarbeiten, heimlich größer ist, als es Putin zugeben kann. Die russische Wirtschaft ist nicht viel größer als die italienische und die italienische Wirtschaft ist zwar im europäischen Kontext durchaus eine stattliche, aber auf der weltpolitischen Ebene ist Russland ein militärischer Koloss auf tönernen wirtschaftlichen Beinen. Das müssen wir immer auch im Blick behalten.
    Signal der Klarheit in die Ukraine schicken
    Klein: Herr Ischinger, Sie haben gerade das Stichwort Ukraine genannt. Daher abschließend noch kurz dazu: Es gibt Anzeichen und es gibt auch Wortmeldungen vom Wirtschaftsminister, von Sigmar Gabriel zum Beispiel, der gesagt hat, können wir uns im Ernst vorstellen, mit Russland zusammenzuarbeiten und gleichzeitig die Sanktionen aus einem ganz anderen Grund als Syrien, nämlich wegen der Ukraine aufrecht zu erhalten. Ist die Bundesregierung jetzt gut beraten, als Entgegenkommen gegenüber Putin die Sanktionen einzukassieren?
    Ischinger: Soweit ich gesehen habe, hat der Bundeswirtschaftsminister diese Interpretation seiner eigenen Aussagen nicht bestätigt. Ich glaube, die Haltung der Bundesregierung ist, soweit ich das sehen kann, eindeutig und einhellig. Die Sanktionen sind beschlossen. Sie sind einer Aufhebung oder Lockerung zugänglich, wenn und nur wenn die Minsk-Vereinbarung erfüllt ist. Hier stehen im Augenblick sehr kritische Wahlen in der Ostukraine an. Wir müssen nach Kiew, wir müssen in die Ukraine das Signal der Klarheit schicken. Wir stehen unverbrüchlich an der Seite der Ukraine, soweit es um die territoriale Integrität dieses Landes geht. Wir wollen die Erfüllung der Verabredungen von Minsk, die hat die Bundeskanzlerin persönlich mit ausgehandelt. Das muss erreicht werden. Wenn das erreicht ist, dann kann man über vieles reden, vorher nicht.
    Klein: Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, heute Morgen im Deutschlandfunk zum Konflikt in Syrien und zu den Wortmeldungen bei der UN-Generaldebatte. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Ischinger.
    Ischinger: Ja, guten Morgen, Frau Klein. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.