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Stumme Eisenmänner

Wenige Bildhauer haben das Glück gehabt, ein Werk direkt an einer Autobahn platzieren zu dürfen. Antony Gormley ist dieses Glück zuteil geworden: An der M 1 bei der Stadt Gateshead in Englands Nordosten steht sein Angel of the North: eine 20 Meter hohe Stahlfigur mit ausgebreiteten Flügen - 54 m Spannweite. Nun wird Gormley eine erste große Werkschau in der Londoner Hayward Gallery gewidmet.

Von Hans Pietsch | 17.05.2007
    Schon auf dem Weg zur Hayward Gallery wird der Besucher auf die ihn erwartende Schau eingestimmt. Auf den Dächern umliegender Gebäude, auf den beiden Brücken über die Themse stehen lebensgroße Figuren aus rostendem Gusseisen. Manche sind nur als Silhouette erkennbar, an anderen geht man vorbei und kann sie anfassen. Ihr starrer Blick ist auf das Museum gerichtet, als wollten sie andeuten: Dorthin müsst Ihr gehen, dort werdet Ihr die Erklärung finden.

    Die 31 stummen Eisenmänner zeigen, bevor man die Ausstellung selbst betreten hat, womit sich Antony Gormleys Kunst auseinandersetzt - mit dem menschlichen Körper als Subjekt, Objekt und Ort. Mit seinem Platz im Raum und seinem Verhältnis zur Welt, zur Umwelt.

    Auch in der Galerie begegnet man den Figuren aus Eisen und Blei: Eine kriecht wie eine Schnecke an der Wand hoch, eine andere kauert auf dem Fußboden, eine dritte liegt zusammengekrümmt wie ein Fötus, wieder andere hängen im Treppenhaus von der Decke, mit dem Kopf nach unten. Die völlig ausdruckslosen Figuren sind Gormleys Markenzeichen, alle Abgüsse seines Körpers. Isolation ist eines seiner Leitmotive, die Figuren blicken nach innen, sie machen es dem Betrachter nicht leicht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.

    Gormley begnügt sich in der Hayward Galerie nicht mit einer einfachen Retrospektive - mit "Highlights meines Schaffens." Nur wenige ältere Arbeiten sind zu sehen, etwa "Mothers Pride", die Plastik, die ihn 1982 bekannt machte. Sie besteht aus nebeneinandergelegten Toastbrot- Scheiben, aus denen der Künstler den Umriss seines Körpers buchstäblich herausgegessen hat. Die meisten Werke stammen aus den letzten zwei, drei Jahren und einige schuf er eigens für die Schau. Etwa die erste Arbeit, der man sich gegenübersieht, "Space Station" - "Raumstation", deren Größe einem fast den Atem nimmt. Das 27 Tonnen schwere Gebilde besteht aus verschieden großen, zusammengeschweißten Metallkästen und scheint, trotz seines Gewichts, schwerelos zwischen Fußboden und Decke zu schweben. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der bedrohliche Koloss ebenfalls als Gormleys zusammengekrümmter Körper. Man fühlt sich fast erdrückt von dieser Masse, wenn man unter ihr steht.

    Besonders beeindruckend ist "Allotment' - "Schrebergarten" - 300 Stelen aus Sichtbeton, mit aufgesetzten viereckigen Köpfen und Löchern für Mund, Nase, Ohren und Genitalien. Alle von unterschiedlicher Größe, denn ihre Maße beruhen auf 300 Menschen, Babys, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, die Gormley vermessen hat. Aufgereiht stehen sie da, doch je länger man durch das an das Berliner Holocaust Mahnmal von Peter Eisenmann erinnernde Labyrinth wandert, desto menschlicher werden die Betonstelen - hier erkennt man eine Familie mit drei Kindern, dort eine Gruppe von Erwachsenen, die sich angeregt zu unterhalten scheinen. Sie bleiben stumm, und doch vermeint man fast, ihre Unterhaltung hören zu können.

    Die lichten Räume des Obergeschosses sind dagegen etwas enttäuschend. Seit einiger Zeit experimentiert Gormley damit, Körper aus zusammengeschweißten Metallstäben zu formen. Die so entstehenden, wie stachlige Seeigel aussehenden Gebilde nennt er "Matrizen" und "Expansionen". Sie hängen von der Decke und stehen auf dem Boden, in ihrem Inneren lassen sich Figuren ausmachen, in verschiedenen Stadien der Abstraktion.

    Die Abstrahierung des Körpers führt der Künstler dann bei der erstaunlichsten Arbeit der Schau zu einem logischen Ende - "Blind Light' - "Blindes Licht" - so auch der Titel der Ausstellung - löst den Körper buchstäblich auf, macht ihn unsichtbar. Ein raumgroßer Glaskasten ist mit einer blendenden weißen Wolke aus Wasserdampf gefüllt. Sobald man in sie eintritt, verschwindet man - man kann die sprichwörtliche Hand vor den Augen nicht mehr sehen. Das Gefühl der völligen Desorientierung ist überwältigend, nur ganz langsam gewöhnt man sich daran.

    Doch hier melden sich auch Bedenken an: Der Rest der Schau ist eine faszinierende Meditation über die Beziehung von Menschen zueinander und zur Welt. "Blindes Licht" dagegen droht - wie auch schon Carsten Höllers kürzliche gigantische Rutschbahnen in der Turbinenhalle der Tate Modern - "Blindes Licht" droht in den Jahrmarkt umzukippen. Ein Zaubertrick, den man bewundert - und sich gleichzeitig fragt: Was soll's?


    Antony Gormley: Blind Light. Hayward Gallery London, 17.5. bis 19. August.