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Sturm und Drang zum Dritten

"Wieder einmal ein Produkt, was unsern Zeiten - Schande macht! Mit welcher Stirn kann ein Mensch doch solchen Unsinn schreiben und drucken lassen, und wie muss es in dessen Kopf und Herz aussehen, der solche Geburten seines Geistes mit Wohlgefallen betrachten kann!", schimpfte einst Karl Philipp Moritz über "Kabale und Liebe". Seine Kritik konnte nicht verhindern, dass Schillers drittes Drama, uraufgeführt heute vor 225 Jahren, seinen Siegeszug über die deutschen Bühnen antrat.

Von Ruth Fühner | 13.04.2009
    Ein Coup ist ihm geglückt, dem Prinzipal des Frankfurter Comödienhauses, als sich am 13. April 1784 zum ersten Mal der Vorhang über "Kabale und Liebe" hebt. Es ist das dritte Stück eines noch jungen Dramatikers, dessen Löwenpranke bereits für einiges Aufsehen gesorgt hat in der deutschen Theaterwelt. Zu denen, die dem Ereignis entgegenfiebern, gehört auch Goethes Mutter Aja:

    "Übermorgen geht unser Schauspiel wieder an, und zwar wird ein ganz neues Stück gegeben, Kabale und Liebe, von Schiller, dem Verfasser der Räuber ... alles verlangt darauf, und es wird sehr voll werden ..."

    Dabei ist Friedrich Schiller eigentlich Hausautor am Mannheimer Nationaltheater. Dort aber geht die Erstaufführung erst zwei Tage später über die Bühne, dafür in Anwesenheit des Dichters und, wie ein Freund notiert:

    "Mit so vielem Feuer und ergreifender Wahrheit ..., daß, nachdem der Vorhang schon niedergelassen war, alle Zuschauer auf eine damals ganz ungewöhnliche Weise sich erhoben und in stürmisches, einmütiges Beifallrufen und Klatschen ausbrachen."

    Mit "Kabale und Liebe" ist Schiller auf der Höhe der Zeit. Zum ersten und zum letzten Mal verhandelt er auf der Bühne unverhüllt die Missstände seiner Gegenwart. Und zwar anhand eines Modethemas: der unstandesgemäßen Leidenschaft, gefasst in ein bürgerliches Trauerspiel, das die Behauptung widerlegt, bürgerliche Männer und Frauen seien viel zu bedeutungslos, um Gegenstand einer tragischen Handlung zu sein.

    Bei Schiller ist es die Bürgerliche Luise Miller, deren Liebe zu dem adligen Ferdinand tragisch endet. Sie fallen einer höfischen Intrige - oder Kabale - zum Opfer, die Ferdinands Vater, der Präsident von Walter, und sein Hofmarschall aushecken. Was Publikum und Kritik an dem Stück begeistert, halten die "Gothaischen gelehrten Zeitungen" fest:

    "Es hat würklich herrliche Scenen, und die Charaktere sind vortrefflich durchgeführt. Sollte der Präsident und der Hofmarschall, jener zu abscheulich, und letzterer für ein Trauerspiel zu komisch scheinen, so erwäge man, daß die Charaktere auf der Schaubühne etwas übertrieben seyn müssen."

    Selbst wenn der Uraufführungsort von "Kabale und Liebe" eine Freie Reichsstadt ist - viele Zuschauer im Frankfurter Comödienhaus werden wie Schiller selbst ihre Erfahrungen gemacht haben mit absolutistischer Willkürherrschaft. Und sie werden den Zorn von Luises Vater, dem Hofmusikus Miller, nachfühlen, als ihm der arrogante Präsident im eigenen Haus die Tochter schlechtmacht.

    "Euer Exzellenz. Das Kind ist des Vaters Arbeit - Halten zu Gnaden - Wer das Kind eine Hure schilt, schlägt den Vater aufs Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig - Das ist so Tax bei uns - Halten zu Gnaden."

    "Regt sich der Kuppler auf? Wir sprechen uns gleich, Kuppler."

    "Ich heiße Miller, Halten zu Gnaden. Wenn Sie ein Adagio hören wollen - bitte. Mit Buhlschaften dien ich nicht."

    Heinrich George war das als Miller im Konflikt zwischen Aufbegehren und Katzbuckeln: auch das bürgerliche Elternpaar Luises kommt in seiner Beschränktheit und Bigotterie bei Schiller alles andere als gut weg. Miller übt massiven moralischen Druck auf seine Tochter aus. So wird Luise selbst Teilhaberin an jener Intrige, die ihrem Ferdinand vorspiegelt, sie sei ihm untreu. Das Resultat ist bekannt: Er reicht ihr aus Eifersucht die berühmte vergiftete Limonade, an der sie beide sterben. Oder ist es am Ende vielleicht sogar die überspannte, selbstgerechte Liebe Ferdinands - hier gesprochen von Erik Schumann - die ins Verhängnis führt?

    "Das Mädchen ist mein! Ich einst ihr Gott, jetzt ihr Teufel! - Die Vermählung ist fürchterlich - aber ewig!"

    Mit "Kabale und Liebe" klingt Schillers Sturm- und Drang-Phase aus. Am deutlichsten ist ihr Nachhall in jener Szene, die den Soldatenverkauf anklagt. Sie zielt unmissverständlich auf Schillers ehemaligen Landesherrn, seinen Förderer und Unterdrücker, den Herzog Karl Eugen von Württemberg, der, zur Finanzierung seines verschwenderischen Hofstaats, seine Landeskinder nach Amerika verkaufte. In der Druckfassung des Stücks war sie noch zu lesen. Doch es ist schwer, unter äußerem Druck die Balance zwischen Rebellion und Anpassung zu finden. In der Frankfurter Uraufführung vom 13. April 1784 ist die Szene gestrichen.