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"Stuttgart 21 ist ein Kommunikationsgau"

Die Proteste gegen das Bahnprojekt in Stuttgart sind für Thomas Strobl die Folge mangelhafter kommunikativer Begleitung. Die Entscheidungen sind schon lange gefallen und die Vertrage abgeschlossen - für ihn macht daher ein Bürgerentscheid im Nachhinein keinen Sinn mehr.

Thomas Strobl im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.08.2010
    Sandra Schulz: Wir wollen in den kommenden Minuten mit einem der Befürworter sprechen. Am Telefon begrüße ich Thomas Strobl, Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg und Vorsitzender der CDU-Landesgruppe im Bundestag. Guten Morgen!

    Thomas Strobl: Guten Morgen!

    Schulz: Überlegen Sie es sich noch mal mit Stuttgart 21?

    Strobl: Nein, wir haben ja eine sehr lange Zeit das Projekt überlegt und debattiert, das waren ja 20 Jahre, die es gedauert hat, bis Stuttgart 21 gekommen ist. In diesen 20 Jahren gab es zahlreiche Debatten, Prüfungen, Planfeststellungen und vieles andere mehr, und ich bin schon der Meinung, dass wenn man in der Politik nach gründlichem Überlegen, nach langer Diskussion eine Überzeugung gewonnen hat, dass man dann diese Überzeugung auch machen muss, sie in die Realität umsetzen muss, dass man auch zu seinen Überzeugungen steht, auch dann, wenn es unangenehm wird.

    Schulz: Es gibt jetzt Medieninformationen über ein neues Spitzengespräch zwischen Gegnern und der Bahn – wie kann ein Angebot aussehen an die Gegner?

    Strobl: Nun, selbstverständlich müssen wir miteinander sprechen und miteinander diskutieren, das ist doch ganz klar. Ich setze im Übrigen nach wie vor auf die Kraft des Arguments, allerdings ist natürlich in einer ja schon radikalisierten Menge eine Argumentation schwierig. Es ist ja so, dass die Proteste schon auch eine unangenehme Seite haben, es werden inzwischen Flaschen und Eier geworfen, es werden Rettungsfahrzeuge behindert, es werden Schienenfahrzeuge behindert. Da ist dann eine argumentative Diskussion nur schwer möglich. Aber wenn die Gegner bereit sind, sich an einen Tisch zu setzen und vernünftig zu diskutieren, dann ist das doch gar keine Frage, dass wir eine solche Diskussion machen.

    Schulz: Aber grundsätzlich, da verstehe ich Sie richtig, sind die Gegner schuld an der Eskalation des Streits?

    Strobl: Nun, es gibt natürlich immer einige, ich will sagen einige wenige, die solche Demonstrationen dann dazu missbrauchen, um auch gewalttätig zu werden, das ist nicht in Ordnung. Da ist im Übrigen meine Forderung, dass diejenigen, die friedlich demonstrieren wollen, sich davon auch distanzieren, denen keinen Schutz geben, die Gewalttaten etwa gegen Polizisten ausüben. Und im Übrigen gehe ich davon aus, dass in Baden-Württemberg diejenigen, die gewalttätig sind, auch konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.

    Schulz: Aber wie erklären Sie es sich dann, Sie sagen gerade, Sie setzen auf die Kraft des Arguments, dass es eben so viele Menschen gibt, die die Argumente für Stuttgart 21 nicht überzeugen?

    Strobl: Nun, das ist schon eine berechtigte Frage, und da muss man sagen, Stuttgart 21 ist ein Kommunikationsgau – man hätte vor Jahren dieses Projekt professionell kommunikativ begleiten müssen. Sehen Sie, egal was Sie machen, wenn Sie heute ein Milliardenprojekt realisieren, dann brauchen Sie eine professionelle kommunikative Begleitung. Wir machen ja in Stuttgart kein atomares Endmülllager, sondern es handelt sich um ein Schienenprojekt, um Fahrzeiten zu verkürzen im Fernverkehr, aber auch im regionalen Nahverkehr. Das ist ja eigentlich etwas, wenn Sie mal grundsätzlich fragen würden, wo wahrscheinlich bei 100 Prozent der Bevölkerung auf eine positive Resonanz stößt, aber leider ist es in den Jahren nicht gelungen, das entsprechend zu kommunizieren. Und diese Kommunikationslücke wird jetzt von einigen genutzt, gegen das Projekt Stimmung zu machen, und das fällt sozusagen auf fruchtbaren Boden.

    Schulz: Aber müssen Sie diese Kommunikationslücke, von der Sie gerade sprechen, nicht auch dazu nutzen oder sozusagen als Selbstverpflichtung verstehen, jetzt noch mal nachzubessern? Wenn die Argumente so gut sind und auf der Hand liegen für Stuttgart 21, was spricht denn dann zum Beispiel gegen einen Bürgerentscheid?

    Strobl: Nun, gegen einen Bürgerentscheid spricht heute, dass die Entscheidungen alle gefallen sind. Wir fangen im Moment an zu bauen, es sind zahlreiche Verträge abgeschlossen. Selbstverständlich hätte man auch zu Stuttgart 21 einen Bürgerentscheid machen können, diese Möglichkeit gibt es in Baden-Württemberg. Kürzlich wurde etwa in Heidelberg durch einen Bürgerentscheid eine geplante Stadthalle verhindert, und das wäre auch in Stuttgart durchführbar gewesen, ein solcher Bürgerentscheid. Allerdings diejenigen, die gegen das Projekt sind, haben das damals entweder verschlafen oder sie haben keine Lust gehabt oder aus anderen Gründen einen entsprechenden Bürgerentscheid nicht angestrebt. Hinterher ist man dann aber gekommen, es gab ja auch zahlreiche Gerichtsverfahren zu diesem Thema. Es ist ja nicht nur so, dass sämtliche Parlamente vom Deutschen Bundestag über den Landtag, über die Regionalversammlung bis hin zum Gemeinderat der Stadt Stuttgart mit großen Mehrheiten für das Projekt entschieden, es gab ja auch zahlreiche Gerichtsverfahren, die das alles bestätigt haben. Irgendwann – wir sind ja nicht in einer Bananenrepublik – ist in einem demokratischen Rechtsstaat dann auch eine Entscheidung gefallen. Es werden Verträge dann abgeschlossen, man kann dann auch die Vertragspartner nicht einfach im Regen stehen lassen, und das finde ich auch ganz in Ordnung. Wir brauchen ein Stück weit schon auch Festigkeit, Planbarkeit und Verlässlichkeit in diesem Staat.

    Schulz: Herr Strobl, aber gerade an dieser Verlässlichkeit und Planbarkeit fehlt es ja gerade, denn die Gegner verweisen auch darauf, dass sich die Kosten, die veranschlagten, inzwischen fast verdoppelt haben. Ist das nicht ein Argument, es noch mal neu auf den Prüfstand zu stellen?

    Strobl: Steigende Kosten sind ein Argument schon auch, ein Projekt zu hinterfragen. Auf der anderen Seite werden Sie nur ganz wenige Großprojekte finden, wo es keine Kostensteigerungen gibt. Das ist im Übrigen auch für Privatleute nichts ganz Neues. Wenn Sie etwa ein Haus bauen, dann kommt es auch im privaten Bereich durchaus vor, dass Sie bestimmte Kostensteigerungen haben. Richtig ist aber, die Kosten dürfen nicht völlig aus dem Ruder laufen, das kann man bei Stuttgart 21 noch nicht sagen. Ich will aber hinzufügen, bei solch einem Projekt bleiben auch in der Zukunft gewisse finanzielle Risiken. Schauen Sie, wenn Sie 120 Kilometer neue Bahnstrecke bauen, davon ungefähr die Hälfte, 60 Kilometer, neue Tunnel bohren durch schwierige Gesteinsschichten, dann ist das natürlich etwas, wo Ihnen letztlich niemand – das gilt im Übrigen nicht nur für dieses Projekt, sondern für alle Tunnelprojekte – voraussagen kann, was hinter dem Tunnel sich sozusagen alles verbirgt. Die Bergleute sagen: Vor der Hacke ist es dunkel.

    Schulz: Herr Strobl, wir können heute Morgen die Diskussion natürlich nicht zu Ende führen, aber was ja Fakt ist, wir haben eine große Zahl von Menschen, die sich gegen das Projekt wehren, und dagegen sind trotz Ihres Verweises von eben nicht nur Gewalttätige und nicht nur Eierwerfer, es sind auch viele potenzielle CDU-Wähler darunter. Kennt die CDU in Baden-Württemberg ihre Schwaben nicht mehr?

    Strobl: Ich glaube, dass wir unsere Schwaben schon ganz gut kennen, aber ich will mal so sagen, die Freundschaft muss es aushalten, dass man auch mal in einer Sachfrage unterschiedlicher Auffassung ist. Wir nehmen das natürlich ernst, wir nehmen es auch mit Blick auf die nächste Landtagswahl ernst, und deswegen werden wir verstärkt den Versuch unternehmen zu argumentieren, die Vorteile des Projekts darzulegen. Und ich glaube, letztlich am Ende des Tages wird die Bevölkerung auch akzeptieren, dass dann, wenn man eine Überzeugung hat, man auch zu dieser Überzeugung steht.

    Schulz: Thomas Strobl, Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg und Vorsitzender der CDU-Landesgruppe im Bundestag und heute in den "Informationen am Morgen". Dank Ihnen dafür!

    Strobl: Danke schön, ein gutes Wochenende!